Im Fegefeuer der Eitelkeiten
Wir sehen die deutsche Comedy-Queen Anke Engelke und den Nachwuchs-Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre. Turtelnd tauschen sie verliebte Blicke aus und genießen ihr junges Glück. Jaaa, es ist Liebe!“ So und nicht anders hätte wohl die „Bild“-Zeitung über die Affäre, von der viele wussten, die aber nicht öffentlich darüber sprachen, gern Bericht erstattet. Aber die Affäre war schon vorbei, als die Klatschtante Katja Keßler pünktlich zum neuen Buch „Blackbox“ kolportierte, was in einem Berliner Luxushotel passiert war: In flagranti, mit herunter gelassener Hose hatte man ihn, den „Pop-Literaten“, in Engelkes Suite entdeckt. Ihr mitgereister Ehemann wollte mal nach dem Rechten sehen.
Koksen soll der junge Mann auch, und überhaupt sei er „schnöselig“ und habe ja zudem – als erklärter Fan von Robbie Williams und den Pet Shop Boys – lediglich einen „durchaus alltäglichen Musikgeschmack“, so die „B.Z.“ zutreffend. Anke Engelke hat inzwischen für „Viva 2“-Scheusal Niels Ruf Mann und Kind verlassen. Stuckrad-Barre aber hat wieder neuen Ärger am Hals: Auf seiner CD „Bootleg“, auf der Lesungen seiner Bücher „Remix“ und „Livealbum“ sowie Beiträge von Freunden und Bekannten (der eitle Ulrich Wickert spricht „Let Me Entertain You“, Götz Alsmann orgelt und „Bild“-Keßler verliest ihre notorischen Busenmädchentexte von Seite 3) zu hören sind, legt Stuckrad sich mit Pur-Sänger Hartmut Engler an. Dessen Frau nämlich, mit einer Freundin plaudernd, hatte er in einem Cafe belauscht und eilig mitgeschrieben. Das war längst publiziert und nie Gegenstand einer Fehde. Überhaupt: Prinz Ernst August fordert doch auch immer „Mitschreiben!“ oder „Schneiden sie mit!“. Claudia Engler über ihren Mann Hartmut: „Der sitzt am Schreibtisch und schreibt. Und dann kommt er runter und ist so ein Arschloch wie alle anderen.“ Das war natürlich ein gefundenes Fressen für den Gesellschaftskritiker Stuckrad und außerdem bereits im Buch „Remix“ zu lesen. „Bild am Sonntag“ aber fuhr nun schwerste Geschütze auf: „Das sind die Richtigen! Erst reißen sie die Klappe auf- dann haben sie die Hosen voll.“ Stuckrad-Barre hatte nämlich seinen Auftritt in der Johannes B. Kerner Show“, in der er auf den kampfbereiten Engler treffen sollte, überstürzt abgesagt und sich später gleich schriftlich und telefonisch beim Beleidigten entschuldigt, der schon mit Prügel gedroht hatte.
Zwischenzeitlich hatten auch „Bunte“ und „Die Aktuelle“ am Thema Engelke Interesse – mit historischen Parallelen zu Ratten und Rittmeistern von Lady Diana. Auch wurde gefragt, wie tief die einst unschuldig Verliebte jetzt von dem Geheimnisverrat des Jungmannes gekränkt sein müsse. Dass der „Wochenshow“-Vamp vorher wenig Skrupel hatte, seinen Mann hinters Licht zu führen, war der Postille keine Überlegung wert. Zwei nicht sehr exklusive Details aus Stuckrads „Blackbox“ reichten zum Beleg des großen Liebesschwindels, der eher ihn als die Comedy-Queen schwindelig gemacht hatte.
Mittlerweile scheint es, dass noch das letzte Stadtblatt über den Dampfschriftsteller schreibt. Stuckrad-Barres derzeitige Medienpräsenz kulminierte kürzlich in der „Harald Schmidt Show“, wo sich Schmidts ehemaliger Gag-Schreiber nervös und dünnhäutig zeigte: Seine Pointen hatte Stuckrad sich auf die Hand geschrieben, die indes fast am Boden hing, während er sich unwohl im Sessel hin- und herfläzte. Früher neigte er bei derlei Auftritten dazu, sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe zu tippen, so als wollte er auf den Abzug drücken. Das wollten freilich vor allem die Gesprächspartner, darunter der moribunde Horst Tappert, der dem Frechdachs bescheinigte, er denke „gern flach“. Auch der große Torwart Sepp Maier war nicht amüsiert, als Stuckrad vermutete, der Keeper habe 1968 bestimmt an der Universität demonstriert Selbst Fernseh-Buddha Helmut Thoma schauderte es, als Stuckrad ihn wegen Phrasendrescherei und Verunglimpfung der Schmidtschen Show zur Verantwortung zog. Als der junge Angreifer etwas über „breitärschige Studentinnen“ vorlas, ertappte die Kamera den alten Macho beim breiten Grinsen.
Stuckrad ist vorsichtiger geworden. Mildernde Umstände müssen für den Frühberühmtten gelten: Wie soll man denn bei einem solchen Wirbel auch noch erwachsen werden? Mit seinem bisherigen beruflichen Verlauf kann der gebürtige Bremer allerdings mehr als zufrieden sein. Verdingte er sich doch bislang als Redakteur des Rolling Stone (kurz) und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (sehr kurz), bei Schmidt und Küppersbusch sowie als Nachwuchs-Manager bei einer Plattenfirma, wo er liebevoll Flops produzierte. Nun, wohnhaft in Berlin, ist er nur noch freier Autor. 1998 erschien sein erstes Buch, „Soloalbum“, eine lockere und wenig handlungsreiche Chronik seiner wilden Jahre zwischen Wohngemeinschaftsmuff, Koksresten und Bezahlfrauen, dazu jede Menge Liebeskummer mit der Verflossenen und Sinn stiftende Oasis-Songs als einzigem Trost in der Wüste der Großstadt. Ein kapitaler Erfolg vor allem bei der juvenilen Weiblichkeit, die Stuckrads Selbstentblößung wertvolle Einblicke in die Seele des jungen Mannes an sich verdankt: Ekel, Überdruss, Panik und Larmoyanz. Sie lieben es.
Es folgten die Texte-Sammlung „Remix“ – eine höchst unterhaltsame Auswahl von Artikeln aus „taz“, „stern“ und „Die Woche“ – sowie „Livealbum“, das Stuckrad-Barres Eindrücke während seiner ersten Lesereise schildert, natürlich angereichert mit fiktiven Erlebnissen und geschrieben mit neuer Ernsthaftigkeit, die aber nichts am Missvergnügen der Rezensenten ändern konnte. Beide Bücher erschienen, quasi ab Doppel-Album, gleichzeitig. Es folgte die Mitarbeit am, vorsichtig formuliert, umstrittenen Buch „Tristesse Royale“, bei dem Stuckrad ein Fünftel eines so genannten „popkulturellen Quintetts“ darstellte, welches sich im Berliner Hotel „Adlon“ snobistisch über Gott und die Welt ausließ. Mit von der Landjunker-Partie waren die Anzugträger Christian Kracht, Eckhart Nickel Joachim Bessing und Alexander von Schönburg, die sich blasiert etwa über das „Remodeling“ der Rockband Scorpions verbreiteten. Für 1000 Mark Aufwandsentschädigung pro Nase – vom Verlag wurden offenbar Erfrischungsmittel eingekauft, was in der bereits von Pulp-Sänger Jarvis Cocker ausgegeben Parole „Irony is over“ kulminierte. Ironisch genug, dass die Spaß-Armada plötzlich für drei Minuten über die Geknechteten im fernen Osten nachdachte, wo die Herren gern mal einen Tee vor Sonnenuntergang schlürfen. Nun gibt es, wiederum nahezu zeitgleich veröffentlicht, Stuckrad-Barres neuesten Doppelschlag: „Bootleg“ und „Blackbox“. Mit „Bootleg“ verhält es sich wie mit den meisten „Spoken Word“-Tonträgern: Bald schon drohen sie im Regal zu verstauben. Doch Stuckrad wäre nicht Stuckrad, hätte er nicht neben den Beiträgen von Wickert, Aismann und Keßler auch noch die Krawalleuse Sibylle Berg („Sex II“) in einem Telefongespräch die Rolle von Prinz Ernst August von Hannover („Keep your Arsch together – sie werden seitlich gefickt!“) übernehmen lassen. Der „Generation Golf-Apologet Florian Illies flüstert in „Scenes From An Italian Restaurant“ Fragen an den derangierten und stotternden Christian Kracht, der die Phänomenologie des Cheeseburgers erklärt und sich vor der Schrecklichkeit der Berliner Currywurstbuden ekelt. Ein neuer Klaus Kinski ist geboren.
Auch unter den Live-Mitschnitten, in denen Stuckrad-Barre vor seinem Publikum oftmals veritabel improvisiert, finden sich einige Highlights: eine glänzende Home-Story über Heiner Lauterbach und Jenny Elvers in Zeiten ohne Schwangerschaft und Big-Brother-Alex – und eben die Geschichten „Ins Abenteuerland“ und „Schweinejournalismus“, die von den Wonnen der Gruppe Pur handeln und deren „Heavy-Metal-Lied über Wut“, übrigens einer der ältesten Stuckrad Hüte, aber immer noch lustig, wenn auch ein wenig länglich.
Nicht nur hier fällt auf, dass Benjamin von Stuckrad-Barre vor allem ein Sammler und Beobachter ist, der von Klischees zehrt und das verwertet, was andere ihm freiwillig und dankenswerterwebe zur Verfügung stellen, wie er auch selbst gern konzediert. Die Promis und Peinlichen verlangen nicht einmal ein Honorar für den ungebremsten Party-Schwachsinn etwa bei der „Aids-Gala“ in Berlin, wo Stuckrad einerseits als Reporter für sein Stück „Being Götz Aismann“ recherchierte, andererseits selbst Objekt des Interesses war und von der „Bravo TV“-Sirene Enie van der Meiklokjes in die Toilette gezogen wurde. Dort, erfuhr man später von „Bild“, weihte er sie in die Geheimnisse der „halben Erektion“ ein, wusste allerdings selbst nicht, welche Technik die Meiklokjes – offenbar schwer angeschlagen – gemeint haben könnte. Jedenfalls Grund für einen Anruf bei Katja Keßler.
„Blackbox“, meldet „Amazon“ – mit dem Internet-Buchhändler kooperiert Stuckrad -, steht auf der Bestseller-Liste schon direkt hinter sämtlichen „Harry Potter“-Bänden. 100 000 Exemplare sind von der Erstauflage gedruckt worden: ein Chart-Erfolg, wie ihn der Pop-Freund Stuckrad von seinen Lieblings-Bands immer gefordert hat. Die stets fälligen Verisse werden diesmal von einigen wohlwollenden Besprechungen abgemildert, die des Dichters Melancholie würdigen.
Nun beginnt abermals die Ochsentour der Lesereise. Da wird er wieder für die Jugend arbeiten. Und sich nachher fragen, weshalb er noch immer den Clown gibt.