Im Dickicht des Jetzt
Wie Dietmar Dath und Rainald Goetz in ihren neuen Büchern die Gegenwart bearbeiten.
W“ieder kein Rainald Goetz“ – die Berliner „taz“ zeigte sich im Mai dieses Jahres nach Lektüre des neuen Suhrkamp-Herbst-Kataloges enttäuscht. Fast acht Jahre hat der vor allem in Medienkreisen hochverehrte Popautor nun schon nichts mehr veröffentlicht. „Dafür kommt ein neuer Dietmar Dath“, hieß es in der „taz“ weiter. Alles beim Alten also, denn einen neuen Dath gibt es ja jedes Jahr – mindestens einen. Im Herbst 2007 erzählte der Vielschreiber mir auf der Frankfurter Buchmesse noch, das nächste Projekt würde vermutlich etwas länger dauern – und ein Jahr später liegt dann doch schon ein neuer, fast 600seitiger Schinken am Messestand: „Die Abschaffung der Arten“.
Aber Moment! Daneben liegt auch ein neuer Rainald Goetz. In elegantem Blau gehalten, 429 Seiten dick. „Klage“ heißt er. Hinten drauf steht noch „Schlucht I“.
Der Beginn eines neuen Werkzyklus? Ein weiterer – ebenfalls etwas rätselhafter — Hinweis steht innen: „und müsste ich gehen/ in dunkler Schlucht// Buch 6“. Wo mögen die anderen fünf Bücher sein? Kommen die noch? Sind die schon geschrieben? Wir werdendie nächsten Verlagskataloge gespannt studieren.
Der Text der „Klage“ (Suhrkamp 22,80 Euro) ist so neu nicht mehr. Er erschien bereits im Internet, ist nichts anderes als der zwischen zwei Buchdeckel gezwängte Blog, den Goetz von Februar 2007 bis Juni 2008 auf der Website der Zeitschrift „Vanity Fair“ schrieb. Schon 1999 hatte Goetz erstmals ein Internettagebuch in Papierform veröffentlicht: „Abfall für alle“. Das war genau doppelt so dick. Damals gab Goetz an, er wolle den „Romaneines Jahres“ schreiben. Doch stattdessen reflektierte er über Tage, Wochen und Monate immer wieder das eigene Schreiben, riss neue Projekte an und kam – das hatte natürlich Methode — dem eigentlich anvisierten „Roman“ kein Stück näher. Es schien, als habe er sich in einen dieser Geistesmenschen verwandelt, wie sie sich durch die Texte von Thomas Bernhard grübeln. Auch die haben ja immer irgendwelche Studien im Kopf, an denen sie schließlich zugrunde gehen.
Goetz ist natürlich ein großer Bewunderer der Bernhardschen Prosa. Auch „Klage“ ist voll von Verweisen, Anspielungen und Lobreden an den großen Geschichtenzerstörer und Übertreibungskünstler. „Der größte Texthysteriker, Thomas Bernhard“, schreibt Goetz etwa im April 2007 unter der Überschrift „Holzfällen“, „hat den widernatürlichsten und schönsten Entwicklungsweg in seiner Kunst genommen: ist immer platter, immer deutlicher, immer zugänglicher geworden.“ Bei einem wie Goetz, der sich in jedes sprachliche Bild selbst aufnimmt und etwa auch unter dem Pseudonym „Goethe“ durch den „Klage“-Text geistert, ist das naturgemäß auch eine Selbstbeschreibung. Wie beim späten Bernhard hat man auch bei ihm öfter das Gefühl, dass da die Sprache wie eine Maschine angeworfen wird und selbstgefällig vor sich hinzuckelt, Gedanken nur anreißt, Personen halbherzig hinrichtet. Auf seinen Wegen durch Galerien, Gerichtsäle, Clubs und Theater ist nicht die Welt an sich, sondern die Versprachlichung von Welt sein Thema. Er inszeniert sich als großen Chronisten der Mediengesellschaft, disst deren Protagonisten, reflektiert ihre Methoden, verschwindet an einigen Stellen sogar ganz hinter der medialen Wirklichkeit. Dann lässt er die öffentliche Rede – wie er es in seinem Textgebirge „1989“ formulierte —“passiv durch sich hindurchgehen und vor sich entstehen“ und kommt seinem Ideal, Literatur zu schaffen, „die so ist wie Zeitung“, vielleicht am nächsten.
Im Gegensatz zu Goetz hat Dietmar Dath immer eine klare Trennlinie gezogen zwischen journalistischen Texten und Romanen. Das hat sicher auch mit seinem Werdegang zu tun. Während Goetz als Journalist begann und späterfiktionale Texte schrieb, begann Dath nur für Zeitungen und Magazine zu arbeiten, um sein Romanschreiben finanzieren zu können. Für ihn sind -wie schon sein großes Vorbild Charles Dickens formulierte – Zeitungstexte Auseinandersetzungen mit der materiell gegebenen Wirklichkeit, während die Romane eine Neuerschaffung von Wirklichkeit ermöglichen. Das geschieht bei Dath ausgehend von der Gegenwart, entlang der naturwissenschaftlichen Forschung. Science-Fiction nennt man das. Mit seinem neuen Werk „Die Abschaffung der Arten“ (Suhrkamp, 24,80 Euro) ist ihm-wenn man die öffentliche Resonanz betrachtet – wohl sein bisher größter Wurf gelungen.
Im Frühjahr schon erschien seine Streitschrift „Maschinenwinter“ (Edition Unseld, 10 Euro), in der der bekennende Kommunist den herrschenden Spätkapitalismus mithilfe von Darwin und Marx kommentiert. Die ökonomische, gesellschaftliche und biologische Entwicklung der Gattung Mensch seien nicht abgeschlossen, schreibt er hier. „Wenn die Gattung so ist, wie ich sie beschreibe, hat jedes einzelne Exemplar derselben das unbedingte Recht, sein gattungserschaffendes und überschreitendes Potential zu entfalten, soweit es eben kann. Das Interessanteste, was Menschen herstellen können, ist die Menschheit.“ Im Verlauf des Textes beginnt Dath mit Möglichkeiten zu spielen und bereitet schon den Weg für einen großen spekulativen Entwurf, den er – der von sich selbst behauptet, er schreibe so viel, weil er mit dem jeweils Geschriebenen nicht zufrieden sei – dann mit „Die Abschaffu ng der Arten“ auch direkt vorlegt.
Dort beschreibt Dath allerdings eine Welt, in der der Mensch schon zu den bedrohten Arten gehört. Die Gente, eine Art vernunftbegabte Tiere, die mithilfe von Duftstoffen kommunizieren, haben sich aus seiner Herrschaft – „der großen Langeweile“ – befreit. Sie leben dort, wo früher einmal Europa war, in einem aus drei labyrinthischen Städten bestehenden Staat. Dieser wird regiert vom (meist schlafenden) Löwenkönig Cyrus Golden. Doch im ehemaligen Südamerika erhebt sich ein neuer, übermächtiger Gegner, und Cyrus Golden schickt den treuen Wolf Dimitri als Diplomaten über den Ozean, um einen Verbündeten gegen die neue Gefahr zu suchen.
„Ich mag Künstliches, es kommt im günstigsten Fall von der Hochzeit zwischen Vernunft und Kunst“, erklärt Dath auf seiner Website die Motivation für seinen Roman. „Also nehme ich eine Sache her, die der Inbegriff von Natur ist: die wilden Tiere, und wie ihre Sorten einander ablösen, wie sie entstehen und vergehen, Evolution— und mache daraus einen Vorgang im Triangulationsfeld von Wissenschaft, Technik, Kunst.“
Insgesamt umfasst die Handlung von „Die Abschaffung der Arten“ einen Zeitraum von etwa 1500 Jahren, in denen Herrscher gestürzt werden und ganze Zivilisationen untergehen. Dath scheint die gesamte Natur- und Kulturgeschichte ausbreiten zu wollen und scheucht den Leser durch die Referenzhölle, zitiert Darwin und Ezra Pound, Shakespeare und Nietzsche, Orwell und Wells. Doch man sollte die Herausforderung an nehmen und sich auch durch die geschwätzigsten, enervierendsten und naseweisesten Passagen kämpfen, denn Dath verhandelt hier nicht nur ziemlich menschliche Probleme und äußerst gegenwärtige Fragestellungen, seine Romanwelt ist auch erfüllt von großer Komik und Schönheit. „Die Abschaffung der Arten“ ist nämlich vor allem eine anrührende Liebesgeschichte (oder besser: mehrere). Und Rainald Goetz kommt, wie Dath in einem Interview mit der— natürlich – „Vanity Fair“ offenbart hat, auch vor in dem Roman. Sein Name ist dort Huan-Ti – „ein weißer Tiger mit furchtbarem Brüllen sowie einer Vorliebe für lange Nächte und träge Tage“.
bei Blondie und — so man Beeber glauben darf- Partner beim Sex neben einer „Nazifahne, deren roter Hintergrund einen perfekten Kontrast zu Debbies blondem Haar bildet“. Debbic über Chris: „Er liebte Frauen und fürchtete sich nicht vor ihrem Intellekt, und das ist eine wunderschöne Kombination, die sehr selten ist… in dieser Beziehung sind die Juden ganz vorne.“
Die überwältigende Mehrheit der NY-Punk-juden versteht sich als säkular. Beeber zitiert eine Untersuchung, nach der zehn Prozent der amerikanischen Katholiken und 21 Prozent der Protestanten nicht an Gott glauben. Bei den Juden sind es 52 Prozent. Dieser sympathischen Mehrheit wegen beharrt Beeber auf dem Unterschied zwischen kulturellen und religiösen Juden. Doch auch wennsie die Religion nicht praktizieren, auch wenn sie atheistisch erzogen wurden, aus ihrer Geschichte kommen sie nicht raus: Ausgrenzung, Vertreibung, Verfolgung, Ermordung. In keiner Stadt außerhalb Israels ist die kollektive Erfahrung der Judenverfolgung so präsent wie in Manhattan, in keiner Stadt prägt Jewishness die Künste stärker als hier, Punk inklusive.
„Die Verurteilung des Macho, die Identifikation mit dem Geisteskranken und die Zurückweisung des Anti-Intellektualismus der Hippies waren integrale Bestandteile „Heebie-Jeebies des New Yorker Punk und mit seinem jüdischen Mileu verbunden.“ So steht es im Kapitel über das „sonderbare Kind“ mit dem „vertrottelten Ausdruck“ aus dem Bostoner Vorort Natick, das nach New York pilgert zu seinem Ersatzvater Lewis Allen Rabinowitz. Das sonderbare Kind ist Jonathan Richman, der Ersatzvater ist Lou Reed. Der hatte ja auch mal als Lohnschreiber angefangen in der Songfabrik im Brill Building, inspiriert vom Doo Wop, dieser „Musik der Straße, die so demokratisch und D.I.Y. war, wie es nur ging“.
Während Heeberdie optimistische Musik-als-Schmelztiegel-Story recyclet, klingt das bei seinem jüdischen Kollegen Richard Meltzer schon sarkastischer: „Weißt du, wie man eine perfekte Gruppe zusammenstellt? Du nimmst einen Schwarzen, der den Rhythmus liefert, einen Italiener, der den Song singt, und einen Juden, der die Texte schreibt und arrangiert.“ Tatsächlich sind es Juden, Italiener und Afroamerikaner, die in der Blütezeit von Doo Wop und Brill Building Pop scheinbar reibungslos zusammenarbeiten, als wäre der Melting Pot ein Whirlpool der produktiven Verausgabung. Der kahlköpfige Jude Jerry Leiber sagt: „Ich fühlte mich nicht nur schwarz. Ich war es, davon war ich fest überzeugt.“ Blondie-Produzent Richard Gottehrer erklärt: „Die jüdische Kultur ist sehr gefühlvoll. Sie ist voller Geist. Das Gleiche findet man in der afro-amerikanischen Kultur. Irgendwo in uns ist das Prinzip der Sklaverei tief eingebrannt. Erst wurden wir in Ägypten versklavt, dann wurden wir als Juden aus dem Osten vertrieben… Auch die Afro-Amerikaner wurden hierher verschleppt und nicht in die Gesellschaft integriert. Sie erarbeiteten sich sozusagen durch ihre Musik den Wegin die Gesellschaft.“ Dieses Gefühl einer teilbaren Erfahrung des Ausgestoßenseins unter Juden und Schwarzen verschwindet allmählich aus der Erinnerung. Davon erzählt Alan Vega, Sänger der grandiosen Suicide, deren Schocky-Horror-Ästhetik Camouflage war für eine grundgute linkssäkular-humamstisehe Nuyorican Jewishness. Er habe es gehasst, wie organisierte Religionen Feindschaften erschaffen, sagt Vega: „Ohne die Teilnahme und das Geld von Juden hätten die NAACP und viele andere schwarze Organisationen niemals ihre Arbeit aufnehmen können. Darum macht es mich wahnsinnig, wenn die Kids heute Farrakhan zuhören und über die Juden herziehen. Das zerreißt mir das Herz.“