„I’m a big, fat jew, worth 180 million!“
Miramax, Weinstein, Tarantino, Soderbergh: Peter Biskind schildert in seinem Buch "Down And Dirty Pictures" das (nicht so) unabhängige Filmgeschäft
Für Harvey Weinstein war die Oscar-Verleihung 2004 eine traurige Angelegenheit. Der Miramax-Chef hatte 1996 die Gelegenheit, die „Herr der Ringe“-Filme zu produzieren. Gemeinsam mit Bruder Bobs Dimension Films (die „Scream“ herausbrachten) waren die Vorbereitungen für zwei Filme zu 75 Millionen Dollar getroffen, Regisseur Peter Jackson hatte eingewilligt. Doch dann stiegen die zu erwartenden Kosten auf 140 Millionen und Disney, die Mutterfirma von Miramax, glaubte nicht an die Unternehmung. Weinstein musste passen, forderte von Jackson sofort zehn Millionen Dollar zurück und sah zu, wie der Australier später drei Teile der Saga verkaufte.
Acht Jahre später gewann „Die Rückkehr des Königs“ elf Oscars. Harvey, wie stets auf den vordersten Sitzen im Auditorium, wurde immerhin von Renee Zellweger gedankt, die den Preis für als beste Nebendarstellerin in „Cold Mountain“ gewonnen hatte, der ansonsten chancenlosen Miramax-Produktion, die Anthony Minghella für 80 Millionen Dollar inszeniert hatte.
Lebenspraller, wüster und dramatischer als die Miramax-Edelschnulzen ist das Treiben von Harvey Weinstein, wie es Peter Biskind in „Down And Dirty Pictures: „Miramax, Sundance And The Rise Of Independent Film“ (Simon & Schuster, ca. 30 Euro) mit Freude am Detail beschreibt Biskind hatte vor vier Jahren mit „Easy Riders, Raging Bulls“ die bizarre Skandalchronik des New Hollywood vorgegelegt, eine beispiellose Herkulesarbeit voller Zitate und Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt von den Protagonisten vehement bestritten wird, obwohl Scorsese, Beatty, Schrader, Coppola und Bogdanovich (von weniger berühmten Filmschaffenden zu schweigen) als Zeugen auftreten. „Easy Riders“ belegt eindrucksvoll, wie zwischen Hybris, Drogen, Sex, Intrigen und Paranoia die erstaunlichen Filme der 70er Jahre entstehen konnten, bis „Star Wars“ und „Heaven’s Gate“ die Ägide der Regisseure beendeten.
„Down And Dirty Pictures“ setzt 1989 an, mit dem überraschenden Triumph von Steven Soderberghs „Sex, Lügen und Video“ beim Sundance Film-Festival in Utah. Biskind sieht darin die Initialzündung für die Kommerzialisierung des Independent-Kinos wie auch für den Niedergang des Sundance-Gedankens, jener Idee von Robert Redford, nach der Filmemacher ihre unabhängig produzierten Arbeiten einmal im Jahr auf dem Festival vorstellen und verkaufen können. Außerdem gibt es heute einen Regie-Workshop, einen Fernsehkanal, eine Ferienhaus-Siedlung, einen Warenkatalog, alles unter Redfords Sundance-Gütesiegel. Da muss etwas faul sein.
Nun zeigt Biskind mit tätiger Hilfe von Soderbergh die Lichtgestalt Redford nicht als hehren Gutmenschen und Ermöglicher, sondern als passiv-aggressiven, egoistischen und überforderten Schöngeist, der von Speichelleckern umgeben ist, die hoffen, auch auf sie möge ein wenig von Redfords Sonne fallen. Aber ach, der Held macht stets nur Versprechungen, verschwindet dann zum Drehen und ruft nie zurück; natürlich war er auch für Biskind nie zu sprechen. Dafür wechselt Redford dauernd das idealistische Personal und hat einen konservativen Geschmack, was Filme anlangt. Deshalb, so Biskind, eignet seinen Regie-Arbeiten
„Quiz Show“, „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“, „Der Pferdeflüsterer“ – allesamt diese glatte, nostalgieselige Ästhetik, und deshalb dient das Festival einer Art sozialem Wohlfühl-Kino. Redford: der rätselhafte Zauderer, den er 1972 in „Billy McKay – Der Kandidat“ gespielt hat (und den er eigentlich immer spielt).
Anders ab dem blonden, charismatischen Sensibilisten kam es Harvey Weinstein nicht immer auf Qualität an. Seit Ende der 70er Jahre kaufte und verramschte der Mann aus Queens billige Filme, bis er in den Achtzigern ausgerechnet bei europäischen Arthouse-Filmen wie „Scandal“ und „Mein linker Fuß“ merkte, dass man auch mit vermeintlicher Kunst viel Geld verdienen kann. Seitdem arbeitet Weinstein an seiner Legende als „Harvey mit den Scherenhänden“, der rücksichtslos Filme umschneidet, die Konkurrenten beim Bieten um die Rechte ausländischer Filme bedroht; der seine Mitarbeiter terrorisiert, schlecht bezahlt und spontan feuert, wenn sein Stuhl nicht reserviert ist; der Regisseure und Schauspieler einschüchtert und erpresst (und ihnen dann ihren Verdienst vorenthält); der die Teilnehmer einer Konferenz acht Stunden in einem Raum einsperrt, derweil er zwischendurch zum Essen geht (die Reste der bestellten Imbiss-Happen verleibt sich später wiederum Weinstein selbst ein – „wenn sonst keiner mehr will?“).
Die Liste der Miramax-Opfer ist lang und ehrwürdig: Weinstein schnippelte an Neil Jordans „The Crying Game“, Bertoluccis „Little Buddha“, Billy Bob Thorntons „Sling Blade“ und „All die schönen Pferde“ (den er laut Matt Dämon als epische Romanze mit Musik von U2 verkaufen wollte), Todd Haynes‘ „Velvet Goldmine“, James Mangolds „Cop Land“ (dem er ein versöhnlicheres Ende oktroyierte), natürlich Scorseses „Gangs Of New York“. Weinsteins unantastbares Wunderkind ist Quentin Tarantino, der seit „Reservoir Dogs“ freie Hand hat und sich als infantiler Star gebärdet. Mit „Pulp Fiction“ wurde Miramax zur begehrtesten, bekanntesten und coolsten Produktionsfirma. Tarantino lebt, so die Regisseurin Allison Anders, in einem Spielzeugland und schwadroniert über die Homoerotik in „Top Gun“.
„Good Will Hunting“ war eine der erfreulichsten Miramax-Produktionen. Matt Damon und Ben Affleck hatten vier Jahre an dem Drehbuch gearbeitet, der Film setzte in den USA 120 Millionen Dollar um. Harvey brachte den Freunden eines Tages einen Koffer. „Habt ihr schon mal eine Million Dollar gesehen?“ Jeder der beiden bekam immerhin die Hälfte.