Ihre Musik wollen die CHEMICAL BROTHERS nicht nur in Clubs gespielt wissen. Auch im Auto oder Badezimmer funktioniert ihr Elektro-Gemisch
Von den noblen Suites des Royal Garden Hotel hat man einen schönen Ausblick: Vom Areal der Nobelherberge im Londoner Stadtteil South Kensington schweift der Blick über das weite Grün des Hyde Park tief hinein in den Nordwesten der Stadt. Wer mit den Chemical Brothers Tom Rowlands und Ed Simons über ihre neueste Beat-Kollektion sprechen will, muss hierher kommen. Rowlands, ohnehin kein Freund von Promo-Reisen, ist just zum ersten Mal Vater geworden, und so werden Medienvertreter aus ganz Europa in national sortierten Schichten an die Themse gebracht, der räumlichen Nähe wegen.
Hier entstand in den vergangenen 18 Monaten der Nachfolger zum 1999 erschienenen „Surrender“. Mit ihrem dritten Werk hatten die Chemical Brothers die Block Rockin‘ Beats der vorigen Jahre ein wenig relativiert und damit endgültig all jene Apologeten zum Schweigen gebracht, die das Elektro-Duo aus Manchester einst an der Spitze einer musikalischen Revolution sehen wollten, an deren Ende DJs die neuen Popstars und Rock tot sein sollte. „Ein Blödsinn, sagt Ed kopfschüttelnd. „‚Kill Rock’n’Roll‘ war ganz bestimmt nie unsere Parole, und es bereitet mir auch wirklich keine schlaflosen Nächte, dass Aerosmith und Konsorten noch immer mit ihrem alten Ding erfolgreich sind.“ Er grinst. „“Ganz ehrlich: Ich gucke mir doch auch lieber Radiohead oder Oasis an, als bloß einem DJ beim Plattenauflegen zuzuhören.“
Eine Revolution ist mit diesen Typen ohnehin nicht zu machen. Ed und Tom, deren nicht eben auf die letzten Modetrends abonniertes Outfit eher auf spakige Probekeller und Gitarren anstatt auf hippe Clubs und DJ-Pulte schließen lässt, sind britische lads, die einst an Rock und Elektro-Pop sozialisiert wurden – bevor die Club-Sommer 1989/90 sie wie der Blitz trafen und zu einem Grenzgang motivierten, der an allen extremen Positionen vorbei führt. „“Kein großes Elektro-Album hat einen eng gefassten Blick darauf, was Dance und Techno eigentlich zu sein hat“, doziert Tom. „Du musst die Formen mit Leben füllen, ganz so wie ein Dichter seine Versmaße. Wir wollten immer Platten machen, die perfekt im Club funktionieren, aber trotzdem eine Identität, einen Sound haben, der nicht nur funktional ist. Unsere Musik kannst du im Club genauso gut hören wie in deinem Auto oder während du ein Bad nimmst.“
Eine Prämisse, die die Chemical Brothers auf ihrem neuen Werk noch deutlicher umsetzten als bislang. Wer den Brüdern willig folgt, den fuhren sie auf „“Come With Us“ tief hinein in genau konturierte Klangwelten aus kaleidoskopischen Psychedelik-Trips und pathetischer Art-Rock-Grandezza, deren elektronisches Design sich gut verträgt mit den obligaten, klassisch organisierten Dance- und House- Tracks, die freilich zu jeder neuen Beat-Kollektion der Chemical Brothers gehören. „“Nein, wir haben keinen Plan, wenn wir eine Platte machen“, beantwortet Ed die Frage nach Konzepten, „“das Leben wäre wesentlich einfacher, wenn wir einen hätten. Die Wahrheit ist, dass es für uns eine sehr intuitive, ungeregelte Sache ist, Musik zu machen. We just go into the Studio and Start messing around.“
Letzteres bekanntermaßen gern mit fremder Hilfe. Für das neue Album baten Tom und Ed ihre alte Freundin Beth Orton vors Mikro. Das zum dritten MaL Orton veredelte schon auf den ersten zwei Alben einige Beats, und die seltsame Symbiose aus dem schönen Organ der fragilen Wunderdame und diesen psychedelisch wummernden Synths der Chemical Brothers macht „The State We’re In“ zu einem Höhepunkt von „Cotne With t/s“. „Beth ist eine alte Freundin“, erklärt Ed den neuerlichen Einsatz Ortons. „Wir kennen uns sehr genau, und es gibt kein Eis zu brechen. Das macht eine Zusammenarbeit sofort zu einer sehr persönlichen, intimen Sache.“
Doch noch jemand folgte der Einladung von Tom und Ed: Der ehemalige Cheft von The Verve, Richard Ashcroft, stellte sich für den Big-Beat-Wirbel „“The Test“ der Auseinandersetzung mit den Apparaten. „“Wir hatten schon lange den Wunsch, seine leidenschaftliche Stimme mal gegen steif programmierte Drums zu hören“, erklärt Tom und freut sich über das gelungene Experiment. „Dabei zu sein, wie er der Atmosphäre des Songs eine Stimme gibt, war schon ein großartiges Erlebnis.“
Und um großartige Erlebnisse, sagen Tom und Ed, gehe es bei den Chemical Brothers immer in erster Linie. „“Während wir etwas tun, wissen wir nie, was es ist“, behauptet Ed. „Wir suchen nicht nach Verweisen oder cleveren Zitaten, und wir sind auch nicht Fatboy Slim, der erst einmal 500 uralte Platten sampelt, bevor er dann neue Songs daraus macht. Wir reagieren im Grunde bloß auf interessante Situationen, die uns selbst begeistern.“ Er nickt, über die eigene Ansprache sinnierend. „“Das ist eigentlich alles: Was wir hören, muss uns begeistern.“ Nicht das schlechteste Kriterium.