„Ich möchte keine Lachnummer sein!“
Mit vulgären Sprüchen und provokanten Auftritten kämpft Lady Bitch Ray gegen multikulturelles Spießertum - clevere Inszenierung oder echte Rebellion? SOUNDS fühlte der Rapperin und angehenden Doktorandin auf den Zahn. Ein Gespräch über Ruhm, Rebellion, Sexismus und Provokation...
Geht dir dein Image, demzufolge du Tabus brichst und gegen alles und jeden rebellierst, nicht langsam auf die Nerven?
Das ist ja gar kein Image, sondern die Wahrheit. Ich fühle mich als Rebellin, das ist meine Natur.
Aber provozierst du nicht mehr als dass du rebellierst? Beziehungsweise: Worin liegt da der Unterschied?
Die Rebellion ist tiefgründiger und anspruchsvoller. Provozieren kann eigentlich fast jeder. Um zu rebellieren, musst du gelebt haben und von den Umständen geprägt worden sein. Ich möchte etwas für die türkischen Frauen erreichen, und um das zu können, muss ich deren Probleme kennen. Ich mache Rap auch deswegen, weil ich dabei Dinge anspreche, die andere sich nicht trauen anzusprechen. Tabus wie die Sexualität von jungen türkischen Frauen. Dabei thematisiere ich auch Klischees wie Zwangsheirat und Ehrenmorde, die eben leider auch Realität sind.
Warum fühlst gerade du dich dazu berufen?
Es ist kein Zufall, dass all das von einer Türkin ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wird. Ich war schon immer offensiv, das hat bereits im Kindergarten begonnen. Aber ich muss ehrlicherweise zugeben, dass es mit meinem Elternhaus keine Probleme gab. Meine Musik und meine Kleidung wurden geduldet, weil ich gleichzeitig einen klaren Bildungsweg verfolgte. Aber ich musste trotzdem kämpfen. Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen und habe Eltern, denen ich immer etwas beweisen musste. Das muss ich auch heute noch.
Aber deine Musik war damals in den Medien noch nicht ansatzweise so präsent wie heute…
Ich mache das seit vierzehn Jahren. Seit zwei Jahren habe ich Erfolg. Jahrelang habe ich keinen Plattenvertrag erhalten, weil ich mich vor den A&Rs konsequent so verhalten habe wie ich nun mal bin. Diese Business-Menschen habe ich reihenweise verjagt. Viele von denen haben gesagt, dass ich es niemals schaffen werde.
Also warst du von Anfang an auf Konfrontation aus?
Nein, ich habe gar nichts Besonderes gemacht. Ich hatte einfach nur meinen Stil. Der war allerdings unerwünscht und führte dazu, dass ich jahrelang ins Leere gearbeitet habe. Aber ich hatte mir trotzdem immer vorgenommen, ganz nach oben zu kommen.
Was heißt denn „ganz nach oben“ – wo ist das für dich?
Ich will Platten verkaufen. Ich will Bücher schreiben. Ich will jemand sein, den man kennt und der durch Erfolg eine gute Position erreicht. Ich will die erste Frau im deutschen Rap sein, die das Bitch-Ding mit Stil zelebriert und dabei auch eine politische Message hat.
Was zeichnet eine Rebellion eigentlich aus?
Rebellion muss einen Kampf beinhalten. Den schwierigsten von zehn möglichen Wegen zu gehen. Rebellen sind Menschen, die bereit sind, manche Wege auch einsam zu bestreiten und zu akzeptieren, dass es ihnen dabei nicht immer gut geht.
Das beinhaltet ja, dass Rebellion stets auch ein Ziel verfolgt. Welches hast du denn – außer Geld und Erfolg?
Geld ist gar nicht das erste Ziel. Okay, Ruhm ist mir wichtig. Aber auch nur deswegen, um ein Standing zu erreichen, das es mir ermöglicht, dass mir viele Leute zuhören. Ich will eine Person sein, die man respektiert. Ich möchte keine Lachnummer sein.
Aber siehst du nicht auch die Gefahr, missverstanden oder überhaupt nicht verstanden zu werden?
Zum Glück gibt es genug Menschen, die mich verstehen. Spannend ist auch, dass viele Leute zwar nichts mit Rap anfangen können, meine Musik aber trotzdem mögen, weil sie begreifen, was ich meine. Ich will niemanden missionieren. Aber wenn ein Mädchen mit Abitur in einer Fernsehsendung sagt, ich sei ihr Vorbild, dann finde ich das schon gut.
Rebellion durch Bildung?
Bildung ist die Lizenz zum Rebellieren. Wir leben in einer Gesellschaft, in der du es dir als Frau nicht leisten kannst, nur zu rebellieren ohne einen entsprechenden Bildungshintergrund zu haben. Dabei muss ich nun mit Anfeindungen übelster Art leben. Und zwar von beiden Seiten: aus der deutschen Gesellschaft und auch aus der türkischen Gemeinschaft, die meint, ich sei eine Schande für das türkische Volk.
Siehst du eigentlich irgendwelche Parallelen zur Schauspielerin Sibel Kekilli? Ihr bewegt euch in einem ähnlichen Kontext, zumindest was sexuelle Tabus betrifft.
Sie ist keine Rebellin. Ich habe eine politische Message und habe mich mit vielen Perspektiven auseinander gesetzt. Ich glaube, dass dies bei ihr nicht der Fall ist. Ich will sie nicht schlecht machen. Aber als sie plötzlich im Licht der Öffentlichkeit stand, fehlte mir das Statement. Da kam gar nichts, und das habe ich bedauert. Sie hätte als Vorbild für türkische Frauen dienen können.
Wie vereinst du eigentlich die Kunstfigur Lady Bitch Ray und die Privatperson Reyhan Sahin?
Ich bin ein Mensch mit zwei Seiten. Ich fände es gefährlich, wenn ich sie trennen würde – das würde an Schizophrenie grenzen. Ich kann diese Rollen auch gar nicht trennen, dass können die Leute, die mich näher kennen, bestätigen. Das ist alles ein Teil von mir. bloß.
Das nimmt man dir aber nicht so leicht ab. Du weißt doch ganz genau um die öffentliche Wirkung, wenn du in Talkshows dein Vokabular abspulst.
Das ist einfach so gekommen, wirklich. Wenn dann nur meine Zitate übrig bleiben, dafür kann ich nichts. Ich rede auch privat so wie in meinen Texten, das ist meine normale Sprache. Im Unterbewusstsein weiß ich natürlich, dass sich die Leute darüber aufregen werden, aber das ist mir egal. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, warum mir so oft eine Strategie unterstellt wird, und warum das bei männlichen Rappern nicht getan wird.
Kannst du dir vorstellen, mal einen Gang runter zu schalten?
Durchaus. Wenn der Erfolg da ist. Wenn ich älter bin, werde ich wohl auch ruhiger werden. Nina Hagen schreit auch nicht mehr so herum wie früher.
Wie denkst du über sie, habt ihr etwas gemeinsam?
Ich habe ihr mal vor Jahren eine meiner CDs gegeben, aber da ka nie etwas zurück. Wir haben insofern etwas gemein, dass wir beide krass sind. Aber sie hat eben nicht meine Herkunft und Geschichte. Sie ist cool, lebt aber irgendwie in einer anderen Welt.
Ihr hattet jeweils einen großen Talkshow-Auftritt im Fernsehen, zwischen denen rund 30 Jahre liegen, die aber beide ähnlich intensiv diskutiert wurden. All zu viel hat sich im Laufe der Zeit im prüden Deutschland also doch nicht geändert, oder?
Stimmt. Ich hatte neulich auch in so einer Web-TV-Serie einen Auftritt, den ich feministisch und gut fand. Aber weil ich da explizit gesprochen habe, wurde das schnell wieder offline gesetzt. Ein paar Tage vorher hatte Sido ebenfalls eine Gastrolle in der Serie. Er und seine Jungs, absolut sexistisch. Aber das haben sie nicht runtergenommen. Damit komme ich nicht klar, das verstehe ich nicht. Ich bin vulgär, aber er ist vulgär und sexistisch.
Überziehst du, um bestimmte Ziele zu erreichen?
Ich überziehe, weil ich so bin. Es steckt keine Strategie dahinter.
Und wann wäre deine Rebellion gescheitert?
Sie ist erst dann gescheitert, wenn ich den Leuten egal bin.
Lady Bitch Ray
…heißt eigentlich Reyhan Sahin und wurde 1980 gls Tochter türkischer Eltern in Deutschland geboren. Nach dem Abitur studierte sie Linguistik, Germanistik und Sexualpädagogik, ihr Studium schloss sie mit dem Magister ab. Sie arbeitete u. a. als Moderatorin bei Radio Bremen und als Dozentin an der Uni Bremen. Zurzeit promoviert sie zum Thema „Semiotik der Kleidung“. 2008 war sie neben Moritz Bleibtreu im Kinofilm „Chiko“ zu sehen, wo sie eine Prostituierte spielte. Sie selbst versteht sich als Rollenmodell einer Bewegung, die sie „Bitchism“ nennt und die junge Frauen emanzipieren soll, indem sie gesellschaftliche Tabus bricht – insbesondere durch den demonstrativen Umgang mit ihrer Sexualität. Für Aufsehen sorgten ihre TV-Aufritte bei Sandra Maischberger und Harald Schmidt. Nach drei EPs wird noch in diesem Jahr ihr Debütalbum „Die Aufklärung nach Emmanuelle Cunt“ auf ihren eigenen Label Vagina Style Records erscheinen. Darauf will sie nicht nur mit sexuell-provokanten Songs aufregen, sondern auch politischer als bislang gewohnt auftreten. Für Anfang nächsten Jahres plant sie zudem eine Buchveröffentlichung.