„Ich bin und bleibe wohl auch bis zu meinem Lebensende ein Eigenbrötler“: Zum 80. Geburtstag von Hans-Joachim Roedelius
Anlässlich seines 80. Geburtstags sprach Hans-Joachim Roedelius mit Markus Brandstetter über Feierlichkeiten, Neuerscheinungen, seinen Einfluss auf die elektronische Musik, seine Arbeit mit Brian Eno und vieles mehr.
Er war und ist eine der ausschlaggebenden Figuren der elektronischen Musik. Mit Projekten wie Cluster und Harmonia sowie Arbeiten mit Brian Eno war er genreweisend (siehe auch: Ambient, Krautrock), mit dem Zodiak Free Arts Lab schuf er Anfang der 1960er Jahre in Berlin einen spannenden Kulturraum, und auch im Alter von 80 Jahren ist Hans-Joachim Roedelius hochaktiv auf seiner Suche nach Sound. Seine Discographie ist so umfangreich wie seine Biographie – zweitere bringt Roedelius gerade in Buchform, einen Auszug davon stellte der Musiker, Autor und Maler uns zur Verfügung.
Erst einmal herzliche Gratulation zum 80. Geburtstag! Ich nehme an, es gibt eine Menge an Programm, das du anlässlich der Feierlichkeiten absolvierst?
Herzlichen Dank. Am 26. Oktober lese ich in Dresden aus meiner Autobiographie, am Tag davor absolviere ich einen Auftritt beim „Supermassive Festival“ in Helsinki, nachdem ich davor mit Christopher Chaplin zwei Konzerte in Brasilien spielen werde, aber insgesamt ist eine Menge los in den Tagen bis zum Ende des Jahres.
Zu deinem Geburtstag erscheint eine Edition namens „Roedelius Tape Archive 1973-1978“ – Ideen, Fragmente, Skizzen, die einen Einblick in deine musikalische Art zu denken geben. Erzähl doch ein wenig darüber.
Mit dieser, von Bureau B sehr edel gestalteten Sonder-Edition, wird noch einmal in Erinnerung gerufen, in welcher Weise ich begonnen habe, solistisch zu arbeiten, wobei in dem beiliegenden Hochglanzbooklet, das ich (500 Stück) hier in Baden handsigniert habe, vor allem für jene Käufer, die noch nichts von mir wissen, ausführlich auf die äußeren Umstände meiner damaligen Arbeit hingewiesen wird mit bisher unveröffentlichten Fotos. Forst, wo diese Musiken entstanden, war nach dem Wahnsinn des jahrzehntelangen Herumwandernmüssens nach der Evakuierung aus Berlin 1943 zunächst gewissermaßen das Paradies für mich. Ich beschreibe es in meiner Autobiografie folgendermaßen:
In Forst, mittlerweile, wegen des Ausstiegs von Schnitzler aus Kluster, mit Moebius nur noch zu zweit als „Cluster“ künstlerisch zugange, aber auch in der für etwa drei Jahre existierenden Formation „Harmonia“, zusammen mit dem aus den Gruppen „Kraftwerk“ und „Neu“ ausgestiegenen Gitarristen Michael Rother, beginnt endlich eine Zeit der Ruhe und des Friedens für mich, die ich in den ersten beiden Jahren gänzlich mit der Renovierung des mir/uns von einer Stiftung überlassenen, seit Jahrzehnten leerstehenden Wohntrakts in einem mittelalterlichen Stein-und Fachwerkhaus verbringe, mit dem Legen von Trinkwasserzu- und Schmutzwasserableitungen, dem Herausreissen von Zwischenwänden, dem Bau einer Innentoilette und eines Bades, mit dem Sammeln, Anschleppen, Zerkleinern und Aufstapeln von Bruchholz zu Meilern für die Winterzeit, dem Anlegen eines kleinen Gemüsegartens, dem Pflücken von Früchten freistehender Obstbäume, Pilze-und Wildfrüchte-sammeln in den umliegenden Wäldern, dem Machen und Konservieren von Marmeladen, dem Mahlen von Mehl mit einer Handmühle, Backen von Brot usw. Hierher kommt Christine, die Frau, die ich 1974 heirate und die hier 1975 unser erstes Kind in einer Hausgeburt vor offenem Kaminfeuer zur Welt bringt; Hier „schreibe ich“ meine ersten, später unter dem Namen „Selbstportraits“ herauskommenden Musiken nächtens auf Tonband in einem provisorischen Studio, im Sommer bei offenen Fenstern, mit dem Schnauben der Pferde auf der Wiese davor im Ohr dem Plätschern des Wassers des vorüberziehenden Flusses, den Geräuschen der Blätter von Eschen, Espen und Pappeln im Wind, die das Haus umsäumen. Kurzum, eine paradiesische Situation die sich aber in einen Alptraum verwandelt, als bekannt wird, dass am flussaufwärts liegenden Atomkraftwerk Würgassen offenbar schon seit Jahren an einem Dauerschaden laboriert wird, welchen man aber nicht unter Kontrolle bekommt, mit dem Ergebnis, dass vor allem die Kinder im Umkreis, bis weit die Weser hinauf vor allem aber, wegen des kontaminierten Weserwassers hinunter an Leukämie erkranken und viele davon sterben.
1978 – 2014
Wir flüchten deshalb, vor allem um unser Kind vor der Gefahr Krebs zu bekommen zu bewahren, 1978 panisch aus dieser, von mir bis zu diesem Zeitpunkt als einzig wirklich brauchbares Lebensmodell, empfundenen Idylle, wo allerdings bereits eine Mitbewohnerin an Krebs erkrankt war und nach unserem Auszug nacheinander zwei andere Mitbewohner daran sterben, nachdem „Harmonia“ dort mit Brian Eno noch eine Produktion angefertigt hat und lassen uns im Geburtsort meiner Frau im niederösterreichischen Blumau bei Baden nieder. (Auszug aus der Autobiographie von Hans Joachim Roedelius, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)
Eine Beschreibung, die mit deinem Namen oft einhergeht ist das Wort „Elektro-Pionier“. Wenn du dir moderne Elektronik- und Popmusik anhörst: wo hörst du deinen Einfluss heraus?
Ob es möglich ist MEINEN Einfluss herauszuhören, das bezweifle ich sehr, aber grundsätzlich ist wohl keines der Genres, die im Gefolge unserer Pionierarbeit das Ohr der Welt erreicht haben, unbeeinflusst von dem, was wir als neue Musik in die Welt gesetzt haben.
Ich habe gelesen, dass du einmal auf einem U2-Konzert warst und danach The Edge einen Brief geschrieben hast, in dem du dich über die Lautstärke beschwert hast. Wie fandest du eigentlich den neuartigen Vertriebsweg, den U2 (und Apple) für deren neues Album gewählt haben? Wie siehst du die Zukunft des Musikvertriebs?
Ich bin und bleibe wohl auch bis zu meinem Lebensende ein Maverick, ein Eigenbrötler, dem, was Markt, Vertrieb kurzum das Business anbelangt, ziemlich schnuppe ist, was da passiert, was gut oder schlecht sein soll. Aber ein Produkt aus der eigenen künstlerischen Arbeit, sei es Musik, oder was Geschriebenes online verfügbar zu machen und zumal zu einem Preis, der bei der normalerweise üblichen Veröffentlichungsart über ein Label, Verlag oder wie auch immer, nicht möglich wäre, das ist schon eine Überlegung wert. Man könnte das Copyright behalten und somit das jeweilige Produkt auch deshalb zu einem weit günstigeren Preis anbieten. Insgesamt kommen sowohl der Käufer als auch der Verkäufer auf diese Weise zu einem weit besseren deal als wenn es über den normalen Veröffentlichungs-Vertriebs-Verkaufsweg geht.
1969 hast du gemeinsam mit Conrad Schnitzler und Dieter Moebius Kluster gegründet – damals kam gerade der Begriff „Krautrock“ auf. Ich weiß, dass du diese Schublade nie besonders mochtest – dennoch: Was verbindest du heute mit dem Begriff?
Mit Bezug auf das eben Gesagte: Den Krautrockbegriff braucht das Musikbusiness, insofern bin ich froh dass es ihn gibt, denn sonst wären wir wohl weit weniger Produkte losgeworden, als es tatsächlich der Fall war und wohl auch immer noch ist.
Legendär sind auch deine Arbeiten mit Brian Eno in diversen Konstellationen – was ist dir aus eurer Zusammenarbeit besonders in Erinnerung geblieben?
Die Gegensätzlichkeit der Arbeitsweisen, des Verständnisses von Kunst, bzw. künstlerischer Äußerung, mit dem für mich finanziell segensreichen Ergebnis, nämlich dass die Produkte mit ihm, seines Namens, bzw. seiner Reputation wegen, weit besser verkauft haben, als unsere / meine eigenen.
Wird es wieder eine Zusammenarbeit zwischen dir und Eno, in welcher Form auch immer, geben?
Von meiner Seite her eigentlich nicht, auch weil ich mit so vielen anderen Musikern / Freunden an Projekten arbeite, live in den verschiedensten Verbindungen zugange bin, weil mir unser Festival „More Ohr Less“ in Niederösterreich von Jahr zu Jahr ein mehr Arbeitsleistung abverlangt. Ich bin aber im Grunde offen, so Brian mir eventuell eine Zusammenarbeit anbietet, was auch immer das sein möge.
Mit dem Zodiak Free Arts Lab hast Du ja Ende der 1960er einen so spannenden wie interessanten Kulturraum geschaffen – kannst du etwas zu den Anfängen erzählen, wie die Idee entstand etc?
Das hat sich über einen langen Zeitraum vorbereitet und es waren dabei viele Berliner Freunde / Künstler involviert, mit denen ich vor der Gründung bereits in irgendeiner Weise ob nur privat oder auch schon künstlerisch zugange war. Die alternative Kulturszene in Westberlin brodelte damals nur so vor Energie, zumal wegen des Vietnamkrieges viele US-Amerikaner, die nicht in diesen Krieg ziehen wollten, dort nach ihrer Flucht sicher vor der Einberufung waren und sich als Kulturbringer aus dem Dunstkreis des Blues und Rock’n’Roll überall mit ihrer Flower-Power-Ideologie, mit dem Rauch aus orientalischen Kräutern und anderen bewusstseinsverändernden Mittelchen nützlich machten, um dem anstehenden Paradigmenwechsel auf die Sprünge zu helfen. Aber nicht nur diese, auch junge Abenteurer aus afrikanischen Ländern mischten zum Beispiel auch später bei Human Being im Zodiak mit, was dann auch soweit führte, dass die Gruppe nach der Schließung dieses Clubs mit zu Wohnmobilen ausgebauten alten Postbussen zu einer Odyssee nach Afrika aufbrach, von wo ich selbst aber, kaum dort angekommen, sofort wieder mit Umwegen über Frankreich und England nach Berlin zurückkehrte, um schließlich mit Schnitzler und Moebius „Kluster“ zu gründen.
Du wohnst mittlerweile in Österreich, was verbindest du heute mit Berlin?
Berlin ist meine Heimatstadt, hier fing alles an und im kommenden Jahr wird dort auch bei einem Dreitage-Roedelius-Fest im Haus der Kulturen der Welt an der Spree diese Tatsache gehörig gefeiert.
Wenn du jemandem, der mit deinem Werk nicht vertraut ist, fünf Alben als Eckpfeiler empfehlen müsstest, um dein Werk zu umreißen – welche würdest du auswählen und mit welcher Begründung?
Selbstportrait I
Piano piano
Sinfonia contempora Nr. II ( Salz des Nordens )
Vom Nutzen der Stunden I
Momenti felici
Diese Musiken zeichnen ein zumindest ungefähres Bild von Umfang und Vielfalt meines Gesamtwerkes.
Vielen Dank fürs Gespräch.