Ich bin dein Sofa
Es ist unwahrscheinlich, dass je ein Mann freiwillig „Shopping Queen“ guckt, denn in dieser Sendung kommen alle Schrecken zusammen: Frauen besuchen Frauen. Frauen zeigen ihren Kleiderschrank. Frauen zeigen ihre Schuhsammlung. Frauen erklären, wie sie ihre Wohnung eingerichtet haben. Frauen gehen shoppen. Frauen probieren Kleidung an. Innerhalb von vier Stunden müssen die Kandidatinnen eine komplette Ausstattung für 500 Euro erwerben und vier Konkurrentinnen beeindrucken, die das Outfit dann bewerten.
Der fünfte Bewerter ist der Modeschöpfer Guido Maria Kretschmer, ein Mann, den vor zwei Jahren niemand kannte. Seit er aber „Shopping Queen“ kuratiert sowie in der Jury der RTL-Trash-Show „Das Supertalent“ saß und in vergleichsweise gewählter Sprache (Beisitzer waren Bruce Darnell, Lena Gercke und Dieter Bohlen) seine Urteile abgab, gilt er den Zuschauern als eine Art Nathan der Weise. Seine Fibel „Anziehungskraft – Stil kennt keine Größe“ rangiert seit Monaten auf Platz eins der Sachbuch-Bestsellerliste. Kretschmer ist als Modevisionär so glaubwürdig wie Harald Glööckler und Michael Michalsky – ihr Anderssein, ihr Rückgriff auf die Kindheit und ihre Sehnsucht nach Rampenlicht und Ruhm vereint die Parvenüs. Ihre Schöpfungen erklären die Aufmerksamkeit kaum, es sei denn durch Tragbarkeit: Glööckler arbeitet gern für die Frau mit mehr Figur und verkauft die Klamotten im Fernseh-Warenhaus, Michalsky lässt sich angeblich von der Straße inspirieren. Dagegen stammen die Anregungen für Kretschmers Entwürfe wahrscheinlich aus der Vergangenheit; er liebt alles Patinierte, Gestrige, Museale, entwarf Brokatjacken für Udo Lindenberg und stattete dann Belegschaften von Hotels und Fluggesellschaften aus.
Nicht von Nachteil für Kretschmers Geschäft ist, dass er eigentlich alle Menschen mag und aus dem Fernsehen und von Partys schon viele kennt: „Wir mögen uns, und ich mag sie“, sagt er über die professionelle TV-Mamsell Jenny Elvers, die bei „Promi Shopping Queen“ antrat. Den Respekt vor Menschen hat er von seinen Eltern respektive von der Oma gelernt und erzählt das auch bei jeder Gelegenheit, denn mittlerweile ist Kretschmer auch der Darling der Talkshows. Immer wieder erklärt er kreuzbrav seinen Erfolg und langweilt mit trivialsten Einsichten: Leben und leben lassen, Freunde sind etwas Schönes, ohne das Team wäre ich nichts. Sogar die gescheite Bettina Boettinger ließ sich von Kretschmers Phrasen bezirzen und überreichte ihm kürzlich die Goldene Kamera; der Geehrte war gut vorbereitet und hielt – neben Bruno Ganz – die einzige kohärente Rede des Abends. Auch hier spielte er überzeugend Bescheidenheit. Nebenbei schickte er zwei ZDF-Ansagerinnen mit dem gleichen Kleid aus seiner Manufaktur zu der Preisverleihung und fand sie anschließend „entspannt“.
Die sogenannte Tiefenentspannung ist hilfreich vor Kameras. Mit seiner kecken Raketenfrisur und dem Allerweltsgesicht erscheint Kretschmer als Antipode zu Exzentrikern wie Lagerfeld und Joop; schon sein Name verbürgt die Abwesenheit von Exzentrik, Glamour und internationalem Flair. Gipfel seiner Kritik bei „Shopping Queen“ ist der Ausdruck „madamig“, der wohl Biederkeit und Verzopftheit beschreiben soll. Grundsätzlich bescheinigt er den Damen „Geschmack“, ein Gratis-Begriff, der auch der Textilverkäuferin einfällt. Wie viel spannender wäre das Geschmacklose, das Grelle, das Verrückte! Manchmal verzieht der Juror das Gesicht und man denkt, dass ihm etwas sauer aufstößt – doch er holt nur Luft für eine weitere Banalität.
Guido Maria Kretschmer ist der gute Mensch in zwei Branchen, in denen jeder nur für sich selbst kämpft, der beste Freund der Frauen, der Zampano, der normal geblieben ist. Er feiert die einfachen Verhältnisse, das Maßhalten, den Durchschnitt – also alles, was der Mode-Welt fremd ist. Man muss nur einmal Wolfgang Joop bei Heidi Klums „Top-Model“ sehen, um zu erleben, wie schneidend, eisig und abgründig das Geschäft der Schönheit ist. Kretschmer sagt: Ich bin dein Sofa.