IAMJJ und sein Debüt „Bloody Future“: Vergiftete Melancholie
Der junge Däne IAMJJ verbindet Michael Jackson mit Eminem und Nick Cave. Auf seinem Debütalbum „Bloody Future“ beschwört er einen Kampf gegen die Scham, seine eigenen (negativen) Gefühle zu zeigen.
Am liebsten hätte IAMJJ stundenlang über Kunst gesprochen, über seine eigene (der Musiker arbeitet auch als Zeichner und Maler), die von Jonathan Meese und Damien Hirst sowie die Verheißungen der Street Art. Doch es soll ja um die Debütplatte des Dänen gehen: „Bloody Future“. Die kommt nicht ohne einen künstlerischen Fingerabdruck aus.
Auf dem Cover posiert der Sänger so, als wolle er sich über die Heerscharen von Kunstmarkt-Dandys lustig machen, und im Hintergrund stapeln sich Werke des Multitalents. Allesamt bunt, auch wenn auf einer Tafel mit Magneten keck Francis Bacon herbeizitiert wird. Die Texte von IAMJJ gehen eher in eine solche düstere Richtung. Sie widmen sich Einsamkeit, Zukunftsängsten und Depressionen, wenn auch leicht alberne Songs wie „Bomay Roof“ eher den Geist von Michael Jackson beschwören als den von Scott Walker.Triste Momente gehören zum Leben dazu
Er wolle verständlich sein und sich präsentieren, wie er ist, sagt der 24-Jährige. Dem Musiker gehe es dabei vor allem um die authentische Wirkung seiner Kunst. „Jeder hat die Möglichkeit, an Kunst teilzuhaben“, so IAMJJ. „Sex, Kunst, Essen, das kann jeder verstehen, da kann jeder mitreden. Jeder kann es tun.“ Solche Miniaturweisheiten sprudeln aus ihm wie selbstverständlich heraus.
Die Plattenfirma bewirbt den Singer-Songwriter wohl auch deshalb als kompromisslos, unangepasst und radikal in der Anschauung von Kunst und Leben. Das klingt dick aufgetragen, denn im Gespräch erscheint IAMJJ, hochgewachsen, mit wachen Augen und elaborierter Wortwahl, keine Spur gefährlich. Ein Typ, mit dem man gerne einen Rotwein trinken würde und wüsste, dass er über die neusten TV-Serien genauso viel zu erzählen hätte wie über die politische Entwicklung Chinas.
Dabei hat der Sänger sich bewusst gegen eine klassische Ausbildung entschieden. Jahrelang wusste er nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Ein Studium, wie es viele seiner Freunde ergriffen, lehnte er ab – um nicht weiter auf der Schulbank sitzen zu müssen. Malerei und Musik blieben zunächst ziellos. Und so kamen recht schnell die Bedenken. Gegen die schreibt IAMJJ mit seinen Liedern an, wie er sagt. Auch weil er zu der Überzeugung gelangt sei, dass es ein großer Fehler ist, die tristen Momente des Lebens auszusperren zugunsten einer oberflächlichen Fröhlichkeit.
Fluch und Segen des Internets
Für den Sänger ein Problem, das nicht nur ihn selbst betrifft und deshalb in fast allen seinen Liedern pulsiert: „Meine Generation kann vieles ändern. Wir können uns auf eine Weise selbst darstellen wie keine andere zuvor und so auch emanzipieren von falschen Vorstellungen. Das ist eine Chance, die wir nutzen sollten. Aber auch eine große Herausforderung mit Tücken.“
Natürlich meint IAMJJ die verführerische Kraft des Internets, die es erlaubt, mit jedem anderen Menschen auf der Weltkugel in Kontakt zu treten, aber auch permanent unter Zugzwang zu stehen, sich zu präsentieren. Fluch und Segen zugleich, findet der Däne. Darin ist er sich wohl mit fast allen Heranwachsenden im 21. Jahrhundert einig. Die Möglichkeit der vermeintlich das Ego stärkenden Selbstbespiegelung werde zudem einkassiert von der Qual der Wahl, alles zu jeder Zeit machen zu können. Leiden an Vielfalt, eine vergiftete Melancholie.In seinem Song „Homer“ (der nichts mit dem Autor der Illias und auch nichts mit Homer Simpson zu tun hat, sondern Teenager-Straßensprache zitiert) verdichtet der 24-Jährige die Erfahrungen seiner vielleicht exemplarischen Jugend in einer fiktiven Person, die kaum noch das Haus verlässt, sich im eigenen, zuweilen drogeninduzierten Ennui eingerichtet hat und nichts mehr fürchtet als das Urteil seiner virtuellen Freunde im Internet. „Die Menschen schämen sich, traurig oder depressiv zu sein“, sagt IAMJJ. „Sie schämen sich für allesmögliche. Deshalb nehmen sie Drogen, Alkohol und gehen ins Fitnessstudio, damit niemand diese Scham sieht. Ich will zeigen, dass es auch okay ist, sich von Zeit zu Zeit schlecht zu fühlen.“
Soignierte Schwermut
Mit dem Besuch zahlreicher Poetry Slams (und mit einem offenen Ohr für Rapper wie Eminem und Dr. Dre) hat sich der Musiker für seine Texte eine raffinierte Verdichtungstechnik angeeignet. „Super Hero Eva“ oder „Susie May“ sind pointierte Kurzerzählungen, die es allerdings auch geschickt vermeiden, zu sehr in die Tiefe zu gehen.
Recht ähnlich verhält es sich mit der Stimme des Shakespeare-Lesers und glühenden Stevie-Nicks-Fan: Sie klingt bei filigranen Liedern wie „You In My Arms“ oder dem apokalyptisch anmutenden Titelstück beunruhigend tief und wohlgereift, als würde IAMJJ Tom Waits imitieren wollen. Allerdings überwiegt wohl doch etwas die Sorge vor zu viel Alkohol und Zigarettenkonsum, predigt doch schon der Refrain mit glockenhellem Tonfall wieder sanfte Erlösung.
Kompromisslos ist dann aber doch der Künstlername, den sich der Musiker einfallen lassen hat: Er nenne sich IAMJJ, weil er stolz sei, mit seiner Musik auszudrücken, was er geworden ist. Das hätten ihn Nick Cave, Leonard Cohen und Bon Iver gelehrt, von denen er sich den Hang zur soignierten Schwermut geborgt hat. Vielleicht weiß der attraktive Musiker aber auch sehr gut, dass „JJ“ im Urban Dictionary, das die oftmals ausufernde und für Uneingeweihte kryptisch anmutende Jugendsprache protokolliert, für einen einfühlsamen, hinreißenden Jungen steht, den man als Mädchen schnell festhalten sollte, wenn man das Glück hat, ihm zu begegnen.
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