Hurricane 2011: Parallelgesellschaften. So war der Samstag
Der Samstag auf dem Hurricane stellte eines unter Beweis: Dieses Festival bedient alle Geschmäcker, ohne beliebig zu sein.
Nicht, dass die Konzerte am Samstag so schlecht waren, dass man wieder einmal über das Wetter schreiben muss. Aber wenn ironischerweise der Gig von Cloud Control nach wenigen Minuten abgebrochen wird, weil diese recht tolle Band die Regenwolken eben nicht im Griff hat, dann aber der Rest des Tages abzüglich kleiner Schauerphasen und entgegen aller Wetterberichte bei geradezu perfektem Festivalklima (18 Grad, manchmal Sonne) verbracht wird – da darf man sich doch mal ein paar Zeilen lang drüber freuen, oder nicht? Vor allem, weil in diesem Moment eher Schluss mit lustig ist: Es regnet – und das wird es wohl auch noch den Rest des Tages tun. Wo hatte ich noch mal meine Regenjacke? Ach ja – zuhause…
Anyway: Der Samstag auf dem Hurricane brachte vor allem eine – und zwar keine neue – Erkenntnis: Ein Festival dieser Größenordnung muss für ganz unterschiedliche Hörer- und Fangruppen funktionieren, muss die geschmäcklerische Indie-Nase ebenso pleasen wie den jungen Festivalhüpfer, der vornehmlich vier Tage lang Halligalli-Drecksau-Party spielen will und eher über das Festivalgelände wankt und mäandert. Auch die stilistischen Unterschiede der zahlreichen Acts wollen berücksichtigt und grob sortiert werden. Das war am Samstag deutlich wie nie: Die White Stage setzte in den frühen Abendstunden auf die renitenten Wilden aus dem Hause Audiolith, die sich in den letzten Jahren vor allem durch ihre Live-Shows und ihre überzeugende Mischung aus Spaßfaktor und Haltung eine wachsende Fanbase erspielt haben. Der perfekt betonte Soundtrack zu dieser These ist der „Hit“ von Egotronic: „Raven gegen Deutschland“. Ein hochpolitischer, deutschkritischer, oder eher anti-deutscher Inhalt, der musikalisch zwischen Raven, Ballermanschlager und 2-Unlimited-Techno bollert. Der politische Hintergrund zum Parolenshouting wird dann jedoch nicht von der Bühne aus gepredigt – was sicher auch die recht junge Tanzmeute vor der White Stage freute. Bleibt nur die Frage, ob die Message auch wirklich durchkommt? Im Anschluss spielten dann Frittenbude, deren Auftritt im letzten Jahr auf gleicher Bühne aufgrund eines Massenandrangs samt Panik und überreizter Polizei abgebrochen werden musste – diesmal blieben solche Szenen laut Augen- und Ohrenzeugen aus. Zum Abschluss dann schwültoller Songwriter-House (oder wie nennt man das, was Hercules & Love Affair da machen?) – sicher wieder zum Aneinanderreiben schön, wenn man diese Musik mag.
Vor der Hauptbühne fand sich die zahlenstärkste Parallelgesellschaft ein: Jene, bei denen man nicht wirklich erschließen kann, wie sich ihr Musikgeschmack zusammensetzt, die aber einen intuitiven Bewegungsdrang haben und merken, wenn ein massenkompatibler und/oder tanzbarer Song von der Bühne dröhnt. Momente des Grauens gab es auf der Green Stage vor allem zwischen 14 und 14 Uhr 40 beim Auftritt der Sick Puppies. Glatte Poster-Visagen zischen Glamrock und Bush, die sich nicht zu schade waren, „Killing In The Name Of“ von Rage Against The Machine für ihre Mainstream-Grütze zu verhunzen: Muss halt ein Morello-Riff herhalten, wenn die eigenen zu eierlos sind: „I fucking want to see you jump!“, riefen sie dabei und man dachte kurz, das wünsche man sich bei den Sick Puppies ebenso – am besten unangebunden vom Bungee-Turm. Pardon…
Andere Bands überzeugten da schon eher, selbst, wenn man musikalisch nicht mit ihnen warmwerden mag: Gogol Bordello zum Beispiel, weil sie live unermüdliche Rampensäue sind. Oder My Chemical Romance, weil diese inzwischen ihre unterhaltsame Mischung aus Rotz und Glamour perfektioniert haben. Sublime With Rome wurden dann trotz zwangsläufig neuem Sänger zur entspannten Nostalgie-Tanzstunde, weil irgendwie ja jeder schon mal zu „What you’ve got“ geknutscht oder gekifft hat. Headliner Incubus lieferte dann einen perfekten Auftritt, mit einem perfekt gebräunten, perfekt bärtigen, perfekt intonierenden, perfekt verträumt über das Mikro linsenden Brandon Boyd. Ging es nur mir so, dass die ganze Chose viel zu glatt und muckermäßig wirkte? Anscheinend – denn gefeiert wurde die Herren zumindest in den forderen Reihen wie nur was.
Aber genau so ist das eben mit den Parallelgesellschaften auf dem Hurricane: Warum sich wundern und grämen, wenn man auf der Bühne nebenan einen guten bestückten Indie-Schmindie-Nachmittag haben kann? Warpaint sorgten dabei für die ersten Sonnenstrahlen, obwohl ihr einheitliches Outfit (blau-weinrote Adidas-Kapuzenjacken) eher auf Regen gemünzt war. Die Kapuzen wurden aus Coolness-Gründen dennoch aufbehalten. Zwar wirkten zerbrechliche schöne Lieder wie „Undertow“ und „Elephants“ ein wenig deplatziert am hellichten Tage, mit geschlossenen Augen und wippenden Fußspitzen funktionierten sie dann aber doch. Deftiger ging es da bei den Friendly Fires zu, die ihren tanzparen Pop wieder mit vollem Hintereinsatz an Mann und Frau gebracht wurde. Ed Macfarlane nahm dabei wieder ein Bad in der Menge, wirbelte seinen Po in alle Richtungen und traf trotzdem die Töne, die er brauchte. Meistens zumindest. Der Two Door Cinema Club öffnete wenig später seine Pforten und hat immer noch kein zweites Album oder neue Songs in Griffweite – scheinen sie aber auch nicht zu brauchen. Neues Material hörte man im Anschluss kurz von Kasabian, die ansonsten wieder die großkotzige, schiebende Macht waren, die wohl ein jeder mit einem Faible für britisches Prolltum mögen wird. „Club Foot“, „Shoot The Runner“, „Underdog“ – so mochte man gerne überrollt werden. Ob es dann noch die Kaiser Chiefs brauchte? Wer weiß – genug Publikum war jedenfalls da – gesungen wurde meist aber nur bei den starken Songs ihres verjährten Debüts. Schmerzlich für die Band, aber leider auch verständlich…
Die Highlights zum Schluss: Die besten Auftritte sah man im leider wieder oft wegen Überfüllung geschlossenen Zelt der Red Stage. Bei The Vaccines freute man sich über die Hohe Britendichte in der Schlange (wird das Hurricane etwa internationaler?), wurde dann aber bitter enttäuscht, weil man viel zu spät erfuhr, dass die Band einen Flieger verpasst hatte und nicht mehr spielen würde. Young Rebel Set und die Band von Stings Tochter I Blame Coco lieferte Ohrenzeugenberichten zufolge „OKe Auftritte“ ab – „aber mehr auch nicht!“. Selbiges ließe sich diesmal leider auch über I Am Kloot sagen.
Die vielleicht dunkelsten und auf jeden Fall besten Auftritte, die auf einer Freiluftbühne vermutlich nie so funktioniert hätten, stammten von Lykke Li und Conor Oberst bzw. Bright Eyes. Lykke Li verzauberte und beschwörte schwarzgewandet im Bühnennebel und verstand es, ihre Songs live noch treibender zu arrangieren. „Dance, Dance, Dance“ zum Beispiel brach nach halber Strecke plötzlich in ein furioses Percussions- und Drums-Geklacker aus. Hörte man hier die Erkenntnis, dass viele ihrer „Youth Novels“ als Dance-Remixe fast besser funktionierten? Die „Wounded Rhymes“ hingegen wurden live mit zusätzlich verdunkelter Klangfarbe serviert und von Lykke Li mit rudernden, winkenden, greifenden Händen und Armen begleitet. Ihre Stimme dabei: mal lasziv schmeichelnd, mal fordernd, mal seufzend. „Sadness Is A Blessing“ und das abschließende „Get Some“ und eben das fiebrige „Dance, Dance, Dance“ wird ein jeder, der dort war, nicht mehr vergessen.
„I’m your prostitute, you gon‘ get some“ – sang dann auch später in der Nacht Conor Oberst. Zum einen, weil er sich inmitten der Bright Eyes-Tournee wohl so zu fühlen scheint („We’ve been stuck on muddy fields for days and days“, grummelte er mal) und zum anderen, weil er entweder Lykke Li empfohlen wollte, oder sich vorstellte, dass sie ihm genau diese Zeilen ins Ohr flüstert. Nüchtern war Oberst jedenfalls nicht, was man schon vermutete, als er überraschenderweise Warpaint zu deren Autogrammstunde am Rolling Stone-Stand begleitete. Auch sein seltsamer Poncho ließ er auf Geschmacksverneblung schließen. Trotzdem wurde es ein würdiger Tagesabschluss, denn die Bright Eyes sind in ihrer jetzigen Besetzung eine sehr wandlungsfähige Truppe, die leise ebenso wie laut kann. Und auf Festivals braucht man die Songs eben ein wenig wilder, wird Oberst gedacht haben, während er gelegentlich seine Feedbackschleifen knüppfte. „Shell Games“ und „Road To Joy“ elektrisierten mit diesem Sound fast noch mehr, als sie es sonst schon tun, „Lover I Don’t Have To Love“ hingegen franste nach dem leisen Einstieg herrlich fiepend aus. So schickte Oberst uns dann am Ende mit „One For You, One For Me“ ins Bett, das man nach diesem langen Tag als Grenzgänger zwischen diesen Parallelgesellschaften auch dringend nötig hatte.