Hurra – die Welt geht unter!
Pornoschwemme, Ende der Literatur, Niedergang Amerikas: So düster skizziert der New Yorker Schriftsteller Gary Shteyngart in seinem neuen Roman die Zukunft. Umso lustiger liest er sich.
Auch das entscheidet heute über Erfolg oder Misserfolg: Wie oft wurde der Buchtrailer angeklickt? In der Kategorie ist Gary Shteyngart ein Topautor. Der Clip zu seinem aktuellen Roman „Super Sad True Love Story“ lief auf YouTube schon über 165.000 Mal. So viel Show gibt es aber auch selten: Man sieht, wie der Schriftsteller mit Hunden knuddelt und mit seiner Uni-Klasse übt, wie man auf Partys über Ian McEwan parliert. Gaststar Jeffrey Eugenides enthüllt, dass Shteyngart in Wahrheit gar kein russischer Einwanderer sei, sondern sich das seit einem Drogentrip bloß einbilden würde. Dann klingelt Jay McInerney an der Tür und nimmt sich der drei Erstsemesterinnen an, die Shteyngart in seiner Wohnung gefangen hält.
Lustig ist das, mit dem Roman hat es allerdings nichts zu tun. Wenn man aber glaubt, schlauer als Gary Shteyngart zu sein und ihn im Interview fragt, ob für einen 38-jährigen literarischen Autor solche Clownereien nicht rufschädigend seien – dann kriegt man eine eher unlustige Antwort: „Ist mir egal. In Zeiten wie heute müssen wir alles tun, um Bücher an Leute zu verkaufen, die keine mehr lesen wollen.“
Darum geht es auch in „Super Sad True Love Story“ (Rowohlt, 19,95 Euro), Shteyngarts drittem, in den USA wieder mehrfach preisgekrönten Roman. Eine Comic-Fusion aus „Fahrenheit 451“ und „1984“, angesiedelt in einer Zukunft, in der Bücherlesen als unhygienisch gilt, Jugend- und Schönheitswahn das Leben in New York zur 24-Stunden-Konkurrenz gemacht haben und man die Kreditwürdigkeit und fuckability jedes Gegenübers am eigenen Smartphone abrufen kann. Man merkt schon: absichtlich nah an der Wirklichkeit. Die Liebesgeschichte erleben dann der russische Jude Lenny, ein gutmütiger Trampel, und das koreanische, 15 Jahre jüngere Partygirl Eunice – Woody Allen meets Nabokov (mit schönen Grüßen an Tschechow), wie immer bei Shteyngart in einer solchen Ereignisdichte erzählt, dass man beim Lesen nicht blinzeln darf, um keinen Gag zu verpassen.
Romanheld Lenny sei nicht nur politisch gesehen ein Einwanderer, meint Shteyngart, sondern auch ein analoger Fremdling in der digitalen Welt. Das ist sein großes Thema – er selbst kam als Siebenjähriger mit den Eltern von St. Petersburg nach Queens. „In meiner Schulzeit war ich der Außenseiter“, sagt er. „Später wurde meine Herkunft zum Plus. Liberale, überprivilegierte Amerikaner entwickeln mit der Zeit ja einen gewissen Selbsthass. Im College galt es als wahnsinnig cool, mit dem russischen Juden befreundet zu sein.“
Solche Typen trifft man ständig in seinen ersten zwei, noch besseren Romanen: „Handbuch für den russischen Debütanten“ (2002) und „Snack Daddys abenteuerliche Reise“ (2006, Originaltitel: „Absurdis-tan“) handeln von den Freiheiten und Eulenspiegeleien, die der Relaunch des Ostblocks nach 1989 seinen Bewohnern ermöglichte, mit allen politischen, kriminellen Abwegen. „Kein Wunder, dass meine Bücher immer düsterer werden“, sagt Shteyngart. „Der Optimismus der Neunziger ist weg. Das Leben war damals so viel unbeschwerter.“ Dass dieser Clown so traurig ist, hätte man beim Lesen kaum geglaubt.
Aber sollte die Literatur demnächst untergehen, hat Shteyngart wenigstens noch das Fernsehen. Gerade schreibt er am Drehbuch für eine HBO-Serie über, genau: Einwanderer in Queens. Serien hätten heute schon die Bedeutung, die gestern Romane hatten, meint er. „Man lernt viel von ihnen! Seit ich, The Wire‘ gesehen habe, weiß ich, wie man in Baltimore jederzeit schnell an Heroin kommt.“ Das Bröckeln der Welt kann so lustig sein, wenn der Satiriker es uns zeigt. joachim hentschel