Humor in der Dunkelheit: Die romantischen Emotions-Virtuosen Tindersticks legen ihr zweites Album vor
Der Mann lehnt sich zurück und lacht. Nicht gerade schallend, eher glucksend, aber immerhin, es ist ein Lachen. Erstaunlich, denn die Mär geht durch den Medienwald, daß nur seine Mutter ihn je lachen sah vor langer, langer Zeit Der Mann ist Stuart Staples, Sänger der betörenden und ein wenig mysteriösen Tindersticks. Auslöser für die überraschende Heiterkeit ist eine Litanei von Eigenschaften, die der Tindersticks-Musik gemeinhin zugeschrieben werden: düster, dräuend, verrucht, bedrückend, trist, gruselig, leidvoll, verzweifelt, morbide, monoton, aschfahl, sinister, schwermütig, in Fäulnis übergehend- „Genug“, unterbricht Staples, „es gibt schließlich auch andere, lichtere Aspekte, die sich nicht so aufdrängen und deshalb übersehen werden. Über unseren Sinn für Humor wird leider wenig geschrieben.“
Kein Wunder, wenn der Humor so schwarz ist, daß er in der Dunkelheit der Klangwelt unsichtbar wird. Organist David Boulter läßt das nicht gelten. Bei Auftritten, sagt er, sei die Atmosphäre eigentlich eher positiv. Sie seien zwar anfangs starr vor Angst, aber das löse sich mit der Zeit – und es komme immer häufiger vor, daß ihnen dann Konzerte richtig Spaß machen. Länger als eine halbe Stunde habe ich es indes nie geschafft, Staples dabei zuzusehen, wie er gramgebeugt, mit verhangenem Blick und hängenden Schultern zum Mikro schlurfte, in sich gekehrt hineinraunte, um mir dann wieder minutenlang den Rücken zuzukehren. Gute Güte, gegen diese Jungs wirken selbst die Cowboy Junkies wie eine Karnevals-Kapelle.
Doch die Welt ist nun mal ein Jammertal, und nur Barbaren sind immer gut drauf. Die mir gegenüber auf der Couch versammelten zwei Sechstel der Tindersticks nicken zustimmend. Boulter redet nicht viel und wirkt gelassen. Ganz anders Staples: Sein Redefluß ist kaum zu bremsen. Das kontrastiert seltsam mit seiner äußeren Erscheinung: schwarz und zerknittert, von beinahe schäbiger Eleganz, wie ein mittelloser Dandy, ein verarmter Bryan Ferry. Ein Kulturschock sei es gewesen, als sie vor vier Jahren nach London zogen. Ihre Heimatstadt Nottingham hatte ihnen nichts mitgegeben, worüber zu reden es sich lohnte. Jedenfalls nichts für ihre Musik. „Es gibt dort keinen Zusammenhalt“, erinnert sich Staples, „keine Szene, keine eigene Musik-Tradition, keine Unterstützung. Alles ist privat.“ Viel Zeit also zum Nachdenken und zur Persönlichkeitsbildung? „Genau. Die Mittelklasse gibt dir ein Wertgefüge. Du weißt schon früh, was richtig und was falsch ist.“ Wer im Überlebenskampf steht, taugt nicht zum Philosophen. „Wenn du wohlbehütet aufwächst, eine gute Ausbildung genießt und man dir zuhört, bekommt alles eine Bedeutung. Jedem Ding wird eine Bedeutung zugemessen. Man lernt, das kleinste Detail zu achten. Und du nimmst eine Arbeits-Ethik an, die dem Leben einen Rhythmus gibt. Wovon man dann vielleicht zuwenig hat, sind Selbstbewußtsein und Arroganz.“
Die Skeptiker und Zweifler zog es also nach London, wo zunächst keiner Notiz von ihnen nahm. Diese Zeit der Beobachtung und Selbstnndung als Band inmitten des Post-Thatcher-London prägte die Musik der Tindersticks mehr als alles andere. 18 Monate später waren sie in aller Munde. Ein halbes Dutzend Singles hatte einen Mini-Mythos aufgebaut und Türen aufgestoßen. Eine davon zu dem Label „This Way Up“. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Das erste Album, eine Doppel-LP voller wunderschöner Songs und melodischer Experimente, wurde 1993 zum Album des Jahres erkoren und verkaufte respektable 30 000 Exemplare. „Weit mehr ab erwartet“, sagt Staples. „Alles, was wir wollten, war eine weitere Platte.“
Das neue Album schließt lückenlos an. Skelettierte Gitarren, irrlichternde Violinen, Trompeten, Orgel, Stimme. Das Material, wie gehabt, eine Morphologie von Gefühlen. Über das grandiose Scheitern von Liebes-Affären. Eine weitere Doppel-LP mit prosaischem Titel: “ The Tindersticks‘ Second Album“. Der Schöpfer grinsend über sein Werk: „More of the same: deep voice, sad songs.“