Humanist und Zauderer
Seit 30 Jahren schreibt der Schauspieler und Regisseur Tim Robbins Folk-Songs, doch erst jetzt wagt er es, sie zu veröffentlichen. Zur Seite steht ihm die Rogues Gallery Band.
Tim Robbins hat einen Oscar für seine Schauspielkunst in „Mystic River“ (2004) bekommen und vielleicht noch mehr Lob als Regisseur des Dramas „Dead Man Walking“ (1995). Mit 51 wagt er sich nun in ein neues Feld vor: Er bringt sein erstes Album heraus, „Tim Robbins And The Rogues Gallery Band“. Dabei konnte man bereits in der Polit-Satire „Bob Roberts“ (1992) sein Talent für Folk-Musik bewundern, und er schreibt immerhin schon seit fast 30 Jahren Songs.
Was hat Sie so lange aufgehalten?
Ich hatte bisher nie das Gefühl, eine richtige Sammlung von Geschichten zu haben, die ich erzählen will. Immer, wenn sich eine Gelegenheit bot, etwas zu veröffentlichen, kam es mir nicht aufrichtig genug vor. Als damals „Bob Roberts“ rauskam, wurde ich gefragt, ob ich die Lieder nicht veröffentlichen möchte, aber das kam mir falsch vor, außerhalb des Film-Kontexts. Doch es waren gute Songs. Also beschlossen mein Bruder und ich vor etwa zehn Jahren, die Texte etwas zu ändern und ein bisschen Punkrock-Spirit einzubringen und sie mit einer Band live zu spielen. Danach habe ich wieder mehr Songs geschrieben.
Und wann haben Sie begonnen, sie tatsächlich aufzunehmen?
Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich desillusioniert war, was die Filmindustrie betrifft. Dann hatte ich eine Art Erleuchtung: Was gibt es, das ich noch nicht gemacht habe – und bei dem ich einmal bereuen würde, es nicht getan zu haben? Da fielen mir all die Songs ein, die keiner kannte. Ich war gerade in Portland, Oregon, und das Filmprojekt, das ich machen wollte, kollabierte. Ich kam heim und ging schnurstracks ins Studio. Habe 15 Songs aufgenommen, nur mit Gitarre. Ich bin ein großer Zauderer. Erst ein paar Monate später gab ich die Kassette meinem Freund, dem Produzenten Hal Willner, und bat um seine ehrliche Meinung. Ich wollte meine Zeit nicht verschwenden. Hätte er gesagt, dass es Mist ist, wär’s das gewesen. Stattdessen schlug er mir eine Band vor, die den Songs gut tun könnte, die Rogues Gallery Band. Und er hatte recht. Wir haben nur zwei Tage für die Aufnahmen gebraucht.
Wenn Sie schon so lange Lieder schreiben, wie haben sie dann die neun für Ihr Debüt ausgewählt?
Es sind einfach die, die mir zurzeit am meisten bedeuten. Nur eines ist ganz alt, „Dreams“. Ich war Mitte 20, arm und sehr verliebt. Diese Person ist definitiv immer noch in mir. Wenn man mit wenig Geld aufwächst, prägt einen das sehr. Meine Kinder sind da natürlich viel privilegierter, aber ich hoffe doch, dass sie dennoch dieselbe Fähigkeit haben, eine Leidenschaft für etwas zu entwickeln, dass sie wach und interessiert durchs Leben gehen.
Sie sind ja bekannt für Ihr soziales Engagement. Wie viel Politik verträgt Musik Ihrer Meinung nach?
Alles, was ich tue, geht von einem humanistischen Ansatz aus. Auch Filme, die andere politisch nennen, nenne ich nicht so. Für mich sind sie einfach humanistisch. „Dead Man Walking“ ist eine Liebesgeschichte. Sie soll Licht werfen auf etwas, das wir nicht sehen wollen: die Implikationen der Todesstrafe. Aber es geht um Menschlichkeit, nicht Politik. All die politischen Statistiken, die im Original-Script mal vorhanden waren, flogen beim Kürzen nach und nach raus. Gut, „Bob Roberts“ handelte von einem rechten Politiker, und ich habe im Theater Satiren über die momentane Situation gemacht, aber immer aus der Perspektive: Wo ist die Menschlichkeit? Was und wer ist uns wichtig?
Wie wichtig ist Ihnen der Erfolg dieses Albums?
Ich wäre geschmeichelt, wenn ein paar Leute das Album tatsächlich kaufen würden, statt es irgendwo runterzuladen. Dies ist ja eine brandneue Welt für mich. Man hört, dass das Musikgeschäft noch mehr den Bach runtergeht als das Filmbusiness. Aber ich glaube, ich habe zumindest eine gute Plattenfirma gefunden, die versteht, worum es mir geht, und nicht versucht, das als Celebrity-Album zu verkaufen.
Ihr Gesicht ist zwar auf dem Cover zu sehen, aber kaum einer wird sie erkennen: Es ist ein Standbild aus ihrem allerersten Film.
Ja, ich bin der Typ mit Mütze und Brille. Das war ein Zehn-Minuten-Werk eines Werbefilmers, der 1969 ein Anti-Vietnam-Statement drehen wollte. Wir Kinder spielen mit Holzschwertern Krieg, Long-Island-Hausfrauen sprechen darüber. Sehr bewegend.
Auf der Rückseite sind sie schon mit Gitarre zu sehen.
Da war ich acht oder neun, backstage im Gaslight Café in der MacDougal-Street in New York City. Dort habe ich Sonny Terry & Brownie McGhee gesehen, auch Dave van Ronk, all die großartigen Village-Folk-Musiker. Später, nach Beatles und Motown, hatte ich auch mal eine ganz kurze Disco-Phase, aber dann kam schon Punkrock. 1977 war das Jahr für mich. Die Sex Pistols, Elvis Costello, Talking Heads – danach war alles anders. Ich sah, nachdem ich nach Los Angeles gekommen war, so viele Punkrock-Shows: X, Black Flag, Dead Kennedys. Aber gleichzeitig war ich immer noch Springsteen-Fan.
Wie wichtig ist Ihnen bei Ihren eigenen Songs der Wahrheitsgehalt? Muss alles immer echt sein?
All meine Songs drehen sich um Leute, die ich unterwegs getroffen habe, oder Geschichten, die ich in Zeitungen gelesen habe. Aber man muss – wie auch beim Film – seiner Vorstellungskraft freien Lauf lassen, so dass aus einer gewöhnlichen Geschichte eine gute wird. Der Initiativ-Funken kommt vielleicht von einer tatsächlichen Begebenheit, aber das reicht nie aus. Die Realität muss immer überhöht werden. Die Liebe muss perfekt sein, die Romanze richtig wild, die Verzweiflung extrem. Eine großartige Figur ist nie ziemlich glücklich, sondern ekstatisch. Oder, wie ein weiser Mensch mal zu mir sagte: Tolle Theaterstücke handeln nie von leicht depressiven Leuten. birgit fuss