H.P. Baxxter: Der Noddy Holder des Techno wird 60
Aus Ostfriesland zur weltweiten Abfahrt. Mit Scooter ist Techno zur proletarischen Hüpfburg geworden. Die Frage „How Much is The Fish?" bleibt bis heute unbeantwortet
Im Finanzmagazin „Capital“ gibt es die Rubrik „Die Erste Million“, in der für gewöhnlich erfolgreiche Schrauben-Hersteller aus dem Sauerland über ihren Aufstieg in die Belle Etage des Lebens parlieren. Im Mai 2020 war Hans Peter Geerdes aus Ostfriesland zu Gast bei den Kohle-Experten. Auf die Eingangsfrage nach seinem Jura-Studium („Wollten Sie wirklich Anwalt werden?“) antwortete der Mann, der sich H.P. Baxxter nennt:
„Das war nur Mittel zum Zweck, um aus meiner Geburtsstadt Leer rauszukommen. Ich wollte immer Musiker werden, nichts anderes. Meine Eltern haben aber gesagt: ‚Du musst eine Ausbildung machen!‘ Also bin ich nach Hannover gegangen, habe erst studiert und dann eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gemacht, weil das am schnellsten ging. Jeden Abend ging es in den Übungskeller mit meiner ersten Band Celebrate the Nun …“
In jener Zeit Anfang der Neunziger schwappte aus der maroden US-Autostadt Detroit gerade eine elektronische Musikspielart nach Europa. Die im Sommer 1988 veröffentlichte Compilation bei Virgin Records „Techno – The New Dance Sound of Detroit“ versammelte alle wichtigen Pioniere der Zunft und gab in den Liner Notes auch den Überbau vor: Maschinenmusik, Minimalismus, Avantgarde; das Ende der Rockmusik.
Es ist nicht verbürgt, ob sich H.P. Baxxter jemals mit der schlaumeierische Techno-Genese, die später in feuchten Rumpelkellern im Nachwende-Berlin den Look des Undergrounds (Tarnjacken, derbe Stiefel, Muskel-Shirts) verpasst bekam, näher beschäftigt hat.
Auf die Frage von „Capital“ nach dem 1994 erschienen Signature-Hit „Hyper Hyper“ (vom ersten Album der neuen Baxxter-„Band“ Scooter) gab Geerdes jedenfalls zu Protokoll:
„Mir saß die Angst im Nacken, dass Scooter nur ein One-Hit-Wonder ist. Damals habe ich für Edel Music gearbeitet und wollte den Job auch nicht aufgeben. Mein Chef Jens Thele sagte: ‚Ihr müsst jetzt ins Studio gehen und ein Album machen!‘ Aber ich wollte nicht.“ Durchaus ehrlich und schon damals ganz der später mega-erfolgreiche Geschäftsmann.
Sein Techno-Modell hatte wenig bis nichts mit den Avantgarde-Entwürfen der Kollegen zu tun. Ganz „Hyper Hyper“ interpretierte er die elektronischen Möglichkeiten voll auf Abfahrt. Immer auf die Glocke. Arme nach oben. Energy Flash. Stadion Rave vom Industriekaufmann. Nicht nur sein legendärster Schlachtruf „How Much Is The Fish?“ ist komplett sinnfrei; und bis heute unbeantwortet.
20 Alben sind mittlerweile veröffentlicht und 30 Millionen „Einheiten“ verkauft.
Auf die Frage nach seinem herrschaftlichen Lebensstil in Hamburg (klassizistische Villa mit Chippendale-Möbeln und Rolls-Royce) antwortete Baxxter auf die Frage nach seinem Faible für Antiquitäten: „Einiges, wie etwa Bilder aus dem 17. Jahrhundert, habe ich auf Auktionen ersteigert. Ich gehe auch gern auf Antikmärkte. Jedes Stück im Haus habe ich selbst ausgesucht. Der ganze Stil gefällt mir einfach.“
Old-School-Rockstar-Style in Electrohausen. Seine nordische Gradlinigkeit erinnert an Dieter Bohlen. Der Techno-Entwurf von Scooter ähnelt wiederum dem Auf-Die-Fresse-Modus, den die Beserker von Slade in den 1970er-Jahren aus dem androgynem Glamrock erschufen. Mainstream-Baller-Kirmes ohne filigrane Schnörkel und Faxen.
Am 16. März begeht Baxxter seinen 60. Geburtstag. Ein Rave-Unternehmer, der seine Karriere mittlerweile mit Leuten verbringt, die locker seine Kinder sein könnten. In der im letzten Jahr erschienenen Dokumentation „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ ist zu beobachten, dass die volle Abfahrt nicht zuletzt knallhartes Showgeschäft ist. Die Partyzone wird zur ernsten Angelegenheit.
Das neue Opus, sein 21. Album, mit dem schlüpfrig-lustigen Titel „Open Your Mind And Your Trousers“ erscheint zur großen Tour, die am 28. März in der Schleyer-Halle in Stuttgart startet.