House of Blues
Als „Dr. House“ hat Hugh Laurie einen Vollzeitjob. Trotzdem nahm sich der Brite die Zeit, in New Orleans ein Album aufzunehmen – für den einstigen Komiker eine sehr ernste Angelegenheit.
Es ist früher Abend. Im French Quarter beginnen die Touristen langsam, sich volllaufen zu lassen, doch im denkmalgeschützten Latrobe’s geht es gesitteter zu: Ein paar Dutzend Zuschauer dürfen heute hier in New Orleans der Live-Premiere von Hugh Lauries Blues-Album „Let Them Talk“ beiwohnen. Man nimmt an kleinen Tischen Platz, überall sind Kameras aufgebaut. Es gibt keine Bühne, nur ein paar Orient-Teppiche, auf denen die Band steht und ein Bläser-Quartett. Hugh Laurie kommt hereingetanzt, ein bisschen tapsig, und setzt sich an den Steinway-Flügel. Zur Feier des Abends trägt er einen dunklen Anzug, sogar eine Krawatte. Die Haare sind allerdings verstrubbelt, und rasiert hat er sich auch nicht. Eigentlich sieht er aus wie – Dr. House.
Der Schauspieler hat sich viel Unterstützung geholt: Bis auf Dr. John sind alle, die an seinem Album mitarbeitet haben, da. Allen Toussaint kommt im himmelblauen Anzug, um die Bläser zu dirigieren. Geschmeidig führt der 73-Jährige sie durch mehrere Stücke, reibt sich immer wieder die Hände. Produzent Joe Henry klampft bei „Six Cold Feet“ mit. Laurie selbst bleibt meistens am Piano, wechselt nur zweimal zur Gitarre. Für „John Henry“ bittet er Soul-Queen Irma Thomas auf die Bühne, zu „Baby Please Make A Change“ kommt Tom Jones hereingeschlichen. Hugh Laurie stellt sich hinter das Piano, die antike Gitarre wie ein Schutzschild vor dem Bauch, und lauscht andächtig, als der grauhaarige Tiger die Stimme erhebt. Eine erstaunliche Stimme, immer noch. Den direkten Vergleich kann der 51-jährige Laurie natürlich nur verlieren – umso schöner eigentlich, dass er trotzdem all diese Profis eingeladen hat. Es geht ihm wohl wirklich nur um den Spaß an der Musik.
Gegen Ende hört Laurie ein komisches Summen im Raum und befürchtet schon, ein Cerebral-Aneurysma zu haben. Er wisse zwar nicht genau, was das ist, aber wir sollen uns mal keine Sorgen machen! Da erinnert er jetzt doch wieder stark an seine Serienfigur. Dann steht er auf, drückt allen noch einmal die Hände und bedankt sich für die Aufmerksamkeit. Seine Ehefrau Jo Green läuft auf ihn zu, sie reicht ihm gerade bis zur Brust, und beglückwünscht ihn überschwänglich. Die beiden sind seit 22 Jahren verheiratet und haben drei fast erwachsene Kinder, doch sie tuscheln wie Teenager, die schnell noch einen verstohlenen Kuss austauschen. Allerdings sieht es nicht aus, als würde Laurie ihren Komplimenten wirklich glauben. Oder irgendjemandes Kompliment.
Zum Interview am nächsten Tag erscheint er leger, in Jeans und blauem Totenkopf-Shirt. Die Desert-Boots müssen von Clarks sein, wie sich das für einen Briten gehört. Er will wissen, was Rolling Stone auf Deutsch heißt und „Wetten, dass ..?“ auf Englisch. Ob er dort auftreten will, weiß er noch nicht. Es stehen auch nur sieben Print-Interviews außerhalb der USA an, Frauen- und Klatschmagazine sind nicht erwünscht.
Auf RTL kann man zurzeit wieder dienstags verfolgen, wie Laurie als „Dr. House“ Medizinrätsel löst, die Liaison mit seiner Vorgesetzten Lisa Cuddy bewältigt und leidenschaftlich Unfrieden verbreitet. Dass das Publikum diesen erratischen, erbarmungslosen, vicodinsüchtigen, hinkenden Arzt so liebt, ist (von den originellen Drehbüchern abgesehen) Lauries Verdienst: Er übertreibt die Manierismen des gebrochenen Mannes nie, oft sieht man nur in seinen blauen Augen das Mitleid – im wahrsten Sinn des Wortes, nicht als hohle Geste. Manchmal ist es schwer zu fassen, dass dies derselbe Typ sein soll, der im britischen Spaßklassiker „Blackadder“ die ulkigsten Grimassen geschnitten hat und jahrelang mit seinem besten Freund Stephen Fry als Comedy-Duo aufgetreten ist.
Schauspieler, Komiker, Buchautor, Musiker – Sie haben einmal gesagt, dass Sie vieles ganz gut können, aber nichts richtig gut. Ist das Koketterie oder Bescheidenheit?
Es ist wohl einfach die Wahrheit. Andererseits ist es auch wie bei einem Zehnkampf: Der Gewinner dort ist ja nie der Beste in allen Disziplinen. Aber ich könnte Dritter werden beim Speerwurf und Vierter beim Weitsprung und was immer die da machen. Ich sehe es inzwischen also so: Beim Gesamtergebnis schneide ich gut ab.
Wie wichtig ist Ihnen Erfolg?
Es ist mir sehr wichtig, dass die Plattenfirma keinen Verlust macht, das ist eine Frage des Stolzes. Ich will immer, dass ich das Geld meines Arbeitgebers wert bin. Ob die Menschen das Album mögen werden? Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass es ehrlich ist und nicht auf einen Effekt ausgelegt. Es ist das, was ich mein Leben lang geliebt habe, ich konnte nichts anderes machen. Ich bin irgendwie darauf vorbereitet, dass es den Menschen nicht gefallen wird.
Warum erwarten Sie eigentlich immer Ablehnung?
Wenn ich das wüsste. Ich nehme stets diese Abwehrhaltung ein. Aber ich bin stolz auf das Album und bereit, Kritik auszuhalten. Ich muss zugeben, dass mir gar nicht bewusst war, wie viele Schauspieler schon Alben aufgenommen haben. Als ich dann mal gegoogelt habe, bin ich erschrocken. Aber ein paar sind ja nicht schlecht: Tim Robbins, Gwyneth Paltrow, Scarlett Johansson, Robert Downey Jr.
Schreiben Sie auch eigene Songs?
Habe ich schon, allerdings vor allem komische Stücke. Es gibt genug Blues-Songs, die ich noch aufnehmen kann – etwa 100.000. Darum ist mein Drang, eigene zu schreiben, eher gering.
Stimmt es, dass Ihre Klavierlehrerin Ihnen beinahe die Freude am Musizieren verdorben hätte?
Oh ja, ich habe den Klavierunterricht damals gehasst. Ich musste lauter langweiliges Zeug üben, und als endlich die Seite mit „Swanee River“ drankam, las sie verächtlich „negro spiritual“ vor und blätterte weiter. Ich bin dann drei Tage lang in Hungerstreik gegangen, bis ich mit dem Unterricht aufhören durfte. Na ja, ich hatte einen Schokoriegel, aber das wusste meine Mutter nicht.
Wie sah Ihre erste richtige Begegnung mit dem Blues aus?
Meine Erinnerung ist verschwommen, aber ich weiß, dass ich im Auto saß und mein Bruder fuhr. Falls wir das Auto nicht gestohlen haben und er erst 13 war, muss ich ungefähr elf oder zwölf gewesen sein. Ich glaube, dass der Song „I Can’t Quit You Baby“ von Willie Dixon war, vielleicht war es aber auch ein ganz anderer. Das Auto war blau. Ob das etwas zu bedeuten hat? Das Einzige, was gar nicht unscharf ist: das Gefühl, dass es mir die Nackenhaare aufstellt. Und das passiert mir heute noch – es ist einfach eine physische Reaktion auf diesen Sound, von dem ich wusste, dass er existiert, bevor ich ihn gehört habe. Eine beängstigende Erfahrung.
Sie sind 1959 geboren. Hätten Sie als Teenager nicht eher Punk hören sollen?
Das hätte ich. Ich habe allerdings auch keine Popmusik gehört. Das hat mich nie angesprochen, bis auf die Stones vielleicht, weil die im Grunde eben eine Blues-Band waren. Ich habe nie eine einzige David-Bowie- oder Beatles-Platte gekauft. Ich bin darauf nicht stolz, aber so ist es eben. Ich habe das alles verpasst. Die Verbrüderung durch gemeinsames Musikhören mit Schulkameraden fiel dadurch natürlich aus. Ich weiß noch, wie die Jungs über Simon & Garfunkel sprachen, und ich dachte, das wäre eine Person namens Simon Garfunkel. Da stand ich doof da. So was ist mir häufiger passiert. Einmal habe ich durch Zufall Supertramp gehört und dachte, das wäre ein toller Geheimtipp für meine Freunde. Supertramp hatten damals schon vier Nummer-eins-Alben. Ups. Ich war extrem ahnungslos. Ich habe bisher nie genauer darüber nachgedacht, aber vielleicht fehlte mir diese gemeinsame Erfahrung des Platten-Austauschens, vielleicht war ich dadurch etwas einsam. Vielen Dank, dass das jetzt aufkam – das ist noch mal 20.000 Pfund Therapie wert.
Am Set von „House“ hat Laurie in seinem Wohnwagen ein kleines Keyboard stehen. Er versucht, es jeden Tag zu nutzen. Es war auch seine Idee, den Arzt hin und wieder Klavier oder Gitarre spielen zu lassen. Die Serienfigur wurde ja als eine Art Medizin-Sherlock-Holmes (ausgesprochen: homes, deshalb House!) konzipiert, der beste Freund heißt nicht zufällig Dr. Wilson (in Anlehnung an Watson). Holmes spielte Violine, aber das wäre Laurie dann doch zu offensichtlich gewesen.
Da House auch wie Laurie Motorrad fährt, kommt es regelmäßig zu Verwechslungen. Dass der Schauspieler von Depressionen und Einsamkeit sprach, half ebenfalls nicht – zumal der schwarze Humor, mit dem Laurie sein Hollywood-Leben fernab der Familie beschrieb, bei den meisten Amerikanern gar nicht ankam. So entstand das Bild eines überarbeiteten Grummlers, der seine Therapien dringend nötig hat. Heute hadert Laurie weniger mit dem Mangel an Zeit und Privatleben. Er weiß auch, dass man die Chance, im Fernsehen jahrelang einen solch komplexen Charakter darzustellen, wohl nur einmal bekommt. Er hat sich jetzt auch ein schönes Haus in L.A. gekauft; nach sieben erfolgreichen „House“-Jahren rechnet er nicht mehr täglich damit, dass die Sendung abgesetzt wird. Und selbst wenn: Pro Folge bekommt er angeblich 400.000 Dollar, hat also längst ausgesorgt – und findet immer noch, dass seine Gage eine Frechheit ist. Viel zu hoch nämlich: Dass sein Vater als tatsächlicher Arzt viel weniger verdiente, sorgt bei ihm immer noch für ein schlechtes Gewissen. Wahrscheinlich ist sowieso mal wieder die Kindheit an allem schuld, zumindest an Lauries Selbstzweifeln und seiner übertriebenen Bescheidenheit. Muttern schätzte Hochmut nicht. Und der Vater gewann zwar 1948 eine olympische Goldmedaille im Rudern, versteckte sie aber in einem Karton auf dem Dachboden.
Obwohl Laurie den Blues von Kindesbeinen an liebte, spielte er nie in einer Band – weder zur Schulzeit noch während des Studiums in Cambridge. Später baute er in diverse Comedy-Formate Musik ein, meist Parodien: „Ich habe mich hinter der Komik versteckt wie hinter einem Schleier, aber tatsächlich habe ich diese Musik immer geliebt und gewünscht, ich könnte sie ernsthaft betreiben.“ Jetzt ist es für ihn an der Zeit, aus der Deckung zu gehen. Laurie musste „betteln“, sagt er, dass er mal zwei Tage hier und zwei Tage da bei „House“ freibekam, um ins Studio zu gehen. Der Nachfolger seines Roman-Debüts von 1996, „The Gun Seller“ (in Deutschland unter dem albernen Titel „Bockmist“ erschienen), muss daher noch etwas warten, auch wenn der Titel schon seit fünf oder sechs Jahren feststeht: „Paper Soldier“. Vorerst hat die Musik Vorrang.
Hätte dieses Album anders geklungen, wenn Sie es vor 10 oder 20 Jahren aufgenommen hätten?
Oh ja, sehr anders. Ich hätte es damals gleich gar nicht gemacht, weil ich nicht den Nerv gehabt hätte. Aber falls doch, dann hätte ich mich mehr versteckt. Diese Versuchung gibt es ja immer: sich großartige Musiker zu suchen, die Stimme mit irgendeiner App zu verstärken, alles mit ProTools aufzuhübschen – man kann sich wunderbar hinter all der Technik verstecken. Aber ich war wild entschlossen, das nicht zu machen, sondern sozusagen nackt hier zu stehen. Ich wollte nicht mogeln, sondern so ehrlich sein wie möglich. Betrügen kann jeder.
Wie kamen Sie auf Joe Henry als Produzenten?
Ich war einmal in L.A. im Studio, als er mit Elvis Costello und Allen Toussaint „The River In Reverse“ aufnahm. Als ich nach einem möglichen Produzenten gefragt wurde, fiel er mir sofort ein. Ich besuchte ihn, wir tranken Kaffee, aus zehn Minuten wurden ein paar Stunden. Unser Geschmack ist ähnlich, deshalb war die Songauswahl auch so ein Vergnügen. Da flogen die E-Mails nur so hin und her.
Sie haben sich nicht nur für Blues-Standards entschieden, sondern auch für eher unbekannte Stücke.
„St. James Infirmary“ ist schon mehrfach gecovert worden, „Swanee River“ natürlich auch, aber andere sind viel zu unbekannt. Ich halte es für ein Verbrechen – und ich weiß, dass ich jetzt wie ein alter Sack klinge -, dass Kids heutzutage Leadbelly nicht kennen. Oder auch erwachsene Leute. Das ist so schade. Mir war wichtig, dass die Mischung richtig ist und die Songs zusammenpassen. Dass man sich vorstellen kann, dass sie gemeinsam um einen Tisch sitzen und zu Abend essen und sich wohlfühlen, weil die Gesellschaft stimmt.
Sie spielen auf „Let Them Talk“ Piano, nicht Gitarre, obwohl Sie das auch können.
Am Piano fühle ich mich wohler. Ich glaube, das liegt daran, dass ich viel Zeit allein verbringe. Das Piano passt noch besser zu Einzelgängern als die Gitarre. Also zu mir.
Und dann standen Sie im Studio mit all diesen Profi-Musikern. War das nicht etwas einschüchternd?
Ach. Ach. (Setzt ein beeindruckendes Schmerzensgesicht auf.) Sie machen sich keine Vorstellung! Noch vor einigen Tagen, als wir für das Konzert gestern probten, gab es so einen Moment – Allen Toussaint stellte sich hinter mich und kreuzte die Arme vor der Brust, als wollte er sagen: Nun mach mal, Junge! Ich dachte nur: Geh weg, geh weg! Ich war etwas in Panik.
Beim Konzert sahen Sie gar nicht ängstlich aus, aber Sie sind ja auch Schauspieler …
Das stimmt, und zum Schauspielern gehört natürlich, zu verbergen, dass man Angst hat. Aber was man nicht verbergen kann: die Hände. Wenn man zittert, ist es aus. Ich hätte etwas mehr Wodka gebraucht. Ich hatte nur ganz wenig. Andererseits darf man auch nicht zu viel haben, sonst wird man fahrlässig und trifft die Noten nicht. Eine heikle Geschichte!
Für „House“ haben Sie sich einen amerikanischen Akzent zugelegt. Wie ist das beim Singen?
Es kommt, wie es kommt. Wenn ich amerikanisch klinge, dann vielleicht, weil ich mit lauter Amerikanern aufgenommen habe – und es sind natürlich amerikanische Songs, die diesen speziellen Sound haben. Ich habe aber versucht, gar nicht zu viel darüber nachzudenken. Das ist überhaupt mein größtes Ziel, jeden Tag: mich daran zu erinnern, nicht zu viel nachzudenken.
Sie haben nur einmal Theater gespielt, 1990 in London, und danach behauptet, Sie möchten nie wieder auf die Bühne. Aber genau da stehen Sie nun.
Vier Monate waren das damals. Die ersten beiden Monate waren Furcht einflößend und die letzten beiden langweilig. Dazwischen gab es zwei Tage, bei denen die Balance stimmte. Das war nicht genug: zu viel Brot und zu wenig Salami. Mit der Musik wird das, glaube ich, anders. Ich wünschte nur, ich könnte etwas entspannter sein und mir weniger Sorgen um die Texte und die Noten machen.
Denken Sie nicht manchmal: eine komische Karriere? Von „Blackadder“ zu einem Agenten-Bestseller zu „House“ und einem Blues-Album …
Die ganze Zeit! Ich wundere mich ständig. Aber ich habe irgendwann eine seltsame Entdeckung gemacht. Wenn man anderer Leute Leben ansieht, kommt einem da alles folgerichtig und planvoll vor – als wäre es von Anfang an klar gewesen, dass dieser Typ das und das erreicht, dass dieses und jenes geschieht. Im eigenen Leben sieht es dagegen eher so aus (malt mit beiden Armen wilde Figuren in die Luft): völlig willkürlich. Man hat keine Ahnung, wo das Leben hinführt. Alles ist Zufall. Ich weiß überhaupt nie, was mir demnächst passieren wird.
Hugh Lauries Debütalbum „Let Them Talk“ erscheint am 29. April bei Warner Music.