Honky Tonkin‘
Die Depression machte sie populär, die Songs über das Elend des Alltags, über Lug, Trug und Träume, über das sinnlose Ersäufen der Seelenpein. Geteiltes Leid am Tresen der Honky Tonks
Lange bevor Country Music urbanisiert und domestiziert wurde, als man noch ungeniert von Country & Western sprach, eine an sich grundanständige, hochmoralische Sangeskultur in gottesfürchtiger Tradition, gab es bereits einen sündigen Abkömmling, der Honky Tonk geschimpft wurde, weil er sich dort vornehmlich herumtrieb. Lichtscheu, verderbt, verloren. Seine Songs scherten sich wenig um etwaige Sensibilitäten der Hörer, sie nannten die existenziellsten Dinge beim Namen, klagten ihr Leid, weinten vor Angst oder Eifersucht, gaben sich reumütig, rachsüchtig, lüstern. Und weil die nackte private Wahrheit sich schlecht mit musikalischer Harmoniesucht verträgt, legten Honky-Tonk-Sänger beim Seelenstrip keinen Wert auf Schöngesang. Glaubwürdigkeit war alles, entsprechend eigen war der Ausdruck. Es wurde geheult, gestöhnt, gefleht, geschrien, gegreint, es wurden Vokale zerdehnt, verschluckt und wieder ausgespuckt. Und dazu jaulte und fauchte das Honky-Tonk-Instrument schlechthin: die Pedal-Steel-Guitar.
Die formativen Jahre des Honky Tonk waren die Dreißiger und frühen Vierziger, seine Pioniere wie Ted Daffan oder Al Dexter trugen noch Western-Outfits. oder wenigstens einen Stetson wie Ernest Tubb. Erst der Honky-Tonk-Boom in den Wirren der Nachkriegszeit entband die Protagonisten vom Einheits-Look. Dem sich der größte aller Honky-Tonker freilich bis zu seinem Tod verpflichtet fühlte: Hank Williams liebte es, in smarten, für jede Show perfekt präparierten Trad-Klamotten vor sein Publikum zu treten.
Nach Ende des 2. Weltkriegs brachen die Dämme, sozial entwurzelte und kulturell entfremdete junge Männer kehrten zu zigtausenden in ihre Heimat zurück, nachdem sie in Übersee mit den grimmigsten Realitäten vertraut gemacht wurden. Von den Grausamkeiten des Krieges nicht nur seelisch verwundet, verfolgt von Bildern der Zerstörung, erschienen ihnen die Heileweltbotschaften von Erbauungs-Entertainern als verlogen und weltfremd. Illusionslos, ohne Arbeit oft. bevölkerten sie die Juke Joints, fütterten die Jukeboxes und suchten Vergessen in harten Drinks und härteren Songs. Die handelten von ihren eigenen Problemen, vom Abgebranntsein, von Untreue, Gaunereien, Knast, von schlechtem Gewissen und Selbstmitleid. Nicht vom Leben nach dem Tode wollten sie hören, leben wollten sie jetzt, erst recht. So wie die Honky-Tonk-Stars der Stunde, die zu karger, unverblümter Musik die Schattenseiten des ohnehin lausigen Lebens besangen. Der genialische, von Selbstzweifeln und allerlei Substanzen zerfressene Hank Williams. Oder der ewig gebeutelte Lefty Frizzell. ein großer Stilist und kleines Schlitzohr, dem einige seiner besten Songs einfielen, während er hinter Gittern saß. Songs wie der Hallodri-Hit „,.lf You’ve Got The Money, l’ve Got The Time“, in der Tradition von Dexters „Honky Tonk Blues“, Daffans „Born To Lose“ und Hanks „l’m So Lonesome I Could Cry“.
Zu Beginn der fünfziger Jahre erreichten viele Honky-Tonk-45s Millionenauflagen, Sangeshelden wie Hank oder Lefty füllten riesige Hallen, ihre Shows wurden landesweit im Radio übertragen. Und es wuchs eine neue Generation von Künstlern nach, beseelt vom Deep Country Blues, beflügelt von der Aussicht auf Ruhm und Reichtum. Hank Thompson, Ray Price, Webb Pierce, Faron Young, Freddie Hart, sie alle fügten der Musik etwas Eigenes hinzu. Keiner mehr als George Jones, dessen Songs und Stimme dieseitig und jenseitig waren, von Erniedrigung und Erhabenheit wussten. Und wissen.