Honky Tonk Showman

Harald Schmidt trotzt dem Altrocker-Syndrom

92 Prozent aller Deutschen kennen ihn, bis zu zwei Millionen sehen seine zwei Shows pro Woche: Harald Schmidt wird geliebt und gefürchtet, gleichsam als harter Business-Hund und Schöngeist gesehen. Obwohl er im Rolling Stone-Interview zugibt, nie ein Rock’n’Roller gewesen zu sein: Schmidts Vorbild in Sachen Coolness, Beharrlichkeit und gesundem Egoismus ist Mick Jagger Für die Leute, die ihn auf der Straße erkennen, spielt er den Onkel aus dem Fernsehen, sagt Harald Schmidt. Läßt sich sogar mit Fotohandys knipsen, obwohl er selbst – natürlich! – keines hat. Erzählt er dann auch einen Witz? Nein, tut er nicht. Es gibt zwar diese rührenden Momente bei Schmidt, in denen er so nahbar und aufrichtig wirkt, zum Beispiel in der Sendung vom 8. September, als er die Geburt seines (insgesamt vierten) Kindes ansagte – man sollte jedoch daran denken, daß Schmidt Schauspieler ist. Für unterschiedliche Interviewer hat er unterschiedliche Persönlichkeiten parat, selbst über seine Teilnahme am sozio-esoterischen „Du bist Deutschland“-Spot machte er sich hinterher lustig. „Inzwischen hat er alle Rollen durch. Geblieben ist die des Harald Schmidt“, schrieb die Sonntags-„FAZ“ in einem durchaus gelungenen Verriß von Schmidts ARD-Wiedergeburt. „Harald Schmidt spielt, parodiert, konterkariert Harald Schmidt.“ Im Prinzip das, was man auch den Rolling Stones vorwirft. Schmidt ist 48, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kein hohes Alter.

Und auch Schmidt hat eine neue Platte draußen, die schöne Hörbuch-Doppel-CD „LiveMitSchmidt“ (Deutsche Grammophon), und deshalb empfing er uns im Büro seiner Produktionsfirma Bonito in Köln. Wen er diesmal spielte?

Herr Schmidt, wir müssen Ihnen endlich mal die Rock’n’Roll-Frage stellen. Sie hatten Bowie, Oasis und Franz Ferdinand in der Show, das junge Publikum findet Sie cool. Haben Sie Rock’n’Roll-Wurzeln?

Ich glaube nicht, daß ich Rock’n’Roll-Wurzeln habe. Diese Bands werden mir im Grunde vorgeschlagen. Bowie ist natürlich eine absolute Größe, aber Franz Ferdinand zum Beispiel kannte ich gar nicht. Bei mir damals, das war die Zeit von Deep Purple, Queen, Stones, Beatles, Who. Das geht ja vorbei. Ich finde, daß Popmusik auch eine Frage des Alters ist. Gut, ich gehe natürlich aufs Clapton-Konzert, aber da bin ich von Leuten zwischen Mitte 50 und 60 umringt. Es gibt so Künstler, die einen durch die Jahrzehnte begleiten, aber ich wüßte jetzt nicht, was mich bei Franz Ferdinand vom Hocker reißen sollte.

Waren Sie selbst mal Fan? Haben Sie sich im Radio Lieder gewünscht?

Ja, ich war sogar mal in einer Sendung vom Südwestfunk im Landesstudio Tübingen, da mußte man einen Musikwunsch schicken und dann live in der Sendung begründen, warum man sich das gewünscht hatte. Da war ich wahnsinnig begeistert. Ich war 13 oder so, und mein Wunsch war Johnny Cash, „Man In Black“.

Wenn es denn sein müßte: Ihre Lieblingsplatte? Vermutlich immer noch Queen, „Greatest Hits“. Aber die Phase, in der solche Musik bedeutsam fürs eigene Leben wird, zum Ausdruck von Rebellion und so weiter – die gab es nicht?

Nee. Ich hab nicht rebelliert. Ich wollte ja ziemlich schnell Teil des Systems werden. Ich hätte gar nicht gewußt, wogegen ich hätte rebellieren sollen.

In Nürtingen, in der schwäbisehen Provinz, war man natürlich auch gegen den Vietnamkrieg und verfolgte die RAF-Prozesse, aber das war nichts, was mich weiter beschäftigt hätte. Ich wollte zum Theater, und alles andere war zweitrangig.

In den 8Oern fühlten sich viele Kabarettisten durch die Opposition zur CDU vereint, in der Zeit haben sie auch angefangen. Könnte das jetzt wiederkommen, nach dem Ende von Rot-Grün?

Ich würde es nicht so politisch sehen, eher so: Jetzt kommt endlich mal wieder neues Personal ran. Das man zum Großteil aber schon kennt. Und das Kabarett kann sich nicht mehr auf eine Rechts-Links-Haltung verlegen. Das gibt es einfach nicht mehr. Die Kabarettisten, die das noch machen – meiner Meinung nach sind die nicht am Puls der Zeit.

Manche sagen ja, daß das Kabarett in Deutschland insgesamt seine Bedeutung verloren hat, als die SPD an die Regierung kam und es kein Feindbild mehr gab.

Nö, was spricht gegen Schröder als Feindbild? So hab ich nie gedacht, ich war ja auch nicht der klassische politische Kabarettist. Ich habe auch nie Kohl-Witze gemacht. Ich hatte schon relativ früh den Eindruck, daß der falsch eingeschätzt wird. Er wird ja auch jetzt, aus der Distanz, immer größer. Auch das Wahlergebnis spricht eigentlich für ihn.

Die Deutschen haben ja auch eine Sehnsucht nach solchen Vaterfiguren.

Klar gibt es die, aber die war ja nie weg.

Schröder hat sich dafür nicht so geeignet Deswegen wurde er ja auch abgewählt. Nicht nur deswegen, aber für mich ist das Ergebnis gar nicht so überraschend. Ich hätte zwar nicht gedacht, daß die CDU so stark einbricht, aber 70 Prozent wollen eben Reformen, ohne daß man’s größer merkt.

Ulf Poschardt hat einmal sinngemäß über Sie geschrieben, daß Ihr Erfolg im Fernsehen ein Ausläufer der Punk-Bewegung sei. Ein Aspekt von Punk ist ja auch, daß jeder Künstler sein kann, also auch Showmaster. Stört Sie das nicht?

Das Gefühl kann ja jeder haben, aber wenn überhaupt, dann funktioniert so etwas nur eine ganz ganz ganz kurze Zeit lang. Ich bin da jemand, der aus einer ganz klar konservativen Haltung kommt. Für mich gehört zu jeder Form von künstlerischer Tätigkeit ein Handwerk. Ich meine: Wie lange gab es Punk? Ich bin da eher jemand, der sich so Stones-artig sieht. Mick Jagger ist halt immer noch da.

Finden sie den gut?

Mick Jagger? Ja klar. Sie nicht?

Doch, viele finden, er solle lieber mal aufhören.

Das muß man den Leuten doch selbst überlassen. Und die Leute, die zum Konzert gehen, warten doch eh nur auf die alten Nummern. Was völlig in Ordnung ist. Da wird auch die eine oder andere neue Nummer akzeptiert, aber im Prinzip geht man zum Stones-Konzert, weil man „Honky Tonk Women“ hören will.

So eine Publikumserwartung kennen Sie ja. Die meisten wollen, daß Sie für immer der alte Sat.l Schmidt bleiben. Das haben Sie ja an den schlechten Kritiken gemerkt, als Sie in der ARD anfingen.

Das freut einen natürlich nicht besonders, wenn man solche Kritiken liest, aber ich bin jetzt 25 Jahre dabei und eigentlich die meiste Zeit sehr gut behandelt worden. Man hat eben, wenn man das eine längere Zeit macht, auch schlechtere Phasen, das ist ganz normal. Es gibt auch mal zwei Spielzeiten, in denen Real Madrid schwächelt. Man muß auch sagen: Wenn man das auf dem Level macht, auf dem ich das mache, hat das letzten Endes überhaupt keinen Einfluß mehr auf die Anzahl der Zuschauer, was die Presse schreibt.

Sie geben ja auch wenig Interviews. Und Sie betonen, daß Sie in der Öffentlichkeit nie Ihr wahres Privatleben präsentieren, sondern immer nur eine bestimmte Illusion davon, die Sie nach Bedarf in die eine ödere andere Richtung lenken…

Genau.

Neulich haben Sie für die „Weltwoche“ mit Andre Müller gesprochen, einem der größten deutschen Interviewer. Das fanden Sie gut?

Ich fand es Andre-Müller-gemäß. Ich hatte einige seiner Interviews vorher gelesen, aber ich hätte vielleicht noch ein paar mehr lesen sollen. Auch ein Andre-Müller-Interview gibt man natürlich als Kunstform, da ist eher der depressive Touch gewünscht. Das hätte ich noch ein bißchen verstärken können.

Sie haben im weitesten Sinne über die Sinnlosigkeit menschlichen Strebens gesprochen. Das ging sehr ans Herz.

Ja. Aber das sollte es ja auch. Könnten Sie denn selbst richtige Interviews führen?

Glaube ich nicht. Das interessiert mich gar nicht. Ich stelle auch fest, daß die Leute in Interviews nicht ehrlich sind. Bin ich ja auch nicht. Das ist gar nicht mein Job, Interviews zu geben.

Interessieren Sie sich denn für das Privatleben von anderen Prominenten?

Im Sinne von Tratsch schon. Ich freue mich über jeden, der in „Bunte“ und „Gala“ großzügigst auspackt. Ich selbst würde es natürlich nicht machen, aber ich lese es gern. Biographien mag ich auch. Zuletzt habe ich die von Martin Amis gelesen, sehr gut, sehr literarisch verbrämt. Das geht einem teilweise auch ein bißchen auf den Keks, aber trotzdem interessant, sehr viel Name-Dropping. Man kann sehr viele Querverweise finden, die sich als Material ausschlachten lassen. Es gibt gewisse Fixpunkte, die immer wieder auftauchen, wenn man Biographien liest. Zum Beispiel die Romane von Joseph Conrad, die sind einfach bei allen Leuten dieser Kategorie gebongt. Also fängt man mal an, so einen Roman zu lesen. Aus dem Grund interessiere ich mich für Biographien.

Nicht, weil ich irgendwas Sensationelles über Martin Amis und sein Werk erfahren will.

In Medienberufen gibt es ja die ungeheure Gefahr, nach und nach zu verblöden.

Das ist eine Definitionsfrage, ob Verblöden überhaupt etwas Negatives ist. Und: Wer ist nicht schon alles verblödet und merkt’s gar nicht? Ich weiß, was Sie meinen, aber so ist der Lauf der Dinge. In dem Moment, in dem man in die Medien geht, muß man doch im weitesten Sinne versuchen, so viele Leute wie möglich zu erreichen.

Sie haben ja etwas dafür getan, daß die abendliche Fernsehunterhaltung eben nicht verblödet.

Nein, das war nie mein Ausgangspunkt: „Ich mache intelligente Fernsehunterhaltung.“ Ich mache das, was ich lustig finde und was mich interessiert. Daß das so gesehen wird, ist schön, aber ich habe nie gesagt, daß ich intelligente Unterhaltung machen möchte.

Andersrum, können sie sich denn über Klingelton-Werbung und minderwertiges Fernsehen aufregen?

Nein, das krieg ich alles nicht mit. Ich sehe nie Klingelton-Werbung, weil ich die Kanäle gar nicht gucke, wo die läuft.

Sie kennen den bekloppten Frosch gar nicht?

Nie gehört. Ich mußte mir auch erklären lassen, was dieses Huhn war…

Sweetie?

Ja, Sweetie. Kannte ich gar nicht.

Aber Sie haben doch selbst oft über das sogenannte Unterschichtenfernsehen geredet. Ist es denn überhaupt möglich, sich davon ganz fernzuhalten?

Ganz einfach. RTL II guck ich nicht, weil da nichts läuft, was mich interessiert. Unterschichtenfernsehen hab ich noch keine Sekunde gesehen. Da habe ich gar kein Interesse dran.

Sie haben auch mal gesagt, daß sie Arte nicht anschauen.

Ganz selten.

Da herrscht ja allgemein große Unsicherheit: Wo ist die Grenze zwischen Trash auf der einen Seite und sogenannter Kunstkacke auf der anderen?

Wenn jemand sagt, er kann mit Picasso nichts anfangen, dann kann er das halt nicht. Für mich ist die Frage nur: Interessiert mich etwas oder interessiert es mich nicht? Natürlich ist zum Beispiel Beethoven vermutlich wertvoller als Volksmusik, aber wenn für viele Leute das Leben mit Volksmusik erträglicher ist, dann können Sie sowieso nichts dagegen tun.

Stört es Sie, daß viele Leute denken, daß Sie bei der ARD zu viel verdienen?

Nein, (lange Pause) Das ist ja deren Problem. Ich muß mich ja niemandem erklären. Das ist die wunderbare Welt der Marktwirtschaft. Jeder, der meint, er müsse das auch kriegen, der kann es ja versuchen.

Sie haben mehrfach erzählt, daß Ihnen an der Sicherheitskontrolle am Flughafen öfter mal ein Beamter „Sie Arschloch!“ ins Ohr zischt.

Ehrlich gesagt ist das nie passiert, aber ich fand’s eine gute Geschichte. Deshalb hab ich die so ein bißchen ins Repertoire aufgenommen.

Spüren sie manchmal, daß die Leute Angst vor Ihnen haben?

Ja, häufig. Wenn ich frage: Kann ich eine Tasse Kaffee haben? – dann halten viele das für eine Falle. Ich habe gar nichts dagegen, daß Leute eingeschüchtert sind, das macht’s für mich einfacher. Die Leute schüchtern sich ja selbst ein. Der sogenannte Dirty Harry bin ich ja schon lange nicht mehr, aber es dauert halt, bis sich das rumspricht.

Aber beim Publikum gibt es noch immer ein Bedürfnis danach, zu sehen, daß die Leute aus dem Fernsehen ganz normale, nette, knuffige Typen sind.

Die meisten sind das ja auch, das ist das Grausame. Normal, nett und knuffig, das sind ja drei Todesurteile. Normal, nett, knuffig, wer will das schon sein? Da würde ich lieber Grillabende oder sowas machen. Normal, nett und knuffig geht gar nicht. Man hört ja häufig den Satz: Wichtig ist für mich, daß ich nicht abgehoben bin. Das wird gewünscht von einem Großteil der Zuschauer, und deshalb wird es bedient. Die meisten meinen auch, wenn sie sich normal geben, werden sie von den Medien länger geliebt.

Viele Prominente haben doch gelernt, ironisch zu sein und mit den Medien souveräner umzugehen.

Da hat sich in den letzten zehn Jahren definitiv einiges getan. Der Fußball zum Beispiel hat sich als Zielscheibe für Comedy mittlerweile komplett erledigt. Leute wie Matthäus, Basler, Hitzfeld sind weg, und die neue Generation hat Abi und gibt eher langweilige Interviews. Und so ein Klinsmann kommt auf einer kalifornischen Welle daher, der ist positiv angesehen, auch der bringt einem nichts mehr. Das läuft darauf raus, daß Gerald Asamoah vielleicht mal Rastalocken hat, aber das war’s dann auch schon.

Die meisten großen Biographien, die man lesen kann, sind ja allein schon durch die Verklärung tolle Geschichten. Wollen Sie Ihre Biographie auch gern zu einer solchen Geschichte formen?

Das brauche ich nicht, das konnte ich alles schon lesen, als ich bei Sat 1 ausgestiegen bin. Da konnte ich ja im Grunde meine eigenen Nachrufe lesen. Das ist mit Sicherheit nicht mehr zu toppen, also kann ich jetzt ganz entspannt auf die nächsten 50 Jahre zugehen und schauen, wie sich die Wogen so bewegen. Das ist vielleicht nicht mehr ganz so aufregend, aber es ist angenehm.

Haben Sie sich amüsiert über diese Pseudo-Nachrufe?

Ich fand das großartig. Da habe ich genau den Stellenwert bekommen, den ich mir selbst zuschreibe. Das war natürlich alles heillos übertrieben, aber ich finde, das stand mir zu.

Haben Sie trotzdem in schwachen Stunden Angst, daß man sie gar nicht vermißt, wenn Sie irgendwann mal ganz weg sind?

Nein, das weiß man, daß das so ist. Definitiv. Das sieht man an anderen, und das hat man auch schon selbst erlebt, das ist der Lauf der Zeit. Man ist nur so lange präsent, wie man auch aktiv auftritt. Es gibt auch keinen, der vermißt wird. Also ich wüßte keinen. Aber ich habe überhaupt kein Problem, damit zu leben.

Darin konnte ja auch eine Versuchung liegen. Daß man sagt: Wenn ich schon irgendwann den Abgang mache, dann will ich selbst alles zerstören.

Nee, das bringt ja auch nichts. Damit ist man ja auch nicht weniger vergessen als vergessen. Da sind ja auch alle Möglichkeiten schon abgefrühstückt. Ich wüßte gar nicht, wie das aussehen sollte. Naja, man bläst sich auf der Bühne die Rübe weg oder so, das ist eigentlich relativ uncool. Kurt Cobain ist halt in die Garage gegangen, aber wenn da nicht die Witwe noch rumschreien würde, würde man auch nicht mehr davon reden. Da ist mir dann so ein Mick Jagger auch lieber. London School of Economics, am Computer die Kurse umrechnen: Das finde ich irgendwie cooler.

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