Der „Hofnarr“-Spruch ist der Laschet-Moment für Olaf Scholz

Eine geleakte Party-Bemerkung wird für den SPD-Kanzler zum Problem. Er kann eigentlich nur falsch reagieren.

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Bis gestern kannten in der Republik wohl nur wenige Berlins Kultursenator Joe Chialo. Das hat sich geändert, seit der „Focus“ öffentlich lanciert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den CDU-Politiker in dessen Abwesenheit bei einer Party vor anderen Gästen als „Hofnarren“ bezeichnet haben soll. Konkret sagte er, so zitiert ihn das Blatt: „Jede Partei hat ihren Hofnarren“ und „Er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt“.

Der „Focus“ wittert Rassismus, die CDU gibt sich empört – wenngleich Parteichef Friedrich Merz in seiner Reaktion den Rassismus-Vorwurf nicht in den Mund nimmt („Das ist der Bundeskanzler, der immer Respekt beansprucht, offensichtlich aber nur für sich selbst“).

Aus der SPD-Zentrale wird der Vorwurf laut, es handele sich offensichtlich um eine Kampagne. Scholz nimmt sich einen Medienanwalt und lässt verlauten, dass die Behauptung, er habe sich rassistisch geäußert, „konstruiert“ sei. Eine Bitte um Entschuldigung lässt sich der Kanzler nicht entlocken, aber er telefoniert mit Chialo.

Olaf Scholz wirkt düpiert

Natürlich gibt es wesentlich drängendere Themen in diesem Krawall-Wahlkampf, bei dem die Parteien den Eindruck machen, als müssten sie nach dem Wahltag nicht mehr koalieren oder kooperieren. Aber Olaf Scholz hat nun seinen Laschet-Moment bekommen. Wir erinnern uns: Der damalige CDU-Kanzlerkandidat lachte in einem falschen Moment, als es um die Opfer der Flutkatastrophe ging, die Kameras fingen es ein, danach trauten ihm die Wähler nicht mehr zu, Kanzler zu können.

Gewiss ist es nicht ungewöhnlich, auf einer Party auch mal einen scharfen Witz zu machen oder eine sarkastische Bemerkung, die über das Ziel hinausschießt. Scholz stellte dann auch klar, dass er den „Hofnarr“-Spruch so gemeint hat, dass Chialo in einer restriktiven Partei einer der wenigen liberalen Stimmen sei.

Bei der Bewertung der nicht ganz unproblematischen Bezeichnung kommt es natürlich auf den Kontext an. Den kennt die Öffentlichkeit nur in Ansätzen, so dass hier eine Vorverurteilung lediglich im Bereich eines strukturellen Rassismus‘ erfolgen kann, für die selbst ihre Produzenten quasi blind (aber, so die Theorie, nicht entlastet) sind. Normalerweise bleibt solch eine Bemerkung auch unter Journalisten im Notizheft stecken, wenn es denn überhaupt notiert wird. Aber hier steht ja der Rassismus-Vorwurf im Raum.

Wie soll eine Entschuldigung aussehen?

Die SPD und Kanzler Scholz haben nun das Problem, dass sie dem medialen Blitzlichtgewitter in der Causa wenig entgegenbringen können. Die gewiss richtige Feststellung seiner Partei, Scholz sei absolut kein Rassist und auch der Begriff „Hofnarr“ nicht rassistisch, verfängt kaum, weil der Schmähspruch in der Welt ist und er auch nicht mit 100 verschiedenen Nachweisen für Chialos behauptete liberale Gesinnung weggebügelt werden kann. Das Problem für Scholz ist die von ihm so gar nicht intendierte Mehrdeutigkeit des Feigenblatt-Ausspruchs.

Die einen mögen sich darüber empören, dass ein Kanzler sich überhaupt so scharfzüngig über einen politischen Gegner äußert. Die anderen mögen bemerken, dass der Kanzler erst in diesem Wahlkampf gelernt hat, auf den Tisch zu hauen, dabei aber entgegen seinem offensichtlich zurückhaltenden Charakter mehrmals über das Ziel hinaus geschossen ist (etwas, das auch FDP-Chef Christian Lindner bei der Ampel-Aus-PK zu spüren bekam).

Es ist Olaf Scholz zu glauben, dass er über die Wirkung der eigenen Worte „persönlich betroffen“ ist. Im Kampf um den erneuten Einzug ins Kanzleramt hat er nun dennoch Vertrauen verspielt. Er kann dafür genauso wenig wie Laschet damals, dem ebenfalls ein Moment der mangelnden Selbstbeherrschung zum Verhängnis wurde.

Chialo hat sich inzwischen zu den Vorkommnissen geäußert. Er halte Olaf Scholz nicht für einen Rassisten. „Daran, dass seine Worte herabwürdigend und verletzend waren, ändert dies jedoch nichts“, ergänzte er. Das, was Scholz Vertrauen kostet und die politischen Gegner nun für sich moralisch vereinnahmen können, ist so auch nicht der unbegründbare Rassismus-Vorwurf an sich, sondern die Verletzung, die er mit seinen Worten erzeugt hat.