Hirnforschung – Die studierte Anthropologin Tracy Chapman denkt über das Denken an sich nach
ER HATTE I988 SCHON BASS AUF ihrem ersten Album gespielt, dann auch auf dem zweiten und später auf dem vierten. Doch erst auf dem achten Album, „Our Bright Future“, konnte sich Ex-Joni Mitchell-Gatte Larry Klein auch als Produzent in der musikalischen Vita von Tracy Chapman verewigen. „Ich erinnerte mich an seinen Humor“, erzählt die 44-jährige Amerikanerin schwer verschnupft in Hamburg, „und daran, dass er sich schon damals nicht nur für die Musik interessierte. Es ist gut, als Songschreiber mit jemandem zu arbeiten, den auch die Bedeutung eines Songs kümmert, nicht nur der Klang.“
Für Klein nahm Chapman sogar zwei Studio-Monate Los Angeles in Kaut. Larry wollte eigentlich gar nicht arbeiten, weil seine Frau ihr erstes Kind erwartete. Der Kompromiss war dann, es in L.A. machen, wo er schnell nach Hause konnte. Die Verfeinerung und Erweiterung ihrer Sprache der Liebe hatte Chapman allerdings schon fertig im Gepäck. „Neulich sagte ein Regisseur: Es gibt fünf Geschichten, die immer wieder erzählt werden. Oder sieben? Die Frage ist ja: Wie lässt sich noch über die Liebe schreiben?“
Nicht gerade naheliegende Inspirationsquellen helfen. „Auf einer Wissenschaftskonferenz dachte ich irgendwann selbst übers Denken nach.“ Sie lacht hinter ihrem Jamaica-Koalition-Schal hervor und alles Prätentiöse weg. „Gibt es eine Zeit, in der man besser nicht denken sollte? Heraus kam dieser Typ, der ganz für die Wissenschaft lebt und eine unerreichbare Liebe nicht leben kann. Für ,Thinking Of You‘ entwarf ich dann seine Welt, nach ein bisschen Recherche: Wer hatte noch mal behauptet, dass die Erde eine Scheibe ist? Und Steve Gadd sagte ich, er solle einen Groove spielen, der klingt, als ob man die Schaltvorgänge im Gehirn hören könne.“
Exakt 20 Jahre nachdem sie beim Konzert für Nelson Mandela ins kollektive Pop-Bewusstsein katapultiert wurde, redet Tracy Chapman schon lange nicht mehr von Revolution. Da-Sendungsbewusstsein einer Moralistin ist der neugierigen Verblüffung einer studierten Anthropologin gewichen. Was auf „Our Bright Future“ nirgends deutlicher wird als in der lustvollen Camouflage „I Did It All“, die sie fragen lässt: „What kind of lite is not an exhibition?“ Ihr eigenes im Künstler-Rahmen höchstens noch eine kleine, nachdem sie in der Hype-Zeit auch legale Mittel gegen „die wildfremden Leute auf meiner Treppe“ bemühte und dann ein Zeichen mit ihrem Wahl-Wohnsitz setzte: San Francisco. „Ich geh ja auch nicht mit Entourage und Bodyguards einkaufen. Aber der Song spürt diesem Wesenszug in unserer Kultur nach, wonach du eigentlich gar nicht am Leben bist, wenn nicht alles offenbart oder vor eine Kamera gezerrt wird.“ Und was sagt das über uns und unsere Kultur?
„Nun, einmal, dass es eine Möglichkeit ist, billig Fernsehen zu machen. Aber ich denke, dass da auch eine unserer besseren Eigenschaften als Menschen mitschwingt, die leider nur gegen uns gewandt wird. Denn wir interessieren uns eigentlich füreinander, wir wollen wissen, wie es andere hinbekommen. Du möchtest ja von Leuten umgeben sein, die Empathie für dich haben und dich einfach als menschliches Wesen sehen. Das ist gut und gesund, aber oft geht es zu weit. Und natürlich denken offenbar viele Leute, dass andere Leben einfach viel interessanter sind als ihr eigenes.“