„HipHop hat mir das Leben gerettet“
Es muss an den Haaren liegen. Unter der schwarzen Army-Kappe, die er heute Nachmittag trägt, kann man sie zwar nicht richtig erkennen, aber keine Frage: Zum ersten Mal seit über fünf Jahren hat Eminem die blonden Slim-Shady-Haare reaktiviert, von denen er sich nach seinem Entzug getrennt hatte. Nach seinem Flirt mit dem Tod pegelte sich sein Befindlichkeitsbarometer damals eher auf „grimmige Entschlossenheit“ ein, doch inzwischen – auch wenn ihm die Veröffentlichung seines achten Studioalbums „The Marshall Mathers LP 2“ im Nacken sitzt – ist er bester Laune und erstaunlich entspannt. Im Laufe unseres ausführlichen Gespräches macht er unter anderem eine gelungene Yoda-Parodie, rappt Passagen von „My Name Is“, lacht, zieht sich selbst durch den Kakao – alles Dinge, die angeblich nicht mehr zu seinem emotionalen Repertoire gehören.
Wir sind in seinem Studio-Komplex in einer Detroiter Lagerhalle, wo er gerade letzte Hand an den Mix legt. Eine der Wände wird von klassischen Daddel-Maschinen in Anspruch genommen (wobei nur „Mortal Kombat“ tatsächlich benutzt zu werden scheint), auf dem Fernseher im Eingangsbereich läuft gerade TMZ-TV und die Gerichts-Show „Judge Judy“ – und wer sich aufs stille Örtchen zurückziehen möchte, findet dort Sammelbände aktueller Marvel-Comics.
Eminem macht es sich auf dem ergonomischen Stuhl seines Managers Paul Rosenberg bequem. Auf dem Fußboden neben ihm stehen eine Flasche Wasser und eine Dose Red Bull Light. Er trägt ein weißes T-Shirt, knielange Cargo-Shorts, eine silberne Kette und blau-weiße „Nike Air Max“, an denen noch das Preisschild baumelt. Er ist unfassbar durchtrainiert und hat einen Bizeps, der im Vergleich zu seinem schmalen, noch immer faltenlosen Gesicht fast schon unnatürlich groß wirkt. Er ist 41, sieht aber deutlich jünger aus.
Ein paar Stunden später steckt Rosenberg den Kopf durch die Tür. Er hat sechs verschiedene Mixe des Songs „Rap God“ dabei, von denen Eminem noch einen auswählen muss. Der ging davon aus, sein Arbeitspensum für heute erledigt zu haben. In gespielter Verzweiflung wirft er seine Hände in die Höhe und springt auf. „Das war’s“, sagt er mit einem fiesen Grinsen. „Ich fange wieder mit Drogen an.“
Es muss ein seltsames Gefühl gewesen sein, im Spiegel wieder die blonden Haare zu sehen.
Wie ein Rückfall in die Drogen-Hölle. Ein bisschen unheimlich. Ich habe mit dem Zeug schließlich unschöne Zeiten durchlebt – nahm zu viele Pillen und sabberte mich voll. Es war eine beschissene Zeit – und nüchtern zu werden und meinen Haaren die ursprüngliche Farbe zu geben, war etwa so, als hätte ich meine Hände gewaschen und diese Zeit endgültig weggespült. Wenn ich’s schon ein, zwei Jahre nach meinem Entzug getan hätte, wär’s vielleicht noch keine gute Idee gewesen, aber inzwischen kann ich mit meiner Nüchternheit besser umgehen. Als sich die Songs langsam wieder einstellten, war die Zeit gekommen -also sagte ich:“Was soll’s? Ich mach’s jetzt einfach.“
Sie klingen auf diesem Album viel entspannter als auf „Recovery“, fast wie früher.
Rückblickend habe ich das Gefühl, als sei „Relapse“(der „Recovery“-Vorläufer von 2009) ein wenig zu witzig, zu überkandidelt ausgefallen. Alles war eine Witznummer: meine übertriebenen Akzente, die konstanten Scherzchen, diese ganze Shock-value-Scheiße -ich ritt das Konzept einfach zu Tode. Bei „Recovery“ war’s dann so wie:“Vielleicht sollte ich zur Abwechslung mal ernsthaft werden, vielleicht sollte ich wieder Songs machen, die etwas Substanzielles transportieren?“ Aber erst als ich die „Bad Meets Evil“-EP aufnahm (eine Kooperation mit Royce da 5’9“), fiel’s mir wirklich wie Schuppen von den Augen: Ich wollte wieder Musik ohne Beschränkungen und Vorgaben machen. Und ich hoffe, dass mir das mit dem neuen Album gelungen ist – einfach wieder Spaß an der Musik zu haben. Was nicht bedeutet, dass es keine ernsthaften Momente geben kann, aber es sollte halbwegs ausgewogen sein.
Vermutlich war Ihr Leben zuletzt auch nicht mehr so dramatisch wie zur Zeit von „Relapse“ und „Recovery“?
Klar, diesmal habe ich keine Überdosis geschluckt, diesmal habe ich nicht Proof verloren, der einer der besten Freunde war, die ich je hatte. Diese Phasen in meinem Leben waren brutal – und das waren nun mal die Themen auf „Recovery“, weil sie wohl so was wie eine therapeutische Funktion für mich hatten. Ich vermisse Proof, ich vermisse ihn jeden Tag, ich liebe ihn und wünschte mir, er wäre wieder hier – aber diese Phase ist nun mal endgültig vorbei.
Sind Sie heute tatsächlich so etwas wie glücklich?
So glücklich, wie’s mir möglich ist, denke ich mal.
An Teilen des Albums haben Sie mit Rick Rubin gearbeitet, und manchmal klingt es tatsächlich wie eine historische HipHop-Produktion. Was hat Sie daran so fasziniert?
Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen besteht neuerdings darin, mir den Retro-Shit rauszukramen -alte Break-Beats und Sounds – und so lange an ihnen zu arbeiten, bis sie wieder modern klingen. Ich hatte diese Richtung schon eingeschlagen, bevor Rick ins Boot kam. Muss wohl eine nostalgische Erinnerung an die Zeit sein, als HipHop noch neu und frisch war.
In dem neuen Song „Legacy“ inszenieren Sie Ihre eigenen Anfänge so, als seien Sie Protagonist einer Superhelden-Story: Sie bezogen Ihre übernatürlichen Kräfte durch den HipHop.
Absolut. HipHop hat mir das Leben gerettet. Es war die einzige Sache, die ich halbwegs vernünftig konnte. Es gibt sonst nichts, zu dem ich fähig wäre. Ich glaube, es gibt ein Wort dafür – wie heißt es noch? Idiot savant?
Ich glaube, Sie sind in zu vielen Bereichen zu gut, als dass man es Inselbegabung nennen könnte.
Danke für die Blumen, aber ich befürchte, dass man das auch anders beurteilen kann.
Von LL Cool Js Biografie einmal abgesehen, lesen Sie eigentlich keine Bücher. Comic-Hefte hingegen haben in Ihrer Jugend eine wichtige Rolle gespielt.
Ich war immer fasziniert von dem künstlerischen Konzept, ich liebte diese Fantasiewelten, diesen völlig abgehobenen Shit. Mein Problem mit dem Lesen ist halt folgendes: Wenn ich etwas lese, kann ich’s nicht gleich verarbeiten – mit Ausnahme der Sachen, die ich selbst geschrieben habe, aber selbst da passiert’s mir in der Hälfte der Fälle. Offensichtlich ist meine Konzentrationsfähigkeit so gering, dass ich nicht mal einen Satz zu Ende lesen kann. Wenn ich mit dem Satz anfange, triggert er eine Assoziation – und schon bin ich auf und davon und denke an was ganz anderes. Und wenn ich dann den nächsten Satz lesen will, muss ich erst wieder zurückgehen: Moment, was hatte ich da gerade gelesen? Was bedeutet, dass ich einen gottverdammten Absatz vielleicht zehn Mal lesen muss. Also lese ich lieber gar nicht.
Auf dem Album wird mehrfach auf Thor angespielt. Ist er Ihr liebster Superheld?
Mein Liebling ist noch immer Spider-Man, aber Thor tauchte häufiger in meinem Kopf auf, weil gerade der Thor-Film im Anmarsch war. Und Thor hat alle möglichen Macken und Kommunikationsprobleme. Er scheint irgendwie gar nicht von dieser Welt zu sein – eine Vorstellung, die mir vertraut und sympathisch ist.
„Survival“ scheint zu suggerieren, dass Sie niemals mit Ihrer Arbeit aufhören werden. Ist das die gegenwärtige Prognose?
Irgendwas mit HipHop werde ich wohl immer machen. Vielleicht ziehe ich mich mal mehr auf die Produktion zurück, aber selbst wenn ich das Mikro zur Seite lege, möchte ich immer mit Musik zu tun haben. Ist ein netter Zeitvertreib. (lacht) Nein, das trifft’s wohl nicht. Im Gegenteil: Sie saugt eher die ganze Zeit aus dir raus. Und natürlich kennt jeder auch die Tage, wo man sich sagt: „Scheiße, ich weiß nicht mal, warum ich mich mit dem Scheiß noch beschäftige.“
Es war eine Überdosis Methadon, durch die Sie fast umgekommen wären. Gibt es noch Nachwirkungen oder körperliche Langzeitschäden?
Nicht dass ich wüsste. Vermutlich habe ich dadurch ein paar Jahre meines Lebens abgezwackt, aber ich hatte Glück im Unglück. Nur meine Zwangsneurosen scheinen noch schlimmer geworden zu sein.
Ist das eine Eigen-Diagnose – oder hat ein Arzt bei Ihnen tatsächlich OCD (Obsessive-Compulsive Disorder) festgestellt?
Eigen-Diagnose. Ich könnte mich rausreden und behaupten, dass mich die Zwangsneurosen nur befallen, wenn ich Musik mache, aber das stimmt nicht. Seit ich nüchtern bin, stelle ich die seltsamsten Sachen an mir fest. Wenn ich etwa auf dem Laufband stehe und mir vornehme, genau 500 Kalorien zu verbrennen, dann halte ich das exakt ein. Und frage ich mich: „Passiert das, weil ich OCD habe – oder bin ich zu stolz, um vorher schlappzumachen?“ Oder ich sitze am Mischpult und quäle mich zwei Stunden lang mit der Frage: „Scheiße, warum klingt die Snare nicht richtig?“ War ich schon immer so drauf? Wurde das Phänomen von den Drogen nur überdeckt? Ich weiß es nicht.
Haben Sie einen Sauberkeitsfimmel? Muss es in Ihrem Haus immer perfekt aussehen?
Nicht wirklich.
Dann haben Sie vielleicht gar keine neurotischen Veranlagungen.
Ich weiß aber nicht, ob’s noch andere Rapper gibt, die sagen:“Yo, ich brauche plus .1 dB auf dem Hi-Hat.“ Das ist die kleinste Einheit, die’s gibt. Die meisten Menschen würden vermutlich nicht mal den Unterschied von einem Dezibel ausmachen. Aber ich hocke da im Studio und sage mir: „Nein, du musst exakt die richtige Balance zwischen Snare und Vocals finden.“ Irgendwann muss dann jemand kommen und mir das gottverdammte Album aus den Händen reißen, sonst sitze ich da bis zum Jüngsten Gericht und drehe an den Knöpfchen.
Sie haben immer und immer wieder betont, dass Sie keine Probleme haben mit Schwulen. Warum benutzen Sie im Jahr 2013 noch immer das Wort „faggot“? Oder – wie in „Rap God“ – „gay looking“ als abschätzige Beschreibung?
Ich weiß nicht, wie ich das Wort benutzen kann, ohne es so zu sagen, wie ich’s in der Vergangenheit millionenfach gesagt habe. Aber dieses Wort, diese Worte – als ich mit den Battle-Raps anfing, habe ich die Worte nie gleichgesetzt mit …
… „homosexuell“?
Genau. Es war mehr so was wie „bitch“ oder „punk“ oder „asshole“. Das Wort wurde damals so selbstverständlich benutzt … In meinem Kopf gab’s immer diesen Kampf, vor und zurück, um die Freiheit, das sagen zu können, was ich sagen wollte – und mich erst dann zu fragen, ob die Leute es nun in den falschen Hals kriegen oder nicht. Unabhängig davon, ob es nun gesellschaftlich ratsam ist oder nicht: An diesem Punkt meiner Karriere … Mann, ich sage so viele Dinge, die man nicht für bare Münze nehmen sollte. Ich mache mich über andere Leute lustig, aber auch über mich selbst. Die Person, die hier sitzt und mit Ihnen spricht, hat jedenfalls kein Problem mit „schwul“ oder „straight“ oder „transsexuell“. Ich bin heilfroh, dass wir in einer Zeit leben, in der langsam alle Menschen die Chance haben, nach ihrer Fasson glücklich zu werden. Und ich weiß nicht, wie ich’s sonst ausdrücken soll, aber … ich bin halt noch immer die gleiche Person wie damals, als ich pleite war und meine Battle-Raps machte.
Ich hatte fast schon die Vermutung, dass Sie wieder als Slim Shady rappen – und der hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, andere Leute vor den Kopf zu stoßen.
Sehen Sie, ich mache diesen Scheiß nun seit – wie lange? – 14 Jahren. Ich denke, die Leute sollten unterscheiden können zwischen meinen persönlichen Überzeugungen und den Masken, die ich mir im Rahmen meiner Musik aufsetze. Wenn jemand das bislang nicht kapiert hat, kann ich ihm auch nicht mehr helfen.
Haben Sie mal „Same Love“ gehört?
Habe ich was gehört?
„Same Love“ von Macklemore und Ryan Lewis.
Welcher Song ist das?
In dem es um gleichgeschlechtliche Ehe geht.
Ja, ja, ja, ich habe das ganze Macklemore-Album gehört.
Und, was halten Sie von ihm? Er ist nach Ihnen vermutlich der erfolgreichste weiße Rapper.
Er ist wirklich dope. Macklemore ist absolut cool. Er ist als Songschreiber richtig gut – und konzeptionell ist sein Shit unglaublich.
Wie haben Sie es geschafft, einen derartig extremen Flow zu kreieren, wie Sie’s auf „Rap God“ tun?
Wenn ich das Gefühl habe, bis an die Grenzen meiner Möglichkeiten gegangen zu sein, dann ist es fertig. Wenn nicht, mache ich weiter. Wobei nie etwas so gut klingt wie in meinem Kopf. Wenn ich also einen Reim mache oder was immer, müssten Sie mal hören, wie er in meinem Kopf klingt! Würde ich nur Demos für den Hausgebrauch machen, würde ich zur Auflockerung auch mal ein paar erzählerische Elemente einbauen, aber in der Regel dreht es sich nun mal um die Technik des Reimens. Wenn ich eine Platte veröffentliche, die vielleicht einen guten Hook hat, aber keine textliche Finesse, dann empfinde ich das einfach als abgedroschen.
Ist das der Grund, warum Sie „My Name Is“ so hassen? Glauben Sie, bei dem Song nicht die Funktion eines MCs erfüllt zu haben, der Meister seines Materials ist?
Es gab schon ein paar handwerklich gelungene Aspekte, aber ich möchte mir im Fall dieser Nummer nicht auf die Schulter klopfen. Ich hasste sie zunächst allerdings vor allem, weil ich mich immer als Underground-MC verstand. Ich wollte nur genug Geld verdienen, um mir einen beschissenen Job ersparen zu können, ein kleines Häuschen zu haben und meine Familie ernähren zu können. Ich war schockiert, als „My Name Is“ dann so erfolgreich wurde. Das sind doch nur simple Raps.
Als Sie die „Slim Shady“-LP aufnahmen, lebten Sie de facto unter der Armutsgrenze. Und innerhalb eines Jahres wendete sich das Blatt.
Es ergab alles keinen Sinn.
Man sollte einen Film aus der Geschichte machen.
(Lächelt) Würde sicher ein cooler Film. Oder?
Wann fingen Sie mit den Psychopharmaka an?
Schon früh, weil alles so schnell passierte. Ich glaube, anfangs war es mehr Alkohol als alles andere. Ich benutzte ihn, um meine Bühnenangst in den Griff zu bekommen. Als ich in den Clubs in der Umgebung von Detroit auftrat, brauchte ich nichts – es waren aber auch nur maximal ein paar Hundert Leute da. Doch dann soll man sich plötzlich vor 10.000 Leute stellen: „Holy shit! What the fuck is this?“ Es half mir einfach, meine Ängste zu überwinden. Womit ich nicht sagen will, dass ich nur süchtig wurde, weil ich Erfolg hatte. Offensichtlich habe ich die genetische Veranlagung zur Sucht. Aber es war einfach zu viel, was gleichzeitig auf mich einstürzte. Ich wurde von einem Ort zum anderen gezerrt, musste Autogramme geben und den ganzen Scheiß. Ich kapierte es einfach nicht.
Sie wollten eigentlich nie angestarrt werden – selbst bevor Sie berühmt wurden.
Ja. Ich mache immer Witze darüber, dass es eine seltsame Berufswahl war für jemanden, der überhaupt nicht im Rampenlicht stehen will.
Und trotzdem gelang Ihnen mit „The Marshall Mathers LP“ gleich ein Klassiker. Mit „Bad Guy“ greifen Sie den Hit „Stan“ vom damaligen Album auf. Der Song war im Jahr 2000 ein Riesen-Schritt für Sie – auch weil Sie erstmals durchblicken ließen, dass Slim Shady eine Kunstfigur ist.
Das war auch für mich eine irre Erfahrung – Leute zu treffen, die offensichtlich dachten: „Yo! Du bist doch Slim Shady. Mach was Verrücktes. Schneid der Schlampe den Kopf ab. Wo hast du überhaupt deine Kreissäge, Alter?“ Und gleichzeitig war es auch die ideale Gelegenheit, den Leuten klarzumachen, dass sie sich wohl oder übel das ganze Album anhören müssen. Denn es gibt Wahrheiten dort zu entdecken, aber vieles ist auch so krass überzogen, dass man sich wirklich nicht drüber aufregen sollte. Die Grenzen zwischen den Figuren scheinen sich allerdings zunehmend aufzulösen. Neulich hat Slim Shady doch tatsächlich mein Frühstück anbrennen lassen. Und er tat es in voller Absicht!
Eines Ihrer Sucht-Probleme waren Schlaftabletten. Hatten Sie immer Probleme damit, nicht schlafen zu können?
Ich glaube, das fing erst an, als auch meine Karriere abhob, als ich einen Vertrag mit Dre unterschrieb. Ich erinnere mich an eine Nacht: Ich bin in Kalifornien und kann nicht schlafen, weil ich Texte schreibe, mit denen ich Dre beeindrucken will. Das war wohl der Anfang des Pillen-Problems – und wahrscheinlich auch des Alkohol-Problems. Denn hätte ich nicht die Pillen eingeworfen, wäre ich beinharter Alkoholiker geworden. Die Schlafprobleme kamen, als ich spürte, dass ich zu vorgegebenen Zeiten meine volle Leistung abrufen musste. Alles musste perfekt sein, weil alle zuschauten. Und in meinem beschissenen Kopf flüsterte eine Stimme: „Sie wollen, dass du versagst, Marshall. Sie beobachten dich. Sie beobachten dich, um zu sehen, wie du versagst.“
Schlafen Sie inzwischen besser?
Meist ja. Ich habe noch immer Nächte, in denen ich im Bett liege und denke: „Ich muss jetzt aufstehen. Ich muss die Idee für einen Song zu Papier bringen.“ Ich habe noch immer stets einen Block und einen Stift bei mir, weil ich eine Idee sofort aufschreiben muss. Und dem Handy traue ich nicht: Was passiert, wenn ich es verliere oder die Aufnahme versehentlich lösche?
Kendrick Lamar, der auf dem neuen Album dabei ist, blafft auf „Control“ so ziemlich jeden an, der in der HipHop-Szene Rang und Namen hat. Es wäre heute wohl seltsam, wenn man das Gleiche aus Ihrem Mund hören würde, oder?
Angesichts der Karriere, die ich hatte – käme ich da nicht wie ein missgünstiger Klugscheißer rüber? Oder schlicht wie ein Vollidiot? Sicher, als ich noch jung war, hatte ich genau die gleiche Attitüde: „Let me say this, and I don’t give a fuck what happens.“ Ich war vermutlich sogar noch etwas dreister und aggressiver.
Sie tun alles nur Menschenmögliche, um die Privatsphäre Ihrer Kinder zu schützen. Tut es Ihnen leid, dass sie Hailie und Kim und Ihre Mutter in Ihren früheren Songs ständig erwähnt haben?
Scheiße passiert halt – und hinterher ist man immer schlauer. Damals war das eben die Art und Weise, wie ich mit Problemen umging. Über die Konsequenzen habe ich mir nie Gedanken gemacht, ich wusste ja nicht, wie viele Leute es hören werden. Vielleicht habe ich die Leute zu sehr in mein Privatleben reingelassen, habe ihnen zu viel erzählt, was sie nichts angeht. Das sind die Dämonen in meinem Kopf, mit denen ich mich jetzt rumschlage: „Scheiße, Mann, wie berühmt bin ich eigentlich? Kann ich dies oder das heute noch sagen?“
Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht mehr damit rechnen, sich noch einmal zu verlieben. Ist das nicht deprimierend?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich’s kann oder nicht. Zurzeit beschäftige ich mich nur mit Rappen – und zwischen meiner Karriere und meinem Vater-Dasein bin ich damit zufrieden, wie ein Hamster in meinem Rädchen zu laufen. Aber vielleicht schaffe ich es ja eines Tages doch noch, auch diese Frage zu lösen.
Sie sagten eingangs, dass Sie „so glücklich sind, wie’s mir möglich ist“. Sie führen ein ungemein produktives, aber auch sehr abgeschottetes Leben. Sie arbeiten, Sie sind Vater – und das war’s. Reicht das?
Ich bin nicht der Typ, der jubelnd durch die Gegend springt und „Ich bin ja so glücklich“ ruft. Aber ich bin in der Lage, mich mit Dingen zu beschäftigen, die ich liebe. Sicher, es gibt Aspekte, auf die ich auch verzichten könnte, aber letztlich lebe ich den Traum, den ich verwirklichen wollte – zumindest was das Thema HipHop betrifft. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich weiß, dass man über mich tuschelt, weil ich kaum einen Fuß vor die Tür setze, aber ich bin durchaus in der Lage, ganz normale Dinge zu tun. Wenn ich mal was unternehme, hänge ich’s nur nicht an die große Glocke. An Aufmerksamkeit bin ich nicht interessiert. Es mag vielleicht albern klingen, aber letztendlich habe ich immer nur davon geträumt, von anderen MCs respektiert zu werden, von meinen Zeitgenossen – von einem KRS-One zu hören: „Yo, that’s crazy.“
Warum auch immer schrieb Mia Farrow unlängst diesen Tweet: „Mit Eminem bin ich durch.“ Möchten Sie darauf antworten?
(Kurze Pause) Ich bin auch mit mir durch.