Hinter der Maske des Junkies musiziert ANDREW DORFF fast auf Dylan-Niveau
Das erste, was man diesem junkiehaft verkrumpelten Häufchen Mensch entgegenschnauzen will, ist »jetzt reiß dich mal zusammen!“, bevor das dann doch Anstand und Respekt vor dem Künstler verhindern. Andrew Dorffs Hände sind in ständiger Bewegung, ein ewiges Zittern, Pulen, Schubbern und Kratzen. Sein Blick ist überall, trifft aber nie deinen eigenen. Er sieht aus wie ein Kurt Cobain-Klon, aber einer aus der New Yorker Village-Boheme, frisch dem neuen CK One-Spot entsprungen, gerade eben noch sinnendeertes Zeug vor sich hin gebrabbelt – eine Ikone der 90er Jahre, doch irgendwie nicht echt.
Andrew ist der kleine Bruder von Stephen Dorff, dem Schauspieler, der erst als Beade Stuart Sutcliffe in „Backbeat“ glänzte, später als Warhol-Gespiele in „I Shot Andy Warhol“ – Musik liegt wohl in der Familie. Sein Vater, ein Hollywood-Produzent, brachte ihm das Songschreiben bei, als er 13 war. Mit 16 belegte er an der UCLA ein paar Musikseminare und traute sich erstmals, seine Lieder selbst zu singen. Vom eigenen Mut beeindruckt, beschloß er kurz darauf, L. A. zu verlassen und nach New York zu gehen, „um neue Leute kennenzulernen“. Stimulierende Erlebnisse wie das Zusammentreffen mit Willy Nile (der ihn bei einem Dinner fragte, mit wem er die ganze Zeit rede – worauf Dorff ihn verständnislos ansah und erwiderte, er rede mit seiner Sauce) festigten dort seinen Ruf ab neuzeitlicher Bob Dylan: zickig, irgendwie aber auf liebenswert weltfremde Art auch harmlos. Songwrher-Guru Nüe fühlte Seelenverwandtschaft und beteiligte sich an zwei Songs auf Andrews Debüt Mint OfA Mess“, das prompt beim hippen WORK-Label veröffentlicht wurde.
Dort aber hat man ja den Finger nicht erst seit Dorff auf den wunden Punkt des Zeitgeists gelegt. Fiona Apple durfte sich mit „Tidal“ bereits letztes Jahr einer gründlichen Seelenexhibition unterziehen und gilt nun als die Jeanne d’Arc der Vergewaltigten. Wo die musikalische Linie des Apple-Oeuvres durch Stil-Eskapaden fasziniert, bleibt Dorff straight: Seine Musik heißt Folkrock, in ihrer konsequenten Reinheit nur selten durch Samples und HipHop-Beats verfälscht. Und dazu singt Dorff so raspelnd, murmelt sich so gequält durch seine Songs, daß man zuweilen den Oberkauz Dylan vorbeihuschen sieht.
Dorff darf als Speerspitze einer Szene betrachtet werden, die ihre Stilistik aus den Entzugs-Stories der Seattle-Bruderschaft nährt, sich aber in moralischer Verklemmtheit verheddert. Sich so extrovertiert zu geben wie Cobain, der sein Leiden in Text und Show öffentlich machte, gehört für die Generation von ’97 zum schlechten Ton. Wer jedoch wie Dorff zwar äußerlich das Drogenwrack, nach innen aber den introvertierten Denker mimt, dessen Texte auch ohne Dope-Konsum kryptisch und verschlossen anmuten wie die eines späten Jim Morrison, gilt zwangsläufig als hip. Die ganze Figur Dorff verweist auf jene Komplexität und Kompliziertheit, die wir alle mit uns herumschleppen. Ein stetes Ringen um die Balance zwischen Außen- und Innenwelt. Ein Schritt vor – und dann gleich zwei zurück.
Dorff ist der Popstar ’97: draußen dirty, drinnen clean. Laß nur soviel raus, daß die Leute denken, du seist straight. Nur die Andeutung eines Sturms, just a hint of the mess…