Hinter den Worten
Eine umfangreiche Textsammlung würdigt den Underground-Literaten Jürgen Ploog
In Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart sucht man ihn ebenso vergeblich wie bei Elke Heidenreich. Sogar im Buchladen muss man lange stochern, suchen und zumeist bestellen, bis man einen Blick in ein Buch von Jürgen Ploog werfen kann. Das, diesen Blick auf Ploogs Worte, hinein in den von ihm beschworenen „Raum hinter den Worten“, vergisst man dann nicht so schnell wie das allermeiste, das man via Bestsellerliste angedient bekommt Ob man Ploogs Zeilen als abstoßend empfindet, als verstörend oder als so anziehend wie alles Verborgene, schnell wird klar, warum dieser Autor im massenkompatiblen Tagesgeschäft praktisch nicht stattfindet Andererseits: Bei Gottschalks ZDF-Pop kommen ja auch Velvet Underground nicht vor.
Als Ausgangspunkt, als Abschussrampe nicht schlecht: Velvet Underground, Warhols Darlings in Manhattan, Ende der 60er The trip starts here. Lange bevor Popliteratur durch Joachim Lottmann, Rainald Goetz oder das „Soloalbum“ neu erfunden wurde, tastete Ploog nach neuen Tönen zwischen Zeilen und hinter Worten. Im Hauptberuf Lufthansa-Pilot, schrieb er nebenher mehr als ein Dutzend Bücher, Meditationen über das Dahinter. Du hebst ab, die Welt unter dir wie eine Landkarte, Stunden später steigst du in Bangkok aus, in den Knochen fühlst du Frankfurt, im Kopf New York. Schon die Titel seiner Bücher („Groschennavigation“, „Motel USA“, „Radar-Orient“) lassen erahnen, nicht wohin die Reise geht, wohl aber, auf was für einen Trip uns Ploog mitnimmt. Entsprechend seine Rezeption: Im Internet seit langem und angemessen schräg vertreten (mit www.ploog.com, aber auch der 3D-Installation raumagent.net), im Kino mit Daniel Guthmanns exzellenter „Cut Up Connection a präsent, gibt es nun einen Readec, der Texte von Ploog mit Texten über ihn vereint. Gleicht die Ploog-Lektüre oft einer Technonacht, bei der Loops und Hartes und Schräges gemixt werden, immer einladend zum Querlesen, beim Wiederlesen so viel Neues offenbarend wie der Blick in ein außergalaktisches Kaleidoskop, so ist der „Tanker“ nun die 4-CD-Box, Tribute und Sammlung in einem. Briefe und O-Töne von Ginsberg, Brion Gysin, Rainbirds‘ Katharina Franck und anderen wechseln mit Schnipseln, Essays und Auszügen aus dem so wilden wie unvorhersehbaren Ploogschen Oeuvre.
An die 400 Seiten lang kreist „Ploog Tanker“ um eine Literatur, die dem Mainstream so nahe ist wie Karel Gott den Velvet Underground – ein Buch wie ein Backstein. Ist das bei einem so marginalisierten Autor gerechtfertigt? Und ob/und wie/und was ist das überhaupt für eine Frage! Ploog, Jahrgang ’35, war dabei: als Pop-Lit noch Schock-Pop war, bei Rolf Dieter Brinkmann in Rom, mit Hadayatullah Hübsch, Wondratschek und Jörg Fauser in Frankfurt, wo in Ploogs Wohnung mit Skalpell und Tonbändern Neues kreiert wurde, anderes mit Rizla und Orientalischem angeheizt, mit Schreibmaschine und Leim und den Burroughs-Freunden Girl Weissner und Udo Breger Legenden geschaffen wurden. Abseits von Böll und Simmel pfiffen sie auf das Elfenbeintürmchen des bürgerlichen Kulturgewerbes und gaben in Zeitschriften wie „Gasolin 23“ neuen Stimmen ein Forum. Zudem war Ploog eben nicht nur im „Brachland BRD“ unterwegs, inmitten dieser „Bewusstseins- & Kulturwaschmaschine“, er jettete um die Welt, konnte (wie Wondratschek im „Tanker“ hervorhebt) gerade deshalb die Zwänge des Kulturbetriebs ignorieren und sein Ding durchziehen. Und Burroughs treffen. Mehrfach.
„Tanker“-Herausgeber Florian Vetsch ist hier ein Buch gelungen, das nicht nur seine Qualität als Steuermann demonstriert, sondern immer wieder auch, wie lohnenswert diese so wahnwitzige wie auch umfangreiche Odyssee ist.