Hinter dem Horizont
Der Hamburger Songwriter Niels Frevert hat sich endgültig vom Rocksong abgewandt und die beste Platte seiner Karriere gemacht.
Seit einigen Jahren sind sie wieder da, die Liedermacher, die ihre Texte zur akustischen Gitarre singen. Hat wohl auch ökonomische Gründe, dass man wieder Songs schreibt, die als Einmannshow genauso gut funktionieren wie mit kleiner Band. Nils Koppruch hat vor zwei Jahren vom einsamen Liedermacherdasein gesungen: „Das Essen ist komplett gestrichen, der Mischer ist nicht da zum Mischen/ Die Poster liegen in der Ecke, und Neonlicht kommt von der Decke.“ Niels Frevert erzählt auf seinem neuen Album „Zettel auf dem Boden“ eine ähnliche Geschichte: „Bitte nicht persönlich nehmen/ Aber das hier ist kein Club, sondern ein Restaurant/ Ich bin ganz normal empfindlich/ Nur die Lieder taugen wirklich nicht zur Untermalung“, sagt ein Gast in einem Züricher Restaurant, und der Liedermacher, der nun mal kein Barpianist ist, muss das Feld räumen, läuft einsam an einem Samstagabend durch die Stadt, in der kein Hotel erschwinglich scheint. „Manchmal braucht man solche Erfahrungen“, so Frevert. „Sie bringen einen wieder auf den Boden zurück. In meinem Fall heißt das auch immer: näher zur Musik. Ich bin nicht so spirituell wie Nina Hagen, aber an eine innere Mission glaube ich schon. Rückschläge hindern einen nicht daran, die weiter zu verfolgen.“
Und das hat der 44-Jährige mit seinem letzten Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“, auf dem er sich vom Rocksound abwandte und seine Lieder zu gediegenen akustischen Arrangements vortrug, auch ziemlich erfolgreich getan. „Ich hatte mal einen Nebenjob bei einer Musiksuchmaschinenfirma“, erklärt er. „Da war ich für den Country- und Folkbereich zuständig. Das muss abgefärbt haben. Außerdem habe ich bei meinen Solokonzerten gemerkt, dass es mir eigentlich nicht liegt, immer gegen eine Band anzusingen.“
Die Wandlung zum Liedermacher ist naturgemäß eine Gratwanderung zwischen Tiefsinn und Kitsch, die bei Frevert anfangs noch ein bisschen wacklig verlief. Doch auf „Zettel auf dem Boden“ bewältigt er sie mit einer solchen Souveränität, dass man von einem Karrierehöhepunkt sprechen muss. Lakonischer und poetischer sang niemand in deutscher Sprache in diesem Jahr. Besonders gelungen ist „Blinken am Horizont“, ein Lied, das Frevert für seine verstorbene Mutter schrieb. „Es sollte keine Ballade werden, die die Leute zum Weinen bringt. Ich habe an Hildegard-Knef-Platten gedacht, da werden dunkle Inhalte hell verpackt. Ich wollte weg vom Popsong, hin zum Chanson oder anspruchsvollen Schlager.“
Auch wenn er die Knef als Referenz nennt und zu einer Zeit, als das sonst niemand tat, Udo-Lindenberg-Songs coverte, konkrete Vorbilder habe er keine für seine Kunst, so Frevert. „Natürlich sind wir alle unterwegs wie Zeitreisende und spielen mit Traditionen. Aber ich schaue nicht mehr darauf, was die anderen machen. Ich gehe gerne dahin, wo noch keiner ist.“ Maik Brüggemeyer