Himalaya Mon Amour
Wenn's zu heiß wird in Goa, zieht die Hippie-Karawane gen Norden nach Manali. Hier, am Fuß des Himalayas, hat auch der Hamburger Teilzeit-Inder Lambu seine Zelte aufgeschlagen - und ist von der westlichen Wohlstands-Lawine wenig begeistert Das Tagebuch eines Mannes, der sein Paradies fand nur um es wieder zu verlieren.
Samstag, 25. April
So far, so good. Kurzer Flug in 13 km Höhe, Rückenwind, Delhi um 11 Uhr abends, aaaaargh heiss. Ich will keine Minute im kapitalen Schmutz der Metropole verbringen, also mit den Taxiwallahs gefeilscht und immerhin von 4500 auf 3000 Rupies (300 Euro) für die Fahrt von Dilli (wie’s hier heißt) nach Chandigarh runtergehandelt. Geld gewechselt, Rucksack in den „Ambassador“, das indische Standard-Auto, und nichts wie weg. Denkste. Erst einmal reihen wir uns in eine kilometerlange Schlange an der Tanke ein. Nach ein paar Minuten gebe ich es auf, die Moskitostiche zu zählen.
Bisher nur einen Unfall gesehen. Der Highway in Haryana ist jetzt fast schon so staatstragend wie die bundesdeutsche Autobahn. Nur dass hier mitunter Trecker mit haushohen Heuballen, Betrunkene oder Fahrradfahrer ohne Licht umherkurven. Oder betrunkene Fahrradfahrer mit Licht.
Chandigarh, 6 Uhr morgens. Check-in ins Hotel. Kostet zwar stolze 500 rps, aber solch ein riesiges Zimmer würde ich in Delhi nie bekommen. Allerlei seltsame Vögel scheinen die Bäume zu bevölkern. Richtig, es ist heiß. Der Fan läuft, der Schweiss auch. Ich setze mich zehn Minuten auf die Dachterasse, bis ich mich frage: Bist du blöde? Oder ein Brathähnchen?
Schlaf. Eine Stunde später: das Geräusch sich lautstark entleerender Inder (der Rachenraum, sehr wichtig in Indien! Mindestens eine halbe Stunde gurgeln, röcheln, spucken…). Okay, also kein Schlaf.
Montag
Freund Roshan ist todesmutig aus den Bergen von Manali runtergekommen, und gemeinsam erkunden wir die Stadt, an der ich bislang immer nur achdos vorbeigefahren war. Vom französischen Kultarchitekten LeCorbusier auf dem Reißbrett gefertigt. Und genau so sieht’s auch aus: Betonbauten, Verkehrskreisel mit Blumenrabatten, große leere Plätze, alles ziemlich westlich und – für Indien – erstaunlich sauber. Die Stadt ist in Sektoren aufgeteilt, was dann zu folgenden Dialogen führt:
Ich: „Where do you take us, han ji?“ Rikschafahrer: „This Sector 34. We here.“ „But we said 24!“ „No no no, you say 34!“ und so weiter und so fort. Die Polizei hat kleine Kioske aufgebaut, auf denen wir „beat box“ lesen. HipHop-Übungsplätze für den nächsten Polizeiball? Oder werden hier Verkehrssünder öffentlich ausgepeitscht? Auf jeden Fall ein treffender Name bei der Brutalität der Sheriffs hier.
Auf dem Rückweg ins Hotel – ich denke gerade über die Sturzhelme der zahllosen Moped/Motorradfahrerlnnen nach, wie sich das wohl anfühlt in der tropischen Hitze – kracht’s neben uns. Zwei Motorräder und ihre Fahrer überschlagen sich im Dreck. War ich das etwa? Gedankenkraft? Telepathie? Höchste Zeit, endlich nach Manali zu kommen.
2 Wochen später
Gerade mal zwei Wochen wieder zu Hause und schon mittendrin im Dorfleben: Vorgestern fand ein schönes Fest im unteren Dorfteil statt. Ein mir bisher unbekannter Gott wurde angerufen, Freund Gotthu war, zu meinem Erstaunen, das Medium! Die Männer hockten mit Trommeln, Posaunen und bunten Schärpen auf dem Boden, umgeben von den Frauen und Kindern. Gotthu stand, zuerst nur leicht zitternd, dann immer schneller über seine Haare streichend und den Kopf schwenkend, in der Mitte, und als der Gott in ihn fuhr, beantwortete er (also der Gott) die Fragen der Männer. Es wurden Unmengen Reispudding und Dal-bhatt ausgegeben, auf Tellern aus Blättern.
Noch nie so viele Dörfler auf einem Platz gesehen, allerdings fein säuberlich nach Kasten getrennt. Ich aß mit den Daggis (im indischen Beamten-Englisch auch „scheduled tribes“ genannt), schließlich lebe ich ja mit ihnen. Gestern dann rief der Ausrufer vom Hügel zu einer Auktion auf: Wer das übriggebliebene Feuerholz ersteigern wolle, möge zum Festplatz kommen.
Eine interessante Erfahrung beim Fest war noch, dass Beloram, der Manugur (also der Schamane, aus dem Manu spricht) mitteilte, dass er seinen Silberschmiedladen räumen müsse, da der zu nah am Tempel stehe. Also: Der Gott läßt durch Belo sagen, dass er, Belo, sich einen neuen Platz für einen Laden suchen soll.
Heute könnte ich mich im Dorf gegenüber kostenlos sattessen, aber keiner in meiner „Familie“ hat Lust mitzukommen: Sie fürchten, dass sie dann bei ihrer Verwandschaft versacken (Iss doch noch ’n Teller! Noch ’n Glas Schnaps?). Irgendwie lieben sie ihre Feste und fürchten sie gleichzeitig…
Mitte Juni
Habt Ihr schon die Geschichte vom „monkey man“ gehört? Nicht der von den Stones, der von Delhi? Die Zeitungen hier sind voll davon. Da soll’s ein Wesen geben, mitten in der Altstadt von Delhi, ca. zwei Meter hoch, halb Affe, halb Mensch. Erklimmt nachts Häuser, bricht in die Küchen ein, stiehlt Nahrung, hat wohl auch schon jemanden gebissen. Die irrsten Gerüchte und Vermutungen, von „Ist-aus-einem-Zoo-ausgebrochen“ über „verkleideter Dieb“ bis „Jeti“.
Heute hatten wir wieder das Haus voll mit lallenden, torkelnden Männern, sehr zum Verdruss meiner local sister Dharmi. Sie erfüllt zwar ihre Pflichten ab Gastgeberin, grummelt aber, wenn sie mit mir allein ist Dass noch keiner dieser Trunkenbolde die geländerlose Treppe runtergeflogen ist…
22. Juni
Fuhr gestern mit einem gemietetem Trecker von New nach Old Manali, eine junge Ziege im Arm und einen 750 Liter Wassertank und einen „Bajaj“-Heißwasserboiler (the best in India, für mein Haus) hinter mir. Die Tage der Ziege sind gezählt, da Roshan und Kala, meine Nachbarn, die (Haar-)Beschneidung ihres Sohns Sagar planen. Insgesamt werden wohl drei Ziegen für die Zeremonie dran glauben müssen. Roshan erzählt, dass er demnächst als zweiter Koch bei einem Trek mitmachen wird. Es geht zum Tso Moriri, dem Salzsee nahe der tibetischen Grenze. (Fast hätte ich chinesische Grenze geschrieben! Free Tibet!) Das Wetter in Manali ist durchwachsen, mal brennt uns der Pelz weg, dann wieder liegen wir frierend im Bett. Oder im Schlafsack. War nämlich mit Tekum Ram (50) auf dem Kumzu (4000). Einerseits um nach den Kühen zu sehen, die dort den Sommer über weiden, andererseits just for fun. War ganz gut, dass wir mal nachgeschaut haben: Die Wasserstelle ist zugewachsen, das Becken zertrampelt Also formen wir ein neues Becken und befestigen es mit Steinen. Wenig Wasser dies Jahr. Wird langsam auch hier zum Problem. In Shimla sind ja schon seit Jahren Schilder in den Hotels: Please, don ‚t use too much water when taking shower.
Oben vom Kumzu haben wir wie immer eine grandiose Aussicht auf den Rohtang-Pass, den Kangpari und Hanuman Tibba. Blühender Rhododendron im Schnee. Runter lost mich Tekum auf einem „shikari rasta“ (Jägerpfad), der dermaßen halsbrecherisch ist selbst nach meinen reduzierten Maßstäben, dass ich zu ihm sage: „If you kill me, my mother will kill you!“
29. Juni
Jetzt ist Dungri Mela. Ein Fest. Eines von den vielen. Dungri ist das Dorf (und der Wald) oberhalb von New Manali, zwei Kilometer von meinem Haus entfernt. Um den alten Tempel sind kleine Stände aufgebaut, mit Schuhen, Süßwaren und Spielzeug. Schlangenbabas, Tätowierer und Losverkäufer und ein Volleyballspiel zwischen den Dorfmannschaften sind weitere Attraktionen. Und zwei riesige Angorahasen, mit denen man sich fotografieren lassen kann. Ich bin mit ein paar Jungs aus dem Dorf da. Der mutigste nimmt die riesige Felsenpython des Babas auf den Arm. Aber erst nach langem Zögern.
23.Juli
Das Schöne am Wegfahren ist ja wohl, dass wir dem zivilisatorischen Hamsterrädchen entkommen. Glauben wir wenigstens. Aber das war einmal. Da sitz ich also auf einem Felsen mitten im indischen Himalaya. Am Talende ein Gletscher. Weiße Gipfel, die bis zu 6600 Meter aufragen. Wälder, in denen man besser ab und zu pfeift und singt, um die Bären zu verjagen. Und was dröhnt hinter mir aus einer Anlage? Techno.
Die P.A. gehört Keke, dem „local DJ“, und ist gerade groß genug für die hier versammelten 300 Weltreisenden. Kekes Acidhouse-Sets gefallen mir immer wieder, doch jetzt legen die israelischen Gast-DJs etwas auf, was mich eher an Eurotrash erinnert und auf diesen abgelegenen Felsen getrieben hat.
Die Sonne wird gleich aufgehen, und im Nacken fängt’s schon auf angenehmste Weise an zu kitzeln: Die Pillen, die mir Freund Alan aus Newcastle vor einer Weile in die Hand gedrückt hat („’s good for ya. Could change yer life!“) fangen an, mein Gehirn zu massieren. In der Nacht habe ich vier Stunden getanzt, aber jetzt schau ich erstmal kleinen schwarzen Vögeln beim Jagen zu. Sie stürzen sich immer wieder in den Fluss unter mir, tauchen wieder auf, haben was im Schnabel. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Der Fluss ist kalt, verdammt kalt. Zumal am frühen Morgen.
Ich empfinde also große Hochachtung für die kleinen schwarzen Vögel. Aber ob sie wirklich schwarz sind – da bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Alles, einschließlich meiner zitternden Hand mit der Zigarette, sieht irgendwie…. rosa aus. Diese Vögel! Werden wohl die Sadhus unter den Vögeln sein. Ihr
kennt doch diese mehr oder wenigen heiligen Männer, die sich mitunter eine Woche eingraben lassen oder auf Gletschern sitzen und meditieren?
Früher ein unschuldiges Dorf an der Straße nach Leh, ist Manali spätestens seit den 80er Jahren durch den Tourismus zu Wohlstand (und Wohlstandsmüll) gekommen. Unzählige Gipfel locken Bergsteiger und Trekker. Auf 2000 Höhenmeter gelegen, teilt sich der Ort in Old Manali und New Manali. New Manali ist mitunter so neu und laut, dass es wehtut. 400 nicht besonders schöne Hotels sind es mittlerweile, und immer noch wird weitergebaut. Um zum ursprünglichen Dorf zu gelangen, muss man erstmal den modernen Spießrutenlauf hinter sich bringen: vorbei an Dutzenden von Batik-Tribal-Tanktop-T-Shirt-Läden, vorbei an röhrenden 500er Enfields, auf denen 70er-Jahre-Abziehbilder kleben, vorbei am Bootleg-CD-Laden (Paul Oakenfold für ca. 7 Euro), vorbei an Gartencafes, von denen die cleversten bereits Speisekarten in Hebräisch haben. Manali ist, zumindest für vier Monate, fest in israelischer Hand. Da zählen die Japaner (und neuerdings Koreaner) wenig. Von Europäern ganz zu schweigen. „The Road to Mandalay“ ist jetzt die Straße nach Manali, auf der alles pilgert, wenn’s in Goa und Karnataka zu heiss wird. Scheint ein Initationsritus zu sein für junge Israelis: erst mal Indien, dann zur Armee/Uni/Beruf.
Allerdings stößt ihr hemmungslos ausgelebter Lifestyle mit Sex, Drugs & Techno auf wenig Gegenliebe bei der indischen Bevölkerung. Vor allem Drugs. Natürlich ist Haschisch hier noch immer Teil des täglichen Lebens, aber mit einem qualmenden Chilium sollte man sich in der Öffentlichkeit besser nicht erwischen lassen. Die Polizei kommt schneller, als man denkt. Aber da die Israelis dringend benötigtes Geld ins Land bringen, drückt man ein Auge zu. Hoffentlich überlebt Indien auch diese Invasion.
17. August
Zeit für einen Trek. Mit „mushroomman“ Man Das, Alpe Ram und Alan. Der noch nie auf einem so hohen Berg war. Der überhaupt noch nie soweit gewandert ist. Das kann was werden, zumal ich gerade mal eine Durchfall-Attacke hinter mir habe. Und das Wetter sieht auch eher zweifelhaft aus. Aber der Termin steht, und nachdem ich in den letzten Jahren zu oft aufgegeben und umgedreht habe, werd ich diesmal… na, mal sehen. Aber es wird toll sein da oben: in der Höhle sitzen, während draußen die Welt mit Blitz und Donner untergeht.
Auf dem Weg nach oben gibt’s immer wieder mal Regengüsse, aber im Schutz der Bäume ist es doch trocken. Alan hält sich wacker, und erst kurz vor dem Ziel gelingt es der deutschen Staffel, die Engländer abzuschütteln. Aber dann sitzen wir erstmal schweigend nebeneinander und staunen über die Höhe und die Berge. Später sagt er, er sei zwar völlig erledigt, aber es sei „grrrreat“.
Die zwei „Jungen“ schlafen im Zelt auf einer kleinen, halbwegs geraden Fläche unterhalb der Höhle, wo Alpe und ich uns zwischen den Steinen (die alle irgendwann mal von der Decke gefallen sind – aber heute Nacht fallen keine, oder?) Schlafplätze suchen. In dieser Nacht schlägt ein Bär 100 Meter neben dem Zelt ein Schaf, und keiner merkt’s! Am nächsten Morgen sind etwa 900 Schafe über den ganzen Hang verteilt, und die Schäfer sind bis abends unterwegs, sie wieder einzusammeln. Ihr Pech, dass sie keine Hunde dabei hatten, die die Bären vertrieben hätten. Das tote Schaf kochen sich Alpe und Man Das zu einer, ähhhh, Suppe?
Am nächsten Tag krieche ich in unguter Verfassung (der Magen!) auf dem Berg herum, und Man Das schafft es sogar, mich auf den Gipfel mitzuschleifen. Aber da ich trotz Mittagshitze schon mehrere Stunden nichts getrunken habe, wird es ein sehr schneller Abstieg zur Höhle. Auf dem Weg zurück nach Manali immer wieder Begegnungen mit Bauern, die ihre Kühe hier auf die Hochweide bringen.
22. August
Morgens um 7 Uhr aufgewacht, Wolken ziehen am Briguberg gen Pass, Vögel und Hunde lassen sich im Garten nieder (Diese Hippiehunde! Ich komme nachts nach Haus, und im Dunkeln knurrt etwas Furchterregend. Ruf ich: „Pagal-walli“ und „Baloo“, dann reiben sie sich Schwanz wedelnd an meiner Hose). Kala ist längst beim Grasschneiden, während ich noch Zähne putzend und Feuer machend im Garten sitze, fürs Röstbrot mit Tahina und Parvati-Plum-Jam. Der Tee ist pikki chai – ohne Zucker.
Doch Schluss mit der Lagerfeuer-Romantik. In den letzten Tagen passierten nämlich einige weniger schöne Sachen. So musste ich feststellen, dass unverhältnissmäßig viele Menschen sterben, manche unfreiwillig, manche freiwillig. Gestern hat sich Miras Großvater in den Manal Su gestürzt. Nach Zeugenaussagen hat er erst eine längere Zeit am Fluss gehockt, dann seine Schuhe und Jacke ausgezogen und ist schließlich in den reißenden Fluss gestiegen. Ein anderer, noch junger Mann hat sich erhängt Warum? Gerüchte – aber nix genaues weiß man nicht.
Ebenfalls im Manal Su seit einigen Tagen: eine Wasserleiche. Niemand kümmert sich drum. Wie man hört, wird sie immer wieder von irgendwem mittels einer Stange in die Strömung geschubst, nur um ein Stück weiter unten hängenzubleiben. Keiner kann bisher sagen, ob es sich um einen Ausländer oder einen Einheimischen handelt. Er kann auch, wie Ötzi, jahrelang oben im Eis gelegen haben und erst jetzt freigespült worden sein. Einer der heiligen Männer, die hier unter Wasser bestattet und so konserviert werden, ist es jedenfalls nicht Weiterhin muss ich konsterniert feststellen, dass Menschen klauen – schon der sechste Einbruch in den letzten Monaten. Die Leute stehen zusammen und schütteln die Köpfe über die schlimmen Zeiten. Aber wir leben ja im „Kali Juga“, der dunklen Zeit, laut Hindi-Zeitrechnung.
Landslides können einen auch ganz schnell ins Jenseits befördern, wie ich fast am eigenen Leibe erfahren musste: Ich war zwei Tage im Parvati-TaL zusammen mit 26 indischen Hausfrauen und drei Männern, alle aus Manali. Die Gruppe wollte zum heiligen Ort Khir Ganga, mit mir als Führer, da ich als einziger die Gegend kannte. Seit zwei Jahren wird dort gebaut, dass es nur so kracht: Dämme, Brücken, Straßen, E-Werke. Das bedeutet erhöhte Erosion, da nun die Hänge blank liegen. Hinzu kommen die Erschütterungen durch die Sprengungen und der heftige Regen jetzt in der Monsun-Zeit. Jedenfalls kam kurz vor mir Geröll und ein Baum runtergekracht Der Parvati-Fluss ist so unglaublich reißend, wie ich ihn noch nie gesehen habe. In Manikaran ist ein Tempel eingestürzt, ein Teil der Gurdwara (Sikh-Tempel) ist weg, und heute Nacht werden wohl alle Läden in Ufernähe Richtung Kalkutta geschwemmt.
12. September
News aus dem unteren Dorf: Eine junge Israelin ist durchgeknallt und läuft wild gestikulierend durch die Straßen. Aber lächelnd. Wir haben dieses Jahr zwei junge Rabbis hier, die sich um solch traurigen Fälle kümmern. Gestern gab es beim Shiva-Garden-Restaurant einen kurzen Verkehrsstau (Rikschafahrer belieferte den Gemüseladen), alles ganz friedlich, bis zwei Biker dazukamen (foreigners). Nach einer Minute flogen die ersten Beleidigungen („Soll ich absteigen und dir’n paar langen, asshole“), und es war kurz vor ’ner Schlägerei. Dünnes Fell, die Jungs.
In meinem Haus wird, nach einer Woche völligem Stillstand, plötzlich gewirbelt: Zehn Leute verputzen, legen Kabel, machen Fensterrahmen, machen bajri, d.h. kleine Steine, die unter den Zement kommen. Es geht voran (Fehlfarben, 1979).
Gestern einen Engländer beobachtet, wie er sich einem Betteljungen gegenüber verhielt. Er nahm den Zettel, den ihm der Junge hinhielt (Kennt man auch aus Deutschland: Bitte geben Sie kleine Spende, Vater Mutter keine Arbeit, Hunger, chappati essen) und schmiss ihn in den Straßengraben. Man möchte speien. Ich kenne seine Familie ein wenig, sind aus Rajasthan und haben noch nicht mal ein Zelt oder eine Plastikbahn als Schutz vor Regen.
Haus hat jetzt gar ’ne Treppe ins erste Stockwerk. Die Treppe, etwas arg steil geraten, brachte mich einen Tag lang ins Grübeln, bis aus der Schatzkammer meines Gedächtnisses ein Bild emporstieg: eine Treppe, bei der jede Stufe abwechselnd links, dann rechts fünf Zentimeter eingeschnitten ist. Genial. Ganz oben hab ich auch schon Fenster eingesetzt, und eine, wie heißt das auf Deutsch, ah ja, Spüle. Und dann war’s das. Für dieses Jahr.
Habe ich eigentlich schon gesagt, dass ich mein kleines Haus liebe?