Hier kommt Schwester S.: Unter den Fittichen des Rödelheim Hartreim Projekt entladt sie Emotionen
Die Schwester ist verschlossen. Scheu starrt sie in der grotesk geräumigen Hotel-Suite auf den gewaltigen Tisch, auf dem noch die Gedecke von der Pressekonferenz liegen. Moses R, Wortführer beim Rödelheim Hartreim Projekt und gemeinsam mit Martin Haak ihr Beschützer, raunzt: „Gut, wenn Du nur mit ihr sprechen willst! Sie ist ja auch hübscher als wir. Ich geh dann!“ Der polternde Rapper trollt sich. Haak bleibt Er weiß, daß Schwester S. jede Hilfe gebrauchen kann. Von „Pop Rocky“ bis „TV Movie“ wollen alle etwas von ihr wissen. Aber nur selten wird sie gefragt, welche Reim-Schemata sie benutzt.
Hoppla, hier kommt die Schwester. Eben noch Gymnasiastin, jetzt 21 Jahre alt und „rappende Betriebswirtschaftsstudentin“, wie ein Branchenblatt weiß. Authentizität rules! Ein übereifriger Interpret hat in ihrem Künstlernamen bereits „das Es, die Triebperson“ erkannt Da ist es begreiflich, daß sie unfroh den Blick senkt und nur das Notwendigste äußert. Während Martin Haak eloquent über Hip-Hop fachsimpelt, kritzelt Schwester S. auf einem Notizblock und sieht schrecklich gelangweilt aus. Dahinter schlummern Unsicherheit und Ängstlichkeit. Dies sind die ersten Interviews in ihrem Leben.
„Willkommen, Freunde und Feinde/ Entspannt euch, lehnt euch zurück/ Und genießt S, wie S ist/ Denn S ist, wie S sein muß/ S ist soweit“, eröffnet die Schwester das Album „S. ist soweit“, produziert mit einem bißchen Hilfe der Freunde aus Rödelheim. Natürlich kein Hip-Hop, wie ihn Queen Latifah versteht – eher wie die Schnittmenge aus Massive Attack und Rödelheim, smooth, aber bestimmt.
In Rödelheim ging die Schwester mit Martin zur Schule – doch es brauchte Jahre bis zur gemeinsamen Arbeit Schon während der letzten Tournee durfte Schwester S. das Duo unterstützen. Dafür schmachten die beiden nun: „Schwester, Schwester, für mich bist du die Sahnetorte/ Ich möcht dich mal probieren.“ Klingt blöd, doch Moses Pelham ist gescheit Er spielt unterhaltsam und klischeegerecht den Journalistenfresser und Rappelkopf -wenn er aber ausladend über Hip-Hop-Techniken philosophiert, lächelt er gemütvoll und genüßlich wie Pooh, der Bär. „Wer im HipHop die Ironie nicht erkennt, der hat nichts verstanden,“ Klar, die Prahlerei, die Posen, das Geprotze – das ist eben das Prinzip. Und wer anfangt, der muß sich erstmal den Größten nennen. Geht gar nicht anders.
Nur Schwester S. bleibt ganz still. Sie wuchs behütet in einem Vorort von Frankfurt auf; ihre Eltern sind Inder, die via Amerika nach Deutschland kamen. Nein, sie sei ihrer Herkunft wegen nicht diskriminiert worden, sagt sie. Die mörderischen Gewaltakte gegen Ausländer haben sie „entsetzt“. Sie sagt nicht „betroffen gemacht“ wie die Politiker.
Früher hat Schwester S. kleine Gedichte geschrieben, „nichts Besonderes“, wie viele Mädchen. Die unverhohlene Aggressivität der Texte wurzelt im „Haß gegen Menschen, die mich nicht respektieren – Haß gegen alles, was sich gegen mich lehnt“. Wut, Haß, Abscheu das sind Begriffe, die Schwester S. grimmig und selbstverständlich benutzt. „Manchmal, wenn ich vor Wut und Haß fast überschäume/ Stell ich mir vor, wie es Ist für die Bäume/ Ich träume vom Wachsen ohne die Enge/ Die Zwänge dieser Welt, das Netz, in dem ich hänge“, reimt sie in „Ich bin raus“. Ihre Lieder haben „keine Botschaft“, sie sollen allein „Stimmungen, Erfahrungen, Gefühle rausbringen – so, wie es ist“.
Bald ist es soweit: Die Wut wird sich gegen Medienmenschen richten, die in ihr herumstochern wollen. Noch fragt Haak, ob er nicht doch aus dem Zimmer gehen solle, und S. lehnt das ab. Sie will lieber nicht wissen, welche Fragen gestellt würden, wenn sie allein wäre. Ihr dunkler Blick lauert „Warum?“, fragt sie oft. Dennoch gibt sie das Blatt ab, auf das sie die Schriftzüge von Cola-Flaschen und Zigaretten-Schachteln gemalt hat In einer Ecke steht ein kindlich-schwungvoll gezeichneter Name: Sabrina.