Heute vor 40 Jahren: Bruce Springsteen veröffentlicht sein Debüt „Greetings from Asbury Park, N.J.“
"Man wird sich womöglich dem Verdikt Elvis Costellos anschließen", schrieb Rolling-Stone-Redakteur Arne Willander 2008, "dem 'Greetings From Asbury Park, N.J.' und 'The Wild, The Innocent And The E Street Shuffle' als Springsteens beachtlichste Alben gelten".
Für die Ausgabe 7/2008 rezensierte Arne Willander japanische Papersleeves-Ausgaben von Springsteen-Alben. Darunter „Greetings From Asbury Park, N.J.“, das der Sänger vor 40 Jahren veröffentlichte.
Die Review:
Bevor das echte Vinyl als führender Tonträger der westlichen Hemisphäre rehabilitiert wird, kann man (beinahe) das Gesamtwerk Bruce Springsteens in der verkleinerten LP-Form, allerdings auf CD, zum Boss-Freundschaftspreis erwerben. Es handelt sich um die japanischen Papersleeves, die üblicherweise zu abenteuerlichen Preisen angeboten werden. Neben der Textbeilage auf Japanisch (und Englisch) erfreuen den Sammler die Papierstreifen mit japanischen Schriftzeichen, die den Pappen appliziert sind (in Folie verpackt) und die lustigerweise „Obi-Strips“ genannt werden. Die Springsteen-Volksausgabe soll es bis Weihnachten geben. Danach müsste man nach Japan reisen.
Die Edition ist insofern widersprüchlich, als die drei LPs von „Live In New York City“ auf zwei CDs reduziert wurden, die fünf LPs von „Line 1975-85“ aber getreulich auf fünf CDs übertragen wurden. Spätestens seit den übel beleumundeten Alben „Human Touch“ und „Lucky Town“, also seit 1992, war die CD die übliche Darreichungsform, doch auch die späteren Springsteen-Alben wurden nun in Vinyl-Replicas aufgelegt. Hier gibt es sozusagen keine Entsprechung im Schallplatten-Regal, es sei denn bei Sammlern. Alle Inlays wurden in miniaturisierter Form beigelegt (etwa das separate Textblatt von „Born In The U.S.A.“), und weil die Texte unleserlich sind, braucht es voluminöse Faltblätter in Klarschrift. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Allerdings erinnere ich mich an ein schönes Gatefold-Cover von „Nebraska“, das hier — anders als bei „Born To Run“ — unterschlagen wurde. Jenes Foto von Springsteen im Halbschatten, der in einem kahlen Raum durch die Tür fotografiert wurde, gehört natürlich unbedingt in die ausklappbare Mitte.
Das Wiederhören der alten Platten nach „Magic“, den „Seeger Sessions“ und vielen Live-Aufnahmen der jüngsten Vergangenheit ruft ambivalente Gefühle wach. Man wird sich womöglich dem Verdikt Elvis Costellos anschließen, dem „Greetings From Asbury Park, Hl“ (1973, * * * *) und „The Wild, The Irmocent And The E Street Shuffte“ (1973, * * * *) als Springsteens beachtlichste Alben gelten. Allerdings nimmt Costello damit „Born To Run“ (1975, * * * * *) aus, was doch ein wenig zu exzentrisch ist. Und „Darkness On The Edge Of Town“ (1978, * * *) – von Fans stets geliebt – erfuhr zuletzt eine Remedur in England. Nun war die zentrale Bedeutung dieser Verdüsterungs-Platte mit so verzweifelt würdevollen Stücken wie „Racing In The Street“, „Something In The Night“ und „Darkness On The Edge Of Town“ nicht schwer zu ergründen. Der Journalismus hinkt der semi-akademischen Springsteen-Forschung träge hinterher: Jeder „Backstreets“-Leser informiert, dass er wohl zu unterscheiden weiß zwischen den eigenen Präferenzen, der allgemeinen Rezeption und den etwas feineren Deutungen.
Wie auch zwischen den allzu heiteren Rock-Brechern und den elegischen Meisterstücken auf „The River“ (1960, * * * *), das mancherorts der Oberflächlichkeit und Klischeehaftigkeit bezichtigt wurde. Nun weiß man zwar, dass Bruce Springsteen nicht als erster Songschreiber ein „Wreck On The Highway“ sah, aber noch niemand hat eine beklemmendere Todesvision geschrieben. Und die Oberfläche von „The River“, „Point Blank“, „Stolen Car“, „The Price You Pay“ und „Independence Day“ wünscht man sich auf jeder anderen Rock-Platte. Hier ersetzt bittere Reflexion den — auch lyrischen!- Überschwang der frühen Platten und den Romantizismus von „Born To Run“. Bedauern und Zweifel in diesen Songs sind insofern wiederum romantisch, als sie im Rückblick erzählt werden, wenn eine (die!) Entscheidung bereits gefallen ist.
Anders verhält es sich bei hedonistischen Gegenwarts-Songs wie „Sherry Darling“, „Out In The Street“ und „Ramrod“. Einzigartig ist das deprimierende“ Hungry Heart“ insofern, als die Verlierergeschichte erhebend vorgetragen wird. „Nebraska“ (1982, * * *) wird von manchen Kritikern für Springsteens bestes Werk gehalten. Es ist so unmöglich wie unsinnig, diese Short Stories gegen „Born To Run“ ausspielen zu wollen, handelt es ich doch um ein anderes Genre mit anderen Referenzen und Bedingungen, musikalisch wie literarisch.
Ist „Nebraska“ Americana ex negativo, so beschreiben die Songs von „Born In The U.S.A.“ (1984, * * * *) amerikanische Lebensart und Befindlichkeit. Der Titelsong ist der unsentimentale Nachtrag zum Vietnamkrieg. Der Ausruf „I’m a cool rockin‘ daddy from the U.S.A.“ führt in einen Reigen von Liebe und Erotik („Cover Me“, „I’m On Fire“, „I’m Going Down“), Arbeitswelt („Working On The Highway“), Ausbruch („Glory Days“, „Darlington County“, „Dancing In The Dark“) und Niedergang („My Hometown“. „Downbound Train“). Auch die Menschen außerhalb Amerikas begehrten aber vor allem die Jeans vom Cover-Foto (und manche das Hinterteil darin). Die Box „Live 1975-85“ (1986, * * * *) bot erstmals einen Überblick über die Konzerte der E Street Band, doch sind viele Bootlegs der frühen Jahre faszinierender. „Tunnel Of Love“ (1987, * * * * 1/2), eine Phänomenologie der Liebe, ist das am sträflichsten unterschätzte von Springsteens Alben. Methodisch „Nebraska“-nahe und voll großartiger Songs, ist nur die Instrumentierung problematisch.
Nach der kalifornischen Episode mit „Human Touch“ und „Lucky Town“ (* *) — die den Wonnen der Familie gewidmet sind — und dem MTV-Auftritt „In Concert“ (1993, * * *) wurden die desolaten Sozialreportagen von „The Ghost Of Tom Joad“ (1995, * * * 1/2) und die frühen Liedern auf „18 Songs“ (1999, * * * 1/2) gefeiert. Mehr noch begeisterte die Reaktivierung der E Street Band auf „Life in New York City“(2001,* * * 1/2) und schließlich „The Rising“ (2002, * * * * 1/2). Über die „Greatest Hits“ schweigen wir hier.