Here Was A Man
Johnny Cash erlebt eine Auferstehung von fast biblischem Ausmaß.
Das ging ja schon gut los. Ein neues Jahrtausend – und dann waren es wieder mal die guten Alt(bekannt)en, die alle Polls bestimmten: Steely Dan („Two Against Nature“), Neil Young („Silver & Gold“), Steve Earle {„Transcendental Blues“) und die Go-Betweens („The Friends Of Rachel Worth“). Allerdings dann doch überholt: links – auf der Spur für die Mutigen, die auch mal den fünften Gang einlegen, obwohl eine Haarnadelkurve in Sicht ist – von Radiohead mit „KidA“, rechts – nahe am Sicherheitsstreifen, mit korrektem Tempo und formschönem Chassis – von Coldplay und „Pamchutes“.
Leider weitgehend unbemerkt gelang Lloyd Cole mit den Negatives ein wunderbar melancholisches Popalbum und Hobotalk mit „Beauty In Madness“ ein überraschend frühvollendetes Folkpop-Debüt. Im Rückblick überraschend: Auch Ryan Adams‘ „Heartbreaker“ konnte sich nur in wenigen Bestenlisten behaupten. (Jörg Feyer fackelte nicht lang und setzte ihn auf Platz 1, Arne Willander immerhin auf Platz 7 – Der Rest hielt wohl noch ein Nickerchen oder trauerte Adams‘ Band Whiskeytown hinterher.) Überschattet wurde all das ohnehin von der Wiederkehr eines berüchtigten Helden: Das Album des Jahres kam von Johnny Cash. Die ersten beiden Teile der „American Recordings“ hatten ihn schon zurück ins Rampenlicht gebracht, doch erst mit „Solitary Man“ schaffte er noch einmal einen ganz großen Wurf. Produzent Rick Rubin hatte die eigentlich so simple Methode perfektioniert: Er ließ den Man in Black dunkle Lieder singen, mit trotz eigentlich gar nicht spartanischer Instrumentierung – einem so kargen Sound, dass man glaubte, den Staub zu hören, der durchs Studio wehte. Es waren Lieder, die man kannte, aber nicht so. Durch die längst gebrochene, manchmal aber immer noch verzweifelt kraftvolle Stimme wurden die Stücke von Nick Cave („The Mercy Seat“) oder Tom Petty („I Won’t Back Down“) zu Weiheliedern des Weitermachens. zu Epen über die hartnäckige Weigerung eines alten Mannes abzudanken. Der Quatsch vom „Unruhestand“, hier stimmte er. Cash, der in den 80er Jahren schon zum alten Eisen gezählt worden war, erlebte in den letzten zehn Jahren seines Lebens eine Auferstehung fast biblischen Ausmaßes.
Nun ist es inzwischen ja fast ein Superstar-Sport geworden, nach beliebigen Kriterien irgendwelche Cover-Alben zu veröffentlichen, doch Rubin und Cash machten es sich nicht so leicht. Der Sänger eignete sich auch unwahrscheinliche Lieder an – Will Oldhams „I See A Darkness“ ebenso wie den Titelsong von Neil Diamond, von U2s „One“ blieb nur noch ein gebrochenes Skelett übrig. „I realize that generally songs don’t say anything that songs weren’t saying a hundred years ago; the difference is we are saying it in a different way“, schrieb Johnny Cash in den Liner Notes zum Album, und so klingen diese Lieder auch: zeitlos und aktuell, allgemeingültig und einzigartig. Er nahm noch zwei weitere „American“-Alben auf, wagte sich schließlich sogar an „Hurt“ von Nine Inch Nails.
Seine Stimme wurde immer schwächer, sein Geist nicht. Drei Jahre später, am 12.September 2003, starb der Solitär. Seine Plattenfirma druckte als Nachruf nur einen Satz: „Here was a man.“