Herbert Grönemeyer
Es ist nicht zu leugnen: Herbert Grönemeyer ist ein Deutscher; er leidet daran, er lebt davon, er singt darüber. Mag er sich auch sträuben, mal auf englisch singen, gar nach London ziehen, mit englischen Arrangeuren und Produzenten arbeiten – das Deutsche lässt ihn nicht los, zieht in hinan und hinunter, es zehrt an ihm. Die deutsche Romantik, der deutsche Idealismus bilden seinen Ideenhimmel, er spielte in „Frühlings Erwachen“ und in „Das Boot“, und er hat einige der herrlichsten Balladen in deutscher Sprache geschrieben. Grönemeyer selbst sieht sich als lockeren Burschen, und tatsächlich ist er ausgesprochen witzig und temperamentvoll – aber auch hartnäckig und stoisch.
Weil er immer so abgehackt und grönemeyermäßig daherkam (schon vor „Männer“), verkennt man stets, dass er Anfang der 70er Jahre Led Zeppelin und die Doors und Randy Newman und Neu! liebte und von allen etwas lernte. Auf „Bochum“ definierte er jene Jahre – mit ^Amerika“, mit „Jetzt oder nie“, sogar mit „Mambo“. Arm war eine Jugend, die. nicht „Sprünge“ hatte und „Ö“; wir haben ihm nie richtig gedankt, und er war immer zu nah, um bewundert zu werden, aber unser Sänger war und bleibt doch Herbert Grönemeyer.
Es gab die schwächeren Jahre um „Luxus“ und „Chaos“, die mäklerischen – sie wären eigentlich seine Zeit gewesen. Aber Grönemeyer war der Sänger der Bundesrepublik, er blieb Skeptiker, Kritiker, Nörgler. Damit geriet er in die Gesellschaft von Günter Grass. 1998 kam er wieder mit einer introspektiven, elektronisch verbrämten Platte, die seine Frau Anna als seine erste gelungene empfand. Aber „Bleibt alles anders“ war kein typischer Grönemeyer-Erfolg; die Platte wurde schleppend abgesetzt und nicht verstanden. Im Video schlich Herbert mit einer Kochmütze und einem großen Messer durch die Küche, er spielte einen Besessenen.
Im Herbst 1998 starb erst sein Bruder, dann seine Frau an Krebs. Kaum ein Mensch konnte sich an eine ähnliche private Tragödie erinnern. Grönemeyer kümmerte sich um die Kinder, verschwand nach London. Im Jahr 2000 drängte es ihn zur Beschäftigung – er stellte eine Box mit deutscher Popmusik zusammen und trat bei der „Expo“ in Hannover mit einem Sinfonieorchester auf; später erschien das Konzert auf einer der ersten kommerziell relevanten DVDs. Als im Jahr 2002 die Fluten weite Landstriche ruinierten, war Herberts Hit „Mensch“ die Hymne der Hoffnung; das Album übertraf sogar die Verkäufe von „Bochum“. Alle liebten den Mann, der seine Verzweiflung und. seinen Trotz und seinen Mut und seine Liebe in dieses Stück Musik gelegt hatte. Und deutsch zu sein heißt ja immer auch, eine Sache ihrer selbst wegen zu tun.
Und genau diese Leidenschaft trieb ihn weiter; trieb ihn schließlich zu dem Festival anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm, wo die Staatenlenker sich eingeschlossen hatten. In aller Welt organisierte sich Protest gegen die (ausbleibenden) Beschlüsse der Industrienationen; die Wortführer Bono und Bob Geldof kamen trotzdem in den deutschen Krähwinkel nahe Rostock, um vor 50000 Zuhörern Herberts „Mensch“ mitzusingen. Es war putzig, wie Bono sich bei den deutschen Worten verrenkte; aber noch irrer war Grönemeyer an seinem kleinen Keyboard, als er „Halts Wort, Merkel!“ von der Bühne rief und voll im Sturm der Musik stand. Bono segelte auf der rechtschaffenen Wut; Herbert wollte die Distanz zur Sperrzone, in der die Mächtigen geborgen waren, mit seinem Willen überwinden.
Dabei hat er so viel schon überwunden in seinem Leben. Wie ein anderer harter Knochen, Lou Reed nämlich, nahm er einen Song mit dem New Yorker Transsexuellen Antony Hegarty auf. Und diese Romantik hatte gar nichts Deutsches an sich.