Herbert Grönemeyer

Er war nicht nur der Mann, sondern, allgemeiner, der Mensch des Jahres. Vier Jahre nach der privaten Tragödie brachte Herbert Grönemeyer ein neues Album heraus und traf mit Liedern über Verlust und Aufbruch den Nerv von Zukunftsverängstigten und Flutopfern. Nach der umjubelten Tour spricht er hier über seine neue öffentliche Rolle und das schwierigste Pop-Thema überhaupt: den Tod

Es war kein böses Wort zu hören. Der Herbst 2002 hatte sich gesenkt und letzte Spötter zu vorsichtigen Grönemeyer-Gutfindern gemacht. Als Anfang Dezember die Nachricht kam, dass „Mensch“ die Zwei-Millionen-Verkaufsgrenze passiert hatte, verstand es das gramgebeugte „Steuersong“-Deutschland als rares Zeichen von Beständigkeit „Warum uns Grönemeyer Mut macht“ betitelte „Bild“ das zugehörige Glaubensbekenntnis – man hätte auch ganz nüchtern anmerken können, dass eine so höfliche, uneitle und introvertierte Platte heute nicht mehr für die Chartspitze taugt. Wenn da nicht irgendwas Besonderes ist. Nach neun Wochen auf der Media-Control-Nummer eins musste Herbert Grönemeyer den Platz zwar für Westernhagens Startverkäufe freigeben, kam aber schon in der nächsten Auswertung wieder oben an, weil da die 15-Termin-iburnee begonnen hatte.,.Danke für das ausverkaufte Konzert!“ wurde als Spruchband über die schwarzblauen Poster drüberplakatiert Es klingt scheinheilig, aber selbst in diesen Erfolgsmonaten war es sicher nicht angenehm, Herbert Grönemeyer zu sein. Von jedem auf die Sprechcouch gebeten zu werden (nur nicht von Gottschalk, aber dazu gleich mehr). Für eine Tournee offizielle Segenswünsche der Evangelischen Kirche zu bekommen. Wieder die Fragen, wie das denn nun sei, vier Jahre nach dem Tod der Frau und des Bruders. Grönemeyer hatte sich damals ja nicht vergraben, hatte 1999 sogar die Termine der abgebrochenen Tournee nachgeholt, auf der Expo gespielt, das nochmal auf DVD veröffentlicht und eigentlich alles gesagt. Das kennt der Pop-Verwertungskreislauf halt kaum: Dass an Stelle der selbstgemachten Lebens- und Schaffenskrisen – in die die Stars immer eintauchen, um sich hinterher zurückzumelden – eine persönliche Naturkatastrophe steht, die sich jeder Verklärung entzieht.

In den Wochen vor der Bundestagswahl, ab die Pressekonferenzen zu Yorverkaufsstart und Album- Launch stattfanden, war Grönemeyer zusätzlich als Diplomat gefragt, als einer, der vom Wohnsitz London aus die entwaffnendsten Kommentare über das herbstliche Deutschland parat haben sollte und in den Einzelgesprächen stattdessen auf Details des Steuerrechts einging. Es ist nicht bekannt, dass er je irgendeine Antwort verweigert hätte – nur auf Tournee, da wollte er lieber nicht so viel sprechen. Komischer Schlafrhythmus, hohe Anspannung.

Deshalb fand das ROLLING STONE-Interview wenige Tage nach dem letzten Termin (Paris!) im Londoner East End statt, wo Grönemeyers Label „Grönland“ in einem kleinen Start-Up-Studiobüro firmiert und manchmal der Bär am Empfang sitzt (siehe Bild). Er hat Zeit, soviel man will, trinkt Tee mit Milch, lacht nie über die eigenen Witze und ist ein so entspannter und gewissenhafter Gesprächspartner, dass man ihm gern verzeiht, wie er sich mit Dackelblick eine Zigarette nach der anderen schnorrt.

Herr Grönemeyer, diese Tour hätte um ein Haar niemals stattgefunden. Jedenfalls haben Sie Anfang 1999 gesagt, Sie müssten erst mal ausprobieren, ob das überhaupt noch das Richtige für Sie sei. Was war am Ende entscheidend?

Mit entscheidend waren meine Kinder. Nach einem so schweren Einbruch hat man natürlich auch eine Verantwortung in den Augen der Kinder. Wenn ich auf der Bühne bin, dann zeige ich denen, dass ich noch lebe, das war für mich wichtig. Ich denke aber, endgültig entscheiden werde ich mich erst, wenn die Stadionkonzerte im Sommer vorbei sind. Es hat schon lange gedauert, bis ich in diese Tour innerlich richtig reingekommen bin. Es gab an jedem Abend so Momente, wo ich gedacht habe: Aha, so ist das also, so fühlt sich das an. Aber dass ich den ganzen Abend voll begreifen konnte, das kam erst nach acht, neun Terminen.

Wie lange hat das früher immer gedauert?

Kürzer, drei oder vier Konzerte normalerweise. Und im September oder August, wenn der zweite Teil der Tour gespielt ist, werde ich wissen, was daran toll war, wie ich weitermachen will und ob ich weiter in diesen Dimensionen arbeiten will. Als ich 1999 die „Bleibt alles anders „-Konzerte nachgeholt habe, da stand ich ja noch völlig unter Schock. Das hat Sinn gemacht, aber das war eine ganz andere Situation. Ich kann nur sagen, dass es sich zum Ende der 2002er Tour wieder richtig gut anfühlte.

Das eine hab ich nicht ganz verstanden: In wieweit machen Sie das für ihre Kinder? Es wäre doch viel besser, zu Hause zu bleiben und da das Leben zu regeln.

Nein, die Kinder sind mit mir als Bühnenperson groß geworden. Ich hab die Marie mitgenommen auf die Tour in Kanada, da war sie ein halbes Jahr alt. Für die bin ich lebendig auf der Bühne, die waren auch jetzt immer an den Wachenenden bei den Konzerten dabei. Das soll jetzt nicht so selbstlos klingen, nach dem Motto: Ich hab das nur wegen der Kinder gemacht, aber auch das ist ein Teil davon, dass das Leben halt weitergeht, wie es auch ihre Mutter für sie will. Beim Konzert in München, als die Band schon zu spielen angefangen hatte, sind Sie aus der Tür an der Zuschauertribüne gekommen und an den Leuten vorbei auf die Bühne gelaufen. Sie haben übers Funkmikro sogar schon gesungen, bevor sie auf der Bühne angekommen waren, oder? Ich konnte das nicht richtig sehen.

Sollte man auch nicht sehen.

Aber die Leute in der ersten Reihe, die haben es gesehen. Das haben Sie doch früher nie gemacht.

Es ist angenehmer, das Publikum so direkt mitzubekommen. Das war sehr hilfreich, weil man da auch entspannter auf die Bühne kommt, nicht so: Hoppla, jetzt komm ich. Ich habe das bei den Proben gemacht, das war mehr so ein Spaß am Anfang, und ich hab das dann beibehalten.

Aber Ihnen ist schon klar, dass die Leute das bei dieser Tour wohl auch als Wiedereinzug, als Akt der Rückkehr verstanden haben.

Ach nee (legt die Stirn in Falten), da steckte keine dramaturgische Idee dahinter. Das ist halt nett, die Leute gucken nach vom, und in Wirklichkeit steh ich neben ihnen. Ich kenn das auch vom Theater. Zadek hat in Bochum oft ganze Bühnen ins Publikum gebaut Ich fand auch toll, dass Sie relativ wenig geredet haben auf der Bühne. Viele hätten doch sowas wie eine Ansprache erwartet…

(Die Stirnfalten werden tiefer)

…das sehen Sie offenbar gar nicht so.

Nee, überhaupt nicht. Ich war doch nie eine öffentliche Person, bis zu dem, was vor vier Jahren passiert ist. Und ,JBleibt alles anders“war auch schon eine Platte, die letztendlich sehr abstrakt war. Viele Leute haben die im Grunde erst dann verstanden, als die privaten Dinge öffentlich wurden, die dahinterstanden. Dadurch ist meine Musik halt insgesamt öffentlicher geworden. Sicherlich wussten die Leuten bei dieser Tour zum ersten Mal etwas mehr über meine Privatsphäre, nicht durch meine Lieder, sondern durch die Medien. Aber letztendlich war das für mich keine Rückkehr, überhaupt nicht.

Aber Sie haben doch eben selbst gesagt, dass es dieses Mal länger gedauert habe, bis Sie in die Tour reingekommen sind, und auch die Arbeit an der Platte, so hat man gelesen, war ja wesentlich mühsamer als sonst.

Ja, das stimmt. Nach so einer Katastrophe und so einem zentralen Einschnitt ist natürlich jeder Millimeter, den man sich voranbewegt, ein ganz anderer Kraftaufwand als vorher, ein anderer Fatalismus. Das ist schärfer, das ist härter, das ist radikaler. So kompliziert war es sicher noch nie für mich gewesen, eine Platte zu machen.

Sie wussten beim Songschreiben, dass Ihre Hörer zum ersten Mal den privaten Background sehen würden. Das muss doch komisch gewesen sein.

Ja, deshalb habe ich ja auch versucht, es nicht zu voyeuristisch werden zu lassen. Sicherzustellen, dass das nach wie vor Distanz hat zu meiner wahren Geschichte, dass die Lieder selbst Abstraktionen bleiben, Kinofilme, aber keine Dokumentarfilme. Für mich war im Endeffekt der größte Erfolg, dass ich die Platte überhaupt fertiggekriegt habe. Die erste Woche, als die draußen war, das war mein größtes Glück. Alles, was jetzt damit passiert, ist natürlich wunderbar und klasse, aber der zentrale Punkt ist: Platte fertig.

Lustigerweise ist der Titelsong „Mensch dann zur Durchhalte-Hymne für die Opfer der Elbflut geworden und wurde bei den Spendenaufrufen im Fernsehen gespielt. Da ist ja auch diese Zeile drin: „Nach der Ebbe kommt die Flut.“

Das hat damit nichts zu tun. Entscheidend ist meiner Meinung nach diese menschliche Nähe, um die es in dem Lied geht. Ich habe immer an die Menschen geglaubt, und das ist mir zum Glück nicht verlorengegangen, das hat sich el-er bestätigt in diesen vier Jahren. Die Anteilnahme der Menschen generell, die war schon enorm, das hat mir geholfen. Bei der Flut ist eher zentral gewesen, dass die Menschen speziell im Osten zum ersten Mal mitgekriegt haben, dass ihnen aus dem Westen menschliches Mitgefühl entgegengebracht wird und die Leute dort in die Gänge kommen und anpacken.

Viele sehen es auch andersrum, dass die Leute im Westen zum ersten Mal mitbekommen haben…

…dass es überhaupt Menschen gibt im Osten.

So hätte ich es jetzt nicht ausgedrückt.

Aber es ist so. Da deckt sich das meiner Meinung nach mit dem Lied, mit dem Aspekt der Menschlichkeit. Und diese Zeile, die hätte ja eigentlich heißen müssen: Nach der Flut kommt die Ebbe.

Bei dem Lied würde es mich mal etwas genauer interessieren, wie es entstanden ist. Wovon sind Sie da ausgegangen?

Ich wollte einfach ein Lied übers Menschsein schreiben. Die erste Demo-Version des Textes war französisch, da habe ich immer gesungen „plage de la vie“, der Strand des Lebens. Und ich habe dann versucht, Situationen zu beschreiben und wie man aus so schwierigen Lebenslagen wieder rauskommt, ohne den Schmerz nur zu verdrängen. Deshalb: „Es tut gleichmäßig weh“. Es wird so bleiben, den Schmerz muss man akzeptieren, aber dennoch muss es möglich sein, eine Zukunft zu haben.

Dieses „Du fehlst“ am Schluss vom Refrain, das kommt mir immer vor wie nachträglich angetackert. War das von Anfang an da?

Ja, das war die wichtigste Zeile. Was macht das Leben lebenswert, obwohl du eben nicht mehr da bist, und das Leben deshalb nicht mehr so lebenswert wirkt? Und das sind eben die anderen Menschen.

Die vier Jahre haben Sie in dieser Beziehung ja bestätigt. Sie haben Glück gehabt, dass Ihr Umfeld offenbar so gut war, dass Sie aufgefangen wurden.

Aufgefangen ist, glaube ich, übertrieben, aber ich habe wahre menschliche Anteilnahme mitgekriegt, und das war sicherlich sehr hilfreich.

Wir reden hier aber vor allem über Popmusik und nicht über das wahre Leben. Ist solche Menschlichkeit, wie Sie sie mit Ihrer Platte ausdrücken wollen, heute ein Luxus im Pop?

In der Musik, die ich mein Leben lang gehört und in den letzten 20 Jahren selbst gemacht habe, war das immer ein sehr zentrales Thema. Das motiviert und das hilft einem, mal zehn Sekunden Kraft zu sammeln. Rupert Neudeck von der Cap Anamur hat mir mal geschrieben, er habe vietnamesische Flüchtlinge aufgenommen und die hätten an Deck immer „Bochum“ gespielt, über so Riesenlautsprecher.

Wussten die, dass es in dem Lied um eine hässliche Ruhrpottstadt geht?

Darum geht’s ja gar nicht. Das ist ja nicht die Dimension, es geht nicht um die Texte. Es geht um eine Chemie, die man nicht analysieren kann. Wenn ich Manu Chao sehe, versteh ich kein Wort von dem, was er singt, aber dann berührt mich das. Das kann man nicht an den Texten festmachen.

Sie haben gerade von der Musik geredet, die Sie Ihr Leben lang gehört haben. Welche Musik?

Dylan sicherlich, Randy Newman, Tom Waits…

Lustig, ausgerechnet Randy Newman, den ja viele…

…als Zyniker bezeichnen. Randy Newman ist zynisch auf der einen Seite, der hat aber eine ganz tiefe menschliche Dimension in seinen Texten, generell in seiner Musik.

Kennen Sie diese Lebenshilfebücher von Dale Carnegie, „Sorge dich nicht, lebe“ und so?

Kenn ich nicht.

So leicht esoterisch angehauchte Ratgeber, in denen es darum geht, die richtige Einsteilung zu sich selbst zu finden. In Paperback.

Kenn ich nicht, wie gesagt, aber das find ich auch sehr delikat, das hab ich in manchen Kritiken gelesen. In der Münchener Abendzeitung wurde zum Beispiel mit einer Psychologin über mich gesprochen, Lebenshilfe und so. Also da wird’s ein bisschen… ich denke einfach: Ich existiere nicht erst seit vorgestern, ich mache das schon so lange. Das ist schon komisch, wenn man plötzlich als Lebenshilfler stilisiert wird.

Aber nehmen Sie mal Ihr neues Stück „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht“ – Sie sind sich schon im Klaren darüber, dass das ein Spruch ist, den man sich wunderbar auf einem Emaille-Schild über den Arbeitsplatz hängen könnte…

…der hängt da schon, das muss man fairerweise sagen. Der Satz steht an einer Pferdekoppel, die an der Autobahn bei Berlin liegt. Da hängt ein Banner: „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht!“ Daher habe ich das. Ein bisschen wie „Always Look On The Bright Side Of Life“ von Monty Python. Die Dimension finde ich okay, wenn es etwas Augenzwinkerndes, Skurriles hat Aber nicht „Sorge dich nicht, lebe“, das ist mir nicht geheuer.

Sie haben gesagt, Sie wollen keinen Voyeurismus. Aber bei dem Stück „Der Weg“ wird es doch sehr konkret, was die Ereignisse in Ihrem Leben betrifft.

„Der Weg“ ist ein sehr konkretes, trauriges Lied. Dennoch erzähle ich da nichts, es bleibt abstrakt.

Kein Episoden-Song.

Genau, ich zerre da nichts hervor. Das ist ein Liebeslied über jemanden, der neben meinen Kindern das Wichtigste in meinem Leben ist und war. Es ist keine Nabelschau. Ich wollte ihr einfach ein würdiges Lied schreiben.

Trotzdem wundert mich, dass Sie das als zweite Single genommen haben und dadurch so den Scheinwerfer drauf gerichtet haben.

Meine Kinder haben das wunderbar formuliert: Du hast das geschrieben, du musst das auch singen. Sie fanden das auch erst mal erschütternd, aber sie haben recht. Wenn ich es geschrieben habe, muss ich es auch nicht irgendwo verstecken. Dann kann man es auch als Single veröffentlichen. Es existiert ja. Wie „Flugzeuge im Bauch“, das ist ein ähnliches, verzweifeltes Lied, auch wenn da eine ganz andere Geschichte dahintersteckt. Die kennt nur keiner außer mir.

„Flugzeuge im Bauch‘ ist aber schon irgendwie Allgemeingut geworden. Es gibt zwei bekannte Coverversionen und so weiter. Das passiert ja in der Öffentlichkeit mit Liedern, dass sie sich vom Interpreten loslösen, wenn man Leuten diesen Zugriff ermöglicht.

Also, „Der Weg“ habe ich allein schon musikalisch so gebaut, dass sich das nicht zum Mitsingen anbietet Wenn das Lied nicht in sich so geschlossen ist und so präzise, dann habe ich einen Fehler gemacht Das ist die eigene Verantwortung ist, dass ein solches Lied so dicht ist, dass man es nicht auseinanderrupfen und missbrauchen kann. Ich musste es so schreiben, es ist da, und dann gebe ich es halt frei.

Sie sind damit auch in „Wetten, dass?“ aufgetreten. Es war auffällig, dass Thomas Gottschalk hinterher nicht zu Ihnen kam und seinen üblichen Spruch gesagt hat, „Schön, dass du in meiner Show bist“ und dieses Gelaber.

Ich fand das einfach nicht angebracht. Das meinte er auch. Das kann man auch nur so stehenlassen.

Aber Gottschalk hat das Lied ja noch kommentiert: Er hat gesagt, dass man nach so einer Darbietung eigentlich erst mal das Bedürfnis habe, in sich zu gehen, dass er aber trotzdem jetzt mit der Show weitermachen müsse. In der „Süddeutschen“ stand hinterher sogar, Sie hätten mit Ihrem Auftritt das komplette, eingefahrene Unterhaltungskonzept der Sendung gesprengt. Das war sehr nahe am Pathos.

Ich kann rückblickend schlecht beurteilen, was da war. Ich habe das gesungen, und danach gab es einen Moment, wo ich gedacht habe, jetzt ist es auch gut Und deswegen bin ich dann auch von der Bühne gegangen. Das ist genau so, wie wenn ich das im Konzert spiele. Ich singe das, ich stelle das hin, dann geht es aber auch weiter. Der Tod, von dem das Lied spricht, ist in unserem Kulturkreis halt e : n schwieriges Thema. Sicherlich muss man aufpassen, dass das eben nicht pathetisch wird. Da hört es auf, das sehe ich schon auch so.

Das haben Sie als Sänger aber oft gar nicht mehr in der Hand. Sie können sich entweder ganz verweigern oder eben sagen: Ich singe es, weil ich es geschrieben habe. Die Reaktionen darauf können trotzdem ärgerlich für Sie sein.

Das ist nicht einfach. Speziell an dem Abend bei „Wetten, dass?“, da hab ich das alles nicht so mitgekriegt, weil das so punktuell war. Da kommst du raus und spielst das und gehst dann wieder, während du im Verlaufeines Konzertes natürlich selber dafür verantwortlich bist, dass es eben nicht pathetisch wird. Ich denke, das ist bei der Tour auch gelungen. Direkt nach „Der Weg“ haben wir immer „Mensch“ gespielt, das ist auch keine heitere Nummer, aber es ist eine Ergänzung, eine etwas zuversichtlichere Sichtweise.

Diese Zuversicht ist auf dem „Mensch „-Album auffällig an lyrische Bilder vom Wasser geknüpft, an Regen und Meer.

Ja, das kam schon früher bei meinem Stück „Land unter“ vor. Auf der neuen Platte ist es wohl am deutlichsten bei „Zum Meer“, das ja auch ganz am Schluss kommt. Wir kommen aus dem Meer, wir gehen zum Meer zurück. Ich sehe da immer die Elbe vor meinem geistigen Auge…

Also doch die Elbe! Die Flutkatastrophe!

Ach so, Mist! (lacht laut) Nein, die Elbe ist halt der Fluss, der in Deutschland ins Meer fließt. Das Meer symbolisiert für mich die Befreiung, die Offenheit, das Chaotische und Elementare.

Es hat auch etwas Einsames. Der Mensch, allein mit der gewaltigen Natur konfrontiert.

Sicher hat es auch etwas davon. Der Aufbruch des Einzelnen, der sich dafür entscheidet, nicht immer alles mit sich rumzuschleppen. Aber ich denke, wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt, da fehlen einem letztendlich die Worte.

Und genau dann kommt einem als Musiker die Musik zu Hilfe, an den Stellen, an denen es keine passenden Worte mehr gibt.

Die Musik hat genau dieses undefinierbare Element Da muss man nichts erklären. Ich schreibe gerade eine Theatermusik für Robert Wilson, der in Berlin „Leonce und Lena“ inszeniert. Der tanzt ja immer zu der Musik, wenn er an seinen Stücken arbeitet. Ich war unmittelbar vor der Tour bei ihm und habe ihm ein paar Vorschläge mitgebracht – da reagiert der drauf, das gibt’s gar nicht, obwohl noch gar keine lexte da sind. Es gibt diese wunderbare Band Sigur Rös, die ja ihre eigene Sprache erfunden hat. Das ist wie abstrakte Malerei.

Kennen Sie „The Rising“von Bruce Springsteen?

Ich hab die Platte gehört, nur ein Mal. Ich habe die Texte nicht gelesen, ich weiß nicht, worüber er gesungen hat. Ich fand die Platte okay. Vielleicht zwei oder drei Stücke habe ich richtig in den Griff gekriegt.

Auch bei Springsteen gibt es ein „Du fehlst“: „You’re Missing“, über ein Paar, das durch die Katastrophe vom 11. September getrennt wird. Und auch er wird von sehr vielen in Amerika als Bote der Menschlichkeit empfunden, weil er auf der Platte zeigt, wie sich die Ereignisse in vielen individuellen Geschichten spiegeln und so eine Bedeutung bekommen.

Das erinnert midi an eine Sache, die ich ganz interessant finde. Dieses Stück „Zum Meer“ war am Anfang nämlich eine ganz schnelle Nummer. Und dann bin ich eben am 11. September ins Studio gegangen und habe das Lied komplett umgeschrieben. Da habe ich die Musik auch fertiggestellt, so, wie sie heute ist. Dann die Frage: Was schreibst du da für einen Text drauf? Da gibt’s eine schöne Geschichte, die hat John Irving erzählt über dieses Mädchen, dessen Eltern nicht wollten, dass sie raucht. Ich weiß nicht, ob das stimmt Die arbeitete jedenfalls im World Trade Center und ist zum Rauchen immer auf die Straße gegangen. Und so hat das Rauchen ihr am 11. September quasi das Leben gerettet Die Geschichte habe ich dann versucht, mit aller Gewalt auf die Nummer zu packen, weil ich die Musik halt genau an dem Tag geschrieben hatte. Dann hab ich aber gemerkt, ich kriege diesen Text nicht hin. Der war eigentlich schon fertig, aber ich habe gemerkt: Das, was übrig geblieben ist vom 11. September, das steckt schon drin in dem Lied, und als Alternative habe ich dann den Text „Zum Meer“ geschrieben. Das entlarvt einen auch selbst ein wenig, wenn man sowas zu analytisch und mit Gewalt angeht.

So ein Story-Song wäre auf der Platte auch ein völliger Fremdkörper gewesen.

Im Endeffekt ja. Da hätte ich mich rausgewagt aus dem, was ich eigentlich auf „Mensch “ erzähle. Und das ist meine Geschichte.

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