Hells Angels – Mafia auf Motorrädern

Drogen, Prostitution, Gewalt: Mitglieder des Rockerclubs Hells Angels sind in Verbrechen und Korruption verstrickt. Nun droht das endgültige Verbot. Ein Frontbericht aus Frankfurt

In ihrem letzten Sommer saßen sie oft vor dem Angels Place. Die schweren Motorräder in Reichweite abgestellt, auf dem Bürgersteig der Mainzer Landstraße in Frankfurt, nebendran das Schild „Harley parking only“. Sie hockten dort in ihren Kutten und unterhielten sich, inmitten des Grundrauschens der Autos, die im Feierabendverkehr vorbeiströmten. Fast könnte man sagen, es ging gesittet zu bei diesen Treffen. Eine fröhliche Männerrunde in ihrer eigenen Welt. Die Nachbarn, ein Copy-Shop und ein Schnellimbiss, hätten sich so oder so nicht getraut, sich zu beschweren.

Wohl keiner der Rocker ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass es der letzte Sommer in ihrem Clubhaus sein würde. Die letzten Wochen, in denen sie ihre Kutten tragen, ihren Geschäften nachgehen und ihre Vereinskultur ausleben konnten. Wenige Monate später, in der Nacht zum 2. November 2011, stehen sie erstaunt und entsetzt vor dem Angels Place, frierend in dicken Jacken, während die Polizei mit einer Hundertschaft das Gebäude durchsucht. Ein Möbelstück nach dem anderen wird hinausgetragen. Tische, abgewetzte Sofas, Schließfächer. Die Polizisten haben ihre Gesichter mit Sturmhauben maskiert, wie immer bei Einsätzen gegen die organisierte Kriminalität.

Die Clubmitglieder, die sich auf der anderen Straßenseite versammelt haben, sind diesmal auffällig still. Schweigend ziehen sie im Nieselregen an ihren Zigaretten, nur einer stapft wütend über die Straße, ein Telefon am Ohr: „Die Bullen räumen uns die ganze Bude leer!“ Bis zum frühen Morgen dauert die Aktion. Am Ende ist der Hells Angels MC Charter Westend, einer der größten und bedeutendsten Motorradclubs Deutschlands, nicht mehr als ein ganz gewöhnliches Haus an einer viel befahrenen Ausfallstraße.

Das Verbot der Frankfurter Hells Angels Ende letzten Jahres – es hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. In den Innenministerien der Bundesländer ebenso wie in der Rockervereinigung selbst. Es gab Solidaritätsbekundungen anderer Charter, die plötzlich befürchteten, sie könnten die Nächs-ten sein. Dass gegen die Hells Angels vorgegangen werden soll, war bisher nur eines von vielen Themen auf der Agenda der Innenministerkonferenz – gewagt wurde es bisher nur in Hamburg, Düsseldorf, Flensburg und Anfang des Jahres auch in Kiel.

Das Verbot der beiden Frankfurter Sektionen – neben dem Westend-Charter wurde auch das Charter namens Frankfurt aufgelöst – galt deshalb als Zäsur. Vor allem, weil sie neben dem Hannoveraner Charter als einflussreichste Vereine innerhalb der deutschen Hells Angels gelten. Die Umsätze, die in Frankfurt mit Pros-titution, Menschenhandel und Drogenverkäufen erzielt werden, liegen nach Schätzungen im Millionenbereich. Wird die Frankfurter Szene zerschlagen, so argumentierten die Sicherheitsbehörden, bricht für das gesamte Bundesgebiet ein wichtiger Pfeiler der Organisation weg – mit viel größeren Folgen, als es die Verbote in Düsseldorf oder Flensburg gehabt haben.

Dabei steht das Frankfurter Verbotsverfahren nicht nur für die Macht der Politik – gleichzeitig zeigt es auf, wie mächtig die Hells Angels heute sind. Eine Gruppe von selbsternannten Rockern – in Nachfolge des ersten, 1948 in Kalifornien gegründeten Angels-Clubs -, die lange unterschätzt wurde und dementsprechend Zeit hatte, ihr Imperium aufzubauen. Deutschlandweit gerieten die Hells Angels nur dann ins Visier der Behörden, wenn sie sich Bandenkriege mit anderen Motorradclubs lieferten. Dass sie aber längst dabei waren, die staatlichen Sicherheitsorgane aktiv zu unterwandern, bemerkten die Behörden fast zu spät.

Es war im Oktober 2010, als eine in Frankfurt groß angelegte Razzia platzte. Seit Wochen war die Aktion vorbereitet, der Durchsuchungsbeschluss des Richters lag vor. Doch als die Beamten am frühen Morgen mit ihren Einsatzfahrzeugen vor einem der Häuser im Frankfurter Bahnhofsviertel ankamen, hing ein Zettel an der Tür: „Willkommen Polizei“.

Eigentlich sollte es ein Schlag gegen die Hells Angels werden, stattdessen wurde es zur Bewährungsprobe für die Ermittlungsbehörde selbst. Nicht zum ersten Mal gerieten Beamte unter Verdacht, Interna an die Rockervereinigung weitergegeben zu haben: Zu diesem Zeitpunkt liefen schon Ermittlungen gegen fünf Polizisten, denen eine Nähe zu den Hells Angels nachgesagt wird.

Mehr als tausend Polizisten durchsuchten im Dezember 2010 Wohnungen und Arbeitsplätze der fünf Beamten sowie weiterer Verdächtiger. Unter den Beschuldigten war auch ein Ermittler des hessischen Landeskriminalamts, der Daten aus internen Informationssystemen der Polizei gegen Bezahlung von rund 10.000 Euro weitergegeben haben soll. Gerüchteweise soll mindestens einer der Beamten als Belohnung für seine Auskunftsbereitschaft auch unentgeltlich Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen haben.

Wann genau diese Kontakte zwischen Hells Angels und Polizisten geknüpft worden sind, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht jedoch, dass es ungefähr in die Zeit fällt, als auf der Innenministerkonferenz erstmals konkreter über ein Verbotsverfahren für Hessen gesprochen wurde.

Es ist auch kein Zufall, dass zwei der verdächtigen Beamten Drogenkonsumenten waren – und dass die Hells Angels das wussten. Die Kontakte wurden scheinbar unbemerkt angebahnt, entweder im Zusammenhang mit Verkehrsverstößen oder in Fitness-Studios und Diskotheken, von sogenannten „Hangarounds“, wie jene Anwerber genannt werden, die auf der niedrigsten Stufe der Höllenengel-Karriereleiter stehen. Sie müssen Botengänge und andere Gefälligkeiten erledigen. Wer sich bewährt, steigt auf. Die Kontaktaufnahme zu den Beamten war die Feuertaufe.

Auch die Informationsbeschaffung selbst verlief offenbar konspirativ. Bisher konnte die Staatsanwaltschaft trotz intensiver Ermittlungen und abgehörter Telefonate in keinem der Fälle eindeutig nachweisen, welche Interna im Einzelnen weitergegeben worden sind. Gegen zwei Beamte wurden die Verfahren inzwischen sogar eingestellt. Dafür tauchte im Spätsommer vergangenen Jahres ein Abhörprotokoll auf, das im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren angefertigt wurde – und das abermals zeigte, wie weit die Hells Angels in ihrer Informationsbeschaffung gekommen sind. Am 28. Oktober 2010, zum Beispiel, wurde ein Telefonat zwischen Clubmitgliedern mit den Worten protokolliert, eines der Mitglieder habe „im Innenministerium recherchiert“ und „erfahren, dass sie bei denen erst im November auf dem Plan stehen“. Das Gespräch macht deutlich, wie groß die Angst tatsächlich war. Vor einem Verbot, das es mit sich bringen würde, die Vorherrschaft im Frankfurter Prostitutions- und Drogenmilieu zu verlieren.

Eine Vormachtstellung, die sie sich lange erarbeitet haben. Mitte der 90er-Jahre waren es noch Banden aus dem ehemaligen Jugoslawien, die das Frankfurter Bahnhofsviertel beherrschten. Fast von einem Tag auf den anderen wurden sie von den Hells Angels verdrängt. Systematisch kauften sich die Rocker in die großen Bordelle des Rotlichtdistrikts ein, waren zunächst deren Bewirtschafter, dann deren Besitzer. Sie übernahmen die Türsteherszene in den bedeutenden Clubs der Stadt und regelten fortan große Teile des Drogenhandels.

Wer immer dieses Wirtschaftssys-tem durchbrechen wollte, dem wurde mit Gewalt geantwortet.

Das betraf zuletzt vor allem bulgarische Zuhälter, die Mädchen aus ihrem Heimatland auf den Straßenstrich stellten und somit den Bordellen Konkurrenz machten. Die Hells Angels gründeten daraufhin sogenannte Dreierstreifen, die in den Nachtstunden durchs Viertel zogen. Es kam zu Übergriffen auf Bulgaren, die die Polizei nie öffentlich gemacht hat, die aber mit äußerster Brutalität vollzogen wurden. Die Rocker kündigten an, „die Sache dauerhaft selbst in die Hand zu nehmen“, sollten Stadt und Polizei nichts gegen den illegalen Strich unternehmen.

Kurz darauf wurden die Straßenprostituierten aus dem Bahnhofsviertel heraus knapp vier Kilometer weiter an die Frankfurter Messe verfrachtet. Seitdem ist Ruhe.

Wie wahrscheinlich ein dauerhaftes Verbot der Frankfurter Hells Angels ist – niemand weiß es. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel wird voraussichtlich erst im kommenden Herbst darüber entscheiden, ob die beiden Frankfurter Charter endgültig verboten werden. Entscheidend wird sein, ob die Richter die Ansicht des hessischen Innenministeriums teilen, wonach die Straftaten, die bisher einzelnen Mitgliedern nachgewiesen wurden, den Verein im Ganzen als kriminelle Organisation überführen. In der Verbotsverfügung heißt es, allein das im November 1999 gegründete Charter Westend laufe seinem Zweck und seiner Tätigkeit nach den Strafgesetzen zuwider. Gemeint ist damit unter anderem der Ehrenkodex, dem sich jeder Hells Angel unterwerfen muss.

Der Weg bis zum voll akzeptierten Mitglied ist lang. Schafft es ein „Hang-around“, das Vertrauen der Gruppe zu gewinnen, steigt er auf zum „Pros-pect“, gehört damit aber immer noch zur untersten Kategorie. Geschafft hat es, wer irgendwann „Member“ wird. Dann ist theoretisch alles möglich: vom „Treasurer“, dem Schatzmeister, bis zum „Road-Captain“, der für Tourenplanungen zuständig ist, oder sogar zum „Sergeant at Arms“, zuständig für die „Disziplin“ im Verein.

Die Regeln sind streng. Wer einmal Mitglied ist, muss sich dem Willen der Gruppe unterordnen, die Interessen des Vereins stehen über denen des Individuums. Die hessische Verbotsverfügung setzt darauf, dass den beiden Frankfurter Chartern genau dies nachgewiesen werden kann. So könnte belegt werden, dass nicht nur die einzelnen Mitglieder, sondern der Verein selbst strafbar handelt.

Als Beispiel gilt der Vorfall im hessischen Roßdorf. Am 26. Juni 2010 feierte dort der MC Black Souls Darmstadt sein 40-jähriges Bestehen. Ein schöner Tag, man traf sich auf dem Grillplatz. Gegen 12 Uhr fuhr eine Gruppe von über 70 Hells Angels aus Frankfurt, Darmstadt und Mannheim vor. Als sie auf das Gelände kamen, prügelten sie unvermittelt auf die Black Souls – mit Getränkekisten und Flaschen als Waffen. Wer am Boden lag, bekam die volle Wucht gezielter Tritte gegen Kopf und Oberkörper ab. 13 Mitgliedern der Black Souls wurden die Kutten geraubt, mit Gejohle schwenkten die Angels sie wie Trophäen durch die Luft, dann legten sie sie auf die Erde und urinierten darauf.

Die Motive des brutalen Überfalls sind bis heute ungeklärt. Fest steht nur: Alles war bis ins Detail geplant. Auf dem Weg zum Grillplatz hatten die Rocker sogar selbst den Verkehr geregelt und Kreuzungen gesperrt, um im Pulk ungehindert passieren zu können. Der Überfall war eine perverse Demonstration ihrer Macht.

Der Vorfall ist nur einer von vielen, mit denen das hessische Innenminis-terium das Verbot begründet. Viele andere Fälle zeigen lediglich die kriminelle Energie einzelner Mitglieder – und reichen daher möglicherweise nicht aus, um eine verbrecherische Struktur des Vereins zu bewiesen und offenzulegen, dass der gesamte Verein als solcher kriminell ist.

Fest steht, dass die Sicherheitsbehörden den Frankfurter Hells Angels und – wegen ihrer überregionalen Bedeutung – somit auch der gesamten deutschen Rockerszene heftig zugesetzt haben. Das würde umso mehr gelten, falls der Verwaltungsgerichtshof in Kassel im Herbst entscheidet, dass das Verbot Bestand hat. Dann könnte der „Frankfurter Weg“, der allen Widerständen zum Trotz eine konsequente Sammlung von Beweisen durch konzertierte Großrazzien war, auch auf andere Bundesländer ausstrahlen, nicht zuletzt auf Niedersachsen. Dort regiert mit dem Charter Hannover der mächtigste Angels-Club in Deutschland.

Sollte das Verbot jedoch gekippt werden, wird es ein Triumph für die Rockervereinigung sein – und auch das deutschlandweit. Es würde die Bekämpfung der Organisation für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückwerfen und die Hells Angels stärker machen denn je. Genau das fürchten viele Innenminister, die die Aktionen der Rockerclubs deshalb in ihren Bundesländern lieber stillschweigend tolerieren, als hart durchzugreifen.

Dann wird es eben doch nicht der letzte Sommer der Frankfurter Hells Angels gewesen sein. Seit der Clubhaus-Razzia ist es um den Rockerclub erst einmal still geworden: Die Mitglieder haben nun mehr Zeit zum Motorradfahren – aber ob sie die wahrnehmen, ist fraglich. Die Ermittlungen haben auch gezeigt, dass nur jeder Fünfte im Club überhaupt einen Motorradführerschein hat.

Katharina Iskandar ist Polizeireporterin der FAZ und recherchiert seit vielen Jahren zum Thema Hells Angels.

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