Helden in Latzhosen
Für eine junge Aktivistin wie Renate Künast war das Berlin der 80er ein politischer Erlebnispark
Wer wie ich aus der Anti-AKW-Bewegung und dem Nach-Vietnamkrieg-Protest kam, wollte Ende der 70er-Jahre nicht in die SPD, wo nur ältere Herren saßen, die immer recht hatten und dann auch noch Berufsverbote gegen Leute aussprachen, nur weil sie mal ein halbes Jahr in einer K-Gruppe gewesen waren. Die Frage lag in der Luft: Wann kommen wir endlich dazu, uns selbst zu vertreten? So kam es zur Gründung der Alternativen Liste und der Grünen, die dann 1983 in den Bundestag einzogen.
Berlin als politischer Ort war damals hip, auch wenn es das Wort noch nicht gab. Ich wohnte in einer Wohngemeinschaft in Charlottenburg, dann in einer in Schöneberg. Die Feten waren ein Traum, wir tanzten Rock’n’Roll, aßen Nudelsalat und tranken Radeberger, das billig aus der DDR importiert wurde. Wir hatten unsere Naturkostläden, weil wir keine Chemie essen wollten, sogar die notorischen Latzhosen haben wir im Berufsbedarf gekauft und lila eingefärbt. Als ich 1984 Rechtsreferendarin in der Berliner Senatsverwaltung wurde, wussten viele, dass ich bei den Grünen war, und fragten misstrauisch: „Müssen wir die beobachten? Gibt die vielleicht Akten illegal raus?“ Es war eine Zeit, in der man lernte, mutig zu sein. Nicht nur radikale Sprüche zu klopfen, sondern die Welt zu verändern. Der Höhepunkt der Dekade war natürlich die Maueröffnung in Berlin. Als der Innensenator mit blassem Gesicht die Telexmeldung verlas, wusste ich sofort: Ab jetzt wird alles anders. Das Gefühl hatte ich in meinem Leben nur zwei Mal: damals und am 11. September 2001.
Renate Künast, Jahrgang 1955, im Bild von 1989 rechts mit dem Berliner Bürgermeister Walter Momper und AL-Fraktionsfreundin Heidi Bischoff-Pflanz, ist heute Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen.