Held für einen weiteren Tag
Wenige Stunden vor Redaktionsschluss tauchte im Internet eine Nachricht auf, die uns elektrisiert: David Bowie, der sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, wird im März nach zehn Jahren Pause ein neues Album herausbringen
Es wäre doch zu schön gewesen, hätten wir David Bowies neues Album „The Next Day“ mit derselben unschuldigen Unvoreingenommenheit empfangen dürfen wie die am 8. Januar ohne Ankündigung in die digitale Welt geworfene erste Singleauskopplung „Where Are We Now?“.
Doch noch am selben Abend hatte die BBC Bowies Produzenten Tony Visconti via Skype erreicht, und der konnte einfach nicht mehr an sich halten. Schließlich war er, so Visconti, „nun schon die letzten zwei Jahre mit diesen Songs im Kopfhörer durch New York gelaufen.“ Diese langsame Ballade sei „der einzige Track auf dem Album, auf dem Bowie so tief in sich geht. Ansonsten ist das ein ziemliches Rock-Album.“ Er habe sich gefragt, warum Bowie ausgerechnet mit dieser Nummer als Erstes herausgerückt sei: „Er sollte mit einem Knaller rauskommen! Aber er ist ein Meister seines eigenen Lebens. Ich glaube, das war ein sehr weiser Schachzug, seine Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden, und das Nächste, was Sie von ihm hören, wird ziemlich anders sein.“ Na dann.
In den paar wertvollen Stunden der Ungewissheit, bevor die sympathische Plaudertasche ihre Geschichten von einem „sehr gesunden und sehr glücklichen“, ständig lächelnden David Bowie mit „rosa Wangen“ im Studio zum Besten gab, hatte es keine Social-Network-Strategie, keinen Teaser-Blog, keine sonstige Ablenkung aus Bowies Kreisen gegeben, einzig eine eher banale Presseaussendung und das tief berührende Werk selbst: Bowies erste Neuerscheinung seit dem Album „Reality“ (2003) ist eine selbstsicher unspektakuläre, von charakteristisch verzogenen Akkorden getragene Nummer, illustriert von einem von Künstler Tony Oursler gedrehten Film samt eingeblendetem, mit jeder Menge Berlin-Referenzen gespicktem Text.
Die deutsche Hauptstadt spielt darin – wieder einmal – die bei angelsächsischen Betrachtern beliebte Rolle der in grobkörnige Zeitlupenästhetik getauchten Metropole des Kalten Krieges, als man immerhin noch genau wusste, wo man war, wenn man an die Mauer stieß. „Und wo sind wir jetzt?“, fragt Bowie in der Rolle des alten Mannes, der alles erlebt hat, aber doch keine Ahnung hat, wie’s weitergeht.
Die Diskothek „Dschungel“ in der Nürnberger Straße, in der er Ende der Siebziger mit Iggy Pop und dem Konzeptkünstler und Maler Martin Kippenberger verkehrte, hört sich in Bowies zerbrechlich klingender Stimme eher nach einer verlassenen Kneipe an. Er sitzt dort als der „man lost in time“, ein in der Zeit verlorener Mann, der die Toten spazieren führt: „just walking the dead“.
Nach den ersten 20 Durchläufen des Videos löst sich der faszinierte Blick endlich vom in den Jahren seiner öffentlichen Abwesenheit scheinbar schlagartig gealterten Antlitz des Sängers. Was wie eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Sterblichkeit geklungen hat (man erinnert sich an Bowies Herzinfarkt 2004 in Hamburg), lässt sich mit einem Mal auch als der Tribut eines Überlebenden hören, zum Beispiel eben an den 1997 jung verstorbenen Kippenberger. Vielleicht ist es auch einfach beides zugleich. Schließlich singt Bowie „As long as there’s me/ As long as there’s you“, mit dem impliziten Gedanken, dass die gemeinsame Welt verschwindet, sobald einer geht. Und schließlich sieht man im Video die längste Zeit nur Bowies Gesicht, das er wie in einem Vergnügungspark durch ein Loch über den ineinander verschlungenen Körpern eines niedlichen Stofffigurenpärchens gesteckt hat; im Loch daneben übrigens die Frau des Regisseurs Oursler, die Malerin Jacqueline Humphries. Gegen Ende des Videos ziehen die beiden sich aus den Kopflöchern zurück und hinterlassen die Stofffiguren als leblose Körper in einem mit allerlei Kunst und Ramsch gefüllten, verwaisten Atelier.
Passend zu dieser Ansammlung von Effekten erscheint auch das avisierte Cover von „The Next Day“ wie die erste Auseinandersetzung des aus Prinzip nie zurückblickenden Bowie mit seinem eigenen Nachlass: Der in ein weißes Rechteck geschriebene Albumtitel sitzt respektlos mitten auf dem Cover-Foto von „,Heroes'“, dem 1977 erschienenen, zweiten Album seiner sogenannten Berlin-Trilogie (zwischen „Low“ und „Lodger“).
Inmitten der Nostalgie-Orgien einer von rührseligen Comebacks übersättigten Rock-Industrie probiert sich Bowie einmal an der Selbstreferenz und macht gleich Kunst daraus. Legitim ist der Rückblick sowieso: Die Art, in der er in den Siebzigern als glamouröser Alien junge Fans vom fremden Planeten der Erwachsenen befreite, beschämt die bescheidenen Ambitionen der heutigen Popkultur. Dabei war der Selbstdarsteller Bowie nie bloß Narziss, sondern berührte, indem er sein Publikum in seine Welt mit einschloss. Und so lässt er auch heute in der zweiten Strophe von „Where Are We Now?“ nach all den persönlichen Erinnerungen die 20 000 Menschen, die am 9. November 1989 die Berliner Bösebrücke passierten, noch einmal rüber auf die andere Seite gehen. Sie halten immer noch ihre Finger gekreuzt, „just in case“. Wenigstens das lässt sich ganz unzweifelhaft dekodieren: In der verkehrten Welt des Engländers bringen gekreuzte Finger Glück. Robert Rotifer
geweißte ikone
Grafikdesigner Jonathan Barnbrook variiert für „The Next Day“ das Motiv des Bowie-Albums „Heroes“, das als zweiter Teil seiner Berlin-Trilogie gilt
Natürlich hätten viele eine schönes neues Foto bevorzugt, schreibt Barnbrook in seinem Blog, „das wäre aber sehr viel uninteressanter gewesen“. Ein Bild aus der Vergangenheit zu benutzen, sei normalerweise nur „Recycling“, erklärt er weiter, das berühmte „Heroes“-Motiv aber sei ein Bild, „dessen Verfremdung wirklich erschüttert“. Das weiße Quadrat stehe „für den Geist großer Popmusik; für den Moment zu leben, die Vergangenheit zu vergessen“.