Heitere Depression
Total pauschal könnte man sagen: Der Österreicher, insbesondere der Wiener pflege ein masochistisches Verhältnis zum Tod. Man könnte auch behaupten, er habe einfach nur sehr gern schlechte Laune. „Der Tod muss ein Wiener sein“, wusste einst der große Spötter Georg Kreisler. Der Songschreiber Nino Ernst Mandl alias Der Nino aus Wien sagt: „Ich bin eigentlich ein lebensfroher Mensch. Aber ich befasse mich immer schon mit dem Tod. Er ist in meinem Kopf allgegenwärtig. Es geht um einen gesunden Umgang, darum, sich vorzubereiten, sich darauf einzustellen. Man sollte ihn jedoch auch mit Humor nehmen können.“
Nach solchen Sätzen macht man sich ein bisschen Sorgen um den 27-Jährigen, der im 22. Bezirk der Donaustadt aufwuchs. Dessen Großvater zwar als Bildhauer und Maler arbeitete, aber Musik hasste („Ich glaube nicht, dass er bei mir eine Ausnahme gemacht hätte“). Der seine erste E-Gitarre, die seine Eltern beim österreichischen Aldi erstanden hatten, mit einem Feuerzeug zum Klingen brachte. Der für eine Konzertankündigung eine fiktive Kurzbiografie verfasste, in der er sich als klebstoffschnüffelnden Fahrraddieb ausgab. Der sich einen noch viel grausameren Scherz erlaubte, als er sich von DJ Ötzis Skihütten-Hit „Anton aus Tirol“ zu seinem Künstlernamen inspirieren ließ und 2010 mit der Single „Du Oasch“ bekannt wurde. Und der in seiner Lederjacke zu Cola und Fluppe so gequält redet, dass man nicht weiß, ob das jetzt die lässigste, ironischste Selbstinszenierung seit Udo Lindenberg um das Jahr 1973 ist -oder ob man nicht schleunigst einen Psychiater zu Hilfe holen sollte.
„Bäume“, das eine seiner neuen Alben, atmet denn auch die morbid-kränklichen Todessehnsuchtsmelodien von Velvet Underground samt schiefen Geigen und abgründigen Slides. Dem stellt er das ungleich poppigere, musikalisch buntere Album „Träume“ gegenüber. Danach gefragt, warum er sich die Mammutaufgabe gestellt habe, zwei Platten auf einmal zu veröffentlichen, antwortet Nino: „Ich brauche immer einen Ansporn, um überhaupt etwas zu machen. Also nehme ich mir Dinge vor, die mein Label zur Verzweiflung treiben. Das ist ein komisches Argument, aber es entspricht meinem Naturell: Je mehr ich mache, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Gutes dabei herauskommt.“
Zwei Alben, zwei Stimmungen. „Träume/Bäume“ oder „Happy/Sad“. In Ninos Welt sind das die Koordinaten: Beatles und Syd Barrett. Den enigmatischen Pink-Floyd-Mitbegründer und Abgeschiedenheitskünstler bewundert er schon seit Langem. Das Album „The Madcap Laughs“ zeigte ihm, dass man es mit wenig zur Meisterschaft bringen kann: „Nur D und A, aber gleichzeitig ein unglaubliches Lied -so wollte ich es machen.“ Und die ungeheure Konsequenz, mit der Barrett sich Anfang der Siebziger von allem verabschiedete? Fasziniert ihn das? „Es ist auf jeden Fall ein interessanter Weg, aber irgendwie auch eine Warnung.“ Lieber würde er einen ähnlichen Weg wie sein Landsmann Wolfgang Ambros einschlagen: „diese Unheimlichkeit, immer älter und fertiger auszusehen und Lieder zu singen wie ‚Es lebe der Zentralfriedhof‘. Nicht ganz gesund sein, aber auch nicht ganz unglücklich.“
Als lustvoller Schwermutssänger, leidenschaftlicher Grantler und Chronist der Wiener Melange aus Larmoyanz und Launenhaftigkeit, Bräsig-und Befindlichkeit findet Der Nino sein perfekt-kaputtes Gleichgewicht naturgemäß nachts, zwischen 23 und 6 Uhr in der Früh, sagt er. Dann besucht ihn seine Muse, dann erwacht er zu neuem Leben, dann beginnt er seine irren Kurzgeschichten in Lieder zu packen. Lieder über einen Tabakhändler, Spiegelbilder, bescheuerte Träume vom Rampenlicht, Bücher über jugoslawische Kochkunst, die Möglichkeit, nach Jena zu ziehen -und immer wieder über „Mein Tod“.“Wenn wir das Sterben feiern, ist Wien ein berechtigter Rausschmiss“, singt Nino einmal auf „Bäume“.
Und eines kann man dem Songdichter ganz bestimmt attestieren: So lebensmüde/lebensfroh klang der Tod schon lange nicht mehr.