Heiße Fracht aus Kreuzberg
Rechtzeitig zum zehnjährigen Jubiläum des Labels City Slang, Heimat von Tortoise, Built To Spill & Lambchop, entern Calexico die LP-Charts
Traumatisiert sitze Howe Gelb zu Hause in Tucson, Arizona, erzählt Christof Ellinghaus lachend. Es ist noch gar nicht so lange her, als Gelb nicht nur autokratisch seiner Combo Giant Sand vorstand, sondern dieselbe den Ruf genoss, ganz bestimmt das nächste große Ding zu werden. Jahr um Jahr. Und nun sind es Gelbs Sidekicks Joey Burns und John Convertino, die groß herauskommen unter dem Moniker Calexico. Ursprünglich als Spielplatz für jazzigere und experimentellere Musikabenteuer angedacht, entwickelten Calexico eine so unwiderstehliche Eigendynamik, dass dabei Giant Sand immer öfter zurückstehen musste. Indessen die Calexico-LPs „The Black Light“ und „Hot Rail“ beachtliche Verkaufserfolge erzielten.
Auf City Slang Records, dessen Eigner Ellinghaus mithin nicht ganz unschuldig ist an Gelbs Misere. Und als ob ihm das plötzlich bewusst würde, fügt er ernst hinzu, dass es ihm um Howe Gelb leid tue, wo doch die neue Giant Sand-LP „wieder richtig gut“ geworden sei. Bloß eben nicht so erfolgreich wie Calexico.
Nicht mal annähernd. City Slang, gerade zehn Jahre in Betrieb, schaffte das Kunststück, „Hot Rail“‚in die „Media-Control“-Charts zu hieven, die da erhoben werden, wo die hippen Leute garantiert keine Platten kaufen. Bei Karstadt oder in Elektrofachgeschäften mit weißer Ware und CD-Ecke. Andere City Slang-Acts wie Lambchop, Built To Spill oder Tortoise haben den Spagat in den Supermarkt noch nicht geschafft, können sich aber mit Auflagen an die 50 000 pro Album auch kommerziell gut sehen lassen. Allein in England gingen von der aktuellen Lambchop-LP „Nixon „bisher mehr als 20 000 Stück weg.
Das mögen Peanuts sein für die Bertelsmänner dieser Welt. Doch für ein kleines Label mit sieben Angestellten in Berlin und zwei in London sind das mehr als respektable Zahlen, gilt der britische Markt doch als der wichtigste in Europa, schon wegen seiner supranationalen Medienpräsenz, aber auch als sehr problematischer, weil schwer zu lesender. Im UK lassen sich auf die Anhänglichkeit von Fans keine Unternehmen aufbauen. Was dort heute en vogue ist, muss morgen nicht mehr interessieren. Weshalb alle abgehalfterten britischen Rockstars gern nach Deutschland kommen. Denn nirgendwo ist der Gnadenbrottisch so reich gedeckt Auch die City Slang-Bands werden das noch zu schätzen lernen.
Vorläufig galt es, das Firmenjubiläum würdig zu begehen. Mit medial umschwärmten Konzerten in London. Und mit einem Festival in Berlin. Sogar ehemalige Slang-Acts wie die Flaming Lips, Freakwater und Yo La Tengo gaben sich die Ehre. Höhepunkt indes war der Auftritt von Calexico mit Mariachi-Musikern in vollem Gepränge. Caramba!