Heimischer HipHop boomt: ANARCHIST ACADEMY, FISCHMOB, FÜNF STERNE DELUXE und DIE FIRMA
Heimischer HipHop boomt: Bands wie ANARCHIST ACADEMY, FISCHMOB, FÜNF STERNE DELUXE und DIE FIRMA pendeln zwischen Stilwille und Wille zum Erfolg.
Die Moral hat immer recht oder: Deutsch-(sprachig)er Rap ist nur ein Mißverständnis. Nach amerikanischen Vorbildern hierzulande auf den Schulhöfen gezeugt und auferstanden imjahre 10 n. Grandmaster Flash mit „Die da“, stilisierten Advanced Chemistry vs. Die Fantastischen Vier einen Glaubenskrieg herauf, dessen Schatten heute noch kein übergreifendes Selbstverständnis ermöglicht. Die Fantastischen Vier erfuhren zwar ihre wundersame Heiligsprechung. Nun läßt sich Superstar Smudo jedoch zum Streitgespräch hinreißen wie vor der Branchenjubelparty Echo, bei der erstmals überwiegend HipHop-Acts nominiert wurden, und beruft sich dabei gegenüber dem Wolf auf die Szene, gegen deren Anwürfe er sich früher verteidigen mußte. Ein Spektrum so wenig greifbar und beliebig einsetzbar wie jenes mythische Echtheitssiegel credibility, die Rochade der Pop kultur, mit der sich die einen abgrenzen und die anderen eben dort eingemeinden wollen. Basis nennt sich daher eine Band, die neben Cappuccino oder Spectacoolär mit Rap-Balladen das Tic Tac Tbe-Destillat auswringt. Sie sehen so echt aus wie das von Nike und MTV für Teenies kreierte Profil, während die Produzenten-Tamagotchis Nana und Pappa Bear qua Hautfarbe der US-Rapper vermeintliche Authentizität erhalten. In die Metastasen des Neuen Deutschen Sprechschlagers hinein veröffentlichen vier Gruppen neue Alben, die dem Underground zugeordnet werden, alle für sich seit Jahren aber bei kleinen Labels an der eigenen Vision deutscher Rapmusik arbeiten – und die zwischen Stilwille und Wille zum Erfolg auch deren Widersprüche aufzeigen.
Hannes von der Anarchist Academy hat einst mit Liane im Iserlohner Jugendzentrum gerappt, bevor jene bei Tic Tac Toe zum nationalen Markenartikel geriet, der für ihn „fantastischer Trash ist, an dem ich Spaß haben kann“. Er darf das sagen. Denn als korrekter Anarchist hat er mit seinen Mitstreitern Bomber, Deadly T und DJ Zonic beharrlich an ihrer Erfolglosigkeit gearbeitet – gemessen an den Charts und für die Wahrheit, die sie meinen. „How To Kill A Racist“ hieß 1992 ihr erstes Demotape. Damit ist selbst bei launischen Lichterkettenlinksliberalen kein Staat zu machen. Immerhin reichte es für zwei Alben und 250 Konzerte mehr.
Parallel studiert Hannes Germanistik und Geschichte, was fast zu gut zusammenpaßt, denn auch die Academy hat die Gespenster, besonders braune, unserer Vergangenheit fest im Blick, und in Gesprächen kann er darüber wohlbedacht referieren. In der Diaspora von „Konkret“ stellte er gar eine profunde, obschon streitbare Analyse über die „reaktionärsten Sprechweisen“ in Reimen mancher Rapper, die „Volksgemeinschaft, Blut und Ehre oder soldatische Kameradschaft“ assoziieren würden. Die Empörung der Szene war enorm. „Die meisten haben es nicht gelesen und geglaubt, ich hätte sie alle als Nazis bezeichnet“, so Hannes. „Es war ein Versuch, seismographisch zu erfassen, was da passiert, wieso diese Leute, die ich fast alle kenne, gerade solche Vokabeln benutzen, nicht auf andere Metaphern kommen.“ Es geht um die Verantwortung bei der Sprache, was sie transportieren soll, von wem sie vereinnahmt werden kann. Gerade Rapper munitionieren ihre Worte wie Waffen. Die verdächtigen Prahlhälse ließen sich aber nicht an der Kritik der Radikalinskis messen: „Sie erwiderten, nichts dafür zu können, daß die Worte vor 50 Jahren in anderen Kontexten standen, als sie es meinen“, so Babak. Er ist der Bandmanager, das Wort verbietet sich aber wohl, also ist er für die „Organisation und Kontakte zuständig“.
Trotz ihres Drangs zur idealistischen Haarspalterei ist die Anarchist Academy vor Rohrkrepierern auch nicht gefeit. Auf ihrer neuen Platte Jiappelkistenkids “ wirken Slogans wie „Lieber solidarisch als solide arisch“ aus dem Titelsong, der zudem Single werden soll, oder „Knallharter Gegenpart, radikal wie Degenhardt“ in „Die 5. Terroristengeneration“ noch amüsant-aufmüpfig, allerdings Zeilen wie .Jedes Wort ein Geschoß,jeder Satz Molotov/Jeder Rap ’ne Granate oder ’ne Kalashnikov“ extremdumpf wie die „verbalen Brandsätze“, die Hannes geächtet hat – was er nicht leugnet. „Er war als Poser-Hip-Hop-Song gedacht, erst später merkten wir, daß er nahelegt, wir würden uns in die Tradition des linken Terrorismus einordnen.“ Man sei sich dem Dilemma bewußt geworden, „daß als politische Band an uns Ansprüche gestellt werden, denen wir nicht gerecht werden können“, sie sich also bemühten, vom Parolenhaften wegzukommen „wir über manche Dinge bereits anders denken als auf der Platte“. Während „Action Mutante“, benannt nach einem spanischen Splatterfilm, als Comicstück funktioniert, in dem sie das prominente Großbürgertum abschlachten, ist es ihnen in „Endstation Abschiebehaft“ ernst. Ein Freund wurde kürzlich ausgewiesen, Babaks Eltern kamen als politische Flüchtlinge aus dem Iran.
Es ist nicht leicht, mit Ton Steine Scherben zu werfen. Doch Anarchist Academy haben auch „Ein schönes Lied“ (mit Akustikgitarre), Drum’n‘-Bass, Big Beats, Scratches und Samples vom „Leon“-Score. Ansonsten einfach nur mal Scheiße rufen.
Im Flur stinkt es nach Latrine, und aus der halboffenen Hintertür einer Kaschemme nebenan dringt kalter Mief. Ein derber Kerl mustert mich. Sieht aus wie ein Zuhälter. „Der parkt seinen schwarzen BMW auf den Bürgersteig“, erklärt später Koze, „und ist auch sonst übel drauf. Früher war es hier lockerer.“ St. Georg, Hamburgs Bahnhofsviertel, ist ein bißchen so wie Fischmob, deren Bude man sonst nur noch auf St. Pauli vermutet hätte. In „Dreckmarketing v. 1.7“ rappen sie über Kakerlaken und frisch geschlüpfte Maden, wie sie den Luftraum verpesten, grölen und jauchzen vom „HipHop für alle, die das Putzen hassen“.
Ganz so schlimm ist es dann nicht. Fischmob benehmen sich wie spätpubertäre Strolche, haben einen wachen Blick und ordnen ihren Humor „auf dem Level der ‚Titanic‘ ein“, so Daniel, der Apfelschorle aus einem Bierglas gegen irgendeinen Kater trinkt. „Denn die gehen auch bis an die Schmerzgrenze, zitieren Sachen und verwursten diese neu zu Witzen, die nicht alle verstehen müssen.“ Der Hintersinn der Zeile „Der Fischmob ist eine Erfindung von Hitler, Kohl und der Staat“ ist ihm gerade entfallen, „unser Selbstverständnis ist mittlerweile aber bekannt, wir müssen es nicht mehr explizit nach außen tragen… natürlich steht ein Masterplan dahinter!“
Über Mundpropaganda und einige Jahre hinweg hat sich ihr Debütalbum von 1993 rund 50 000 Mal verkauft. Die neue Platte heißt JPower“, hat deutsche Texte und „eröffnet das Zeitalter der AUround-Styles!“, verkünden Fischmob im Booklet zu einem Foto, auf dem sie mit einem feisten Elvis-Las-Vfegas-Imitator posieren. Mit HipHop als Basis wollen sie so präzise mit verschiedenen Musikstilen arbeiten, daß jene Songs auch im jeweiligen Genre „souverän funktionieren würden“, so Daniel: „Wir hören in allen Lebenslagen verschiedene Musik: HipHop im Auto, Gitarren zu Hause, House auf Partys.“ So entstand das Dance-Instrumental „Haschisch-Opis“, kalauert Koze, „durch schlimme chemische Drogen, die unsere Intelligenz weggebrannt haben, so daß wir uns nicht auf Texte konzentrieren konnten“. Den Rockkracher Johnny“ haben sie erstmals als echte Band in sieben verzweifelten Tagen eingespielt, „David“ ließen sie von ihrem Dinosaur Jr.-Idol J. Mascis remixen. Und „Susanne zur Freiheit“ ist ein möglicher Sommerhit: zu Soulgesang und einem warmen, wuchtigen Groove rappen Fischmob mit den Stieber Twins, Dendemann, Hausmarke und Smudo über einen Siebziger-Disco-Sample. „Es war ein klassischer HipHop-Workshop: drei Tage in einem Haus mit Bacardi und in Jogginghose“, sagt Koze. „Unsere Antwort auf den Pop-Rap-Müll.“
Derzeitige Boom-Acts sind für sie jedoch kein Maßstab. „Für den Wblf muß das die Hölle sein: Alle machen ihn fertig, und er hört sicher auch die Qualität von anderen Rappern heraus.“ Erfolg ist für Fischmob die Freiheit, einen Tag länger im Studio bleiben oder „mal gutes Heroin kaufen zu können“, kokettiert Koze. „Enttäuschend wäre, würde sich unser Album nur ein einziges Mal verkaufen. Dann trete ich sofort zurück. Schrödermäßig.“
Oliver Hüttmann
Als ich diese Platte erstmals gehört habe, saß ich im Auto und fuhr in Urlaub. Die Fünf Sterne deluxe erzählten von einem Trip, der sie aus der U-Bahn zu einem Mönch und über ein Reisebüro direkt zum Dalai Lama und an die Pforte des Nirvana führte: „Nirvanesen und Nirvanesinnen, ich bin froh, daß ich hier gewesen bin.“ Da wurde mir klar, daß diese vier, die sich Fünf Sterne nennen, übergeschnappt sein müssen, wie sie ihre Vorliebe für lustige Zigaretten in ebenso unterhaltsame Geschichten überführen.
„‚Sillium'“, erklärt Mastermind Tobi den Titel ihres Albums, „das ist unser Kosmos, alles was uns bewegt und bestimmt. Und wenn du den ganz stark komprimierst und auspreßt, kommt ein Harz raus, das man sich in die Ohren träufeln kann.“ Tobi, Ex-Gründungsmitglied von Fettes Brot, und Rapper Bo haben bereits als Der Tobi und das Bo bewiesen, daß ihr Humor über Pennälerreime hinaus reicht. Man kann sich austoben, und wenn man vom Blödelgedödel überrollt zu werden glaubt, hauen sie einem es mit subtilen Wortspielereien um die Ohren. Im vergangenen Jahr erweiterten sie ihr Zweierkollektiv auf Marcnesium und DJ Coolmann, die ohnehin am Erfolg mitbastelten, wechselten den Namen und starteten nochmal von vorne. Im Hause Tobi Tobsen und Co. ist jeder selbst verantwortlich und verbreitet sich der Vibe, den man von Nächten mit Freunden kennt, während der man sich über Ernie und Bert, Kindheitstraumata, nie komplett gesammelte Fußballbildchen und den lustigsten Liedern aus „Kleiner König Kalle Wirsch“ austauschte.
Fünf Sterne deluxe – das ist auch Hamburg. Hier scheint die Toleranz alternativen HipHop-Arten gegenüber größer zu sein. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir woanders dieselben Sachen machen würden“, sagt der Tobi. Vielleicht liegt es am Kiez, der Musikschaffende aller Couleur in unterschiedlichste Bars treibt. So gesellen sich zu gewachsenen Bruderschaften mit den HipHop-Punks Fischmob und dem exzellenten Ferris MC auch enge Kontakte mit eklektizistischen Bands wie Die Sterne oder Bernd Begemann. Und der Pop-Kontext ist zwischen manch fettem Beat in ihren quirligen Songs durchaus rauszuhören.
Anfangs gab es für solche Sozialkontakte kräftig Streß von den Harten und Korrekten. „Die warfen uns vor, den HipHop nicht ernst zu nehmen. Ich kann als deutsches Mittelstandskid aber nicht vom Ghetto erzählen. ,Keep it real‘ – das ist oft ein Mißverständnis. Es bedeutet: Sei so, wie du bist.“ Also, so ein Songtitel, als „HipHop Clowns“? Mitnichten. Fünf Sterne deluxe zeigen, daß man locker bleiben kann im Schritt, ohne ständig Ursachen und Konsequenzen gewichten zu müssen. Das hilft, sich vom Reimleben aus dem Sozialkundeunterricht der Sekundarstufe I zu lösen.
Stefan Kloos
Seit einigen Jahren bastelt Die Firma, bestehend aus den Kölner HipHop-Urgesteinen Fa-I der Gladiator, Def Benski und Tatwaffe, am Sprung ins Rampenlicht. Bereits der Name soll eine selbsterfüllende Prophezeiung darstellen. „Wir machen es mittlerweile ernster und wirtschaftlicher“, gesteht Tatwaffe, als seien ihre Songs an der Börse notiert. „So wollen wir wirklich eine Firma aufbauen, von der wir irgendwann leben können.“ Zumal diverse Majors an ihnen interessiert seien – einen Erfolg ihres Debüts „Spiel desLebetis/Spiel des Todes“ vorausgesetzt. Noch seien die großen Firmen aber skeptisch; Die Firma sei ihnen „zu kreativ und daher zu schwer verkäuflich“. Eine Argumentation, aus der Produzent und DJ Fader Gladiator schließt, daß der derzeitige Hip-Hop-Boom „für uns eigentlich eher erschwerend ist“.
Stolz ist er allerdings, auf großen Produktionen wie „IVu-ThngForever“
Samples aus der klassischen Musik zu entdecken; Stilelemente, mit denen er schon seit langem experimentiere. Sehr eigen, und deshalb nicht unumstritten, präsentieren die Rapper Def Benski und Tatwaffe auch ihre Texte. Der zweite Teil des Albums besteht aus Battle-Raps, chauvinistischen, wenngleich bewußt überspitzten Wortspielereien, in denen die eigene Person alles, alle anderen dagegen nichts bedeuten. Kritik an dieser lyrischen Form hält Tatwaffe für ungerecht: „Das ist nun mal Bestandteil der HipHop-Kultur: Selbstbehauptung und Identitätsfindung.“ Für Fader beruht das Mißverständnis ohnehin nur auf sprachlicher Ebene, „weil man deutsche Texte versteht“.
In anderen Songs reflektieren sie mehr oder weniger geschliffen eigene Gefühle und Gedanken. Etwa in „Nachricht aus Utopia“, in dem sie _ herrschende Verschwörungstheorien über die Illuminaten aufgreifen; jene vom Bankenhaus Rothschild angeführte ominöse Geheimloge, die angeblich die einzige echte Weltmacht ist. „Es soll zum Nachdenken anre gen“, sagt Tatwaffe – belehren wolle man nicht. Fader Gladiator hat auch profanere Ziele: „Ich muß meine Musik jetzt verkaufen.“ Denn er sieht den deutschen HipHop-Dax bereits fallen: „Für die Industrie wird es irgendwann uninteressant – und wir machen unser Ding wieder im Kellerraum.“
Frank-Michael Wellner