Heimatkunde
Ein Ausflug nach Schottland mit dem Balladensänger und Musikarchäologen Alasdair Roberts
Bevor der in gekrümmter Haltung mir gegenübersitzende Alasdair Roberts meine erste Frage beantwortet, bestellt er uns erst mal zwei Bier. Schottische natürlich. Dann erklärt er, in dem seltsam muffelnden Päckchen, das er auf dem Tisch neben sich platziert hat, befänden sich eine Flasche Wein und ein Stück Käse aus Portugal. „Ein Geschenk“, fügt er entschuldigend, fast schüchtern und – wie alles, was er sagt – sehr leise und in stark schottisch gefärbtem Akzent hinzu. Anschließend ignoriert er meine Einstiegsfrage erneut, nippt am Glas und fragt: „Are you Bavarian?“
Natürlich, die geografische Herkunft spielt in der Welt des als Sohn eines schottischen Musikers und einer deutschen Mutter im Schwäbischen geborenen Roberts eine große Rolle. Auf dem Innencover seines neuen Albums „The Amber Gatherers“ hat er eine Karte von Großbritannien gezeichnet, auf der die Songs des Albums eingezeichnet sind, als wären es Orte und auf der seine Heimat Schottland im Vergleich zum Rest des Vereinten Königreichs, um es vorsichtig zu formulieren, überproportional groß erscheint. „Das entspricht nicht den geografischen Fakten“, gibt er lachend zu. „Es ist eher meine Interpretation davon, wie Großbritannien sich anfühlt.“
Das wäre auch eine gute Definition für die Alben, die Roberts seit 1997 zunächst als Appendix Out und später unter eigenem Namen veröffentlicht hat. Platten, bei denen man zwischen englischen Balladen und von altem Liedgut inspirierten Eigenkompositionen kaum unterscheiden kann, da in Roberts‘ charakteristischer Intonation die Tradition des britischen Folk immer mitschwingt. „Das liegt wohl daran, dass ich vielen schottischen Folk-Sängern zugehört habe. Das beeinflusst mich, ob ich will oder nicht“, meint Roberts, der im Begleittext zu seinem Album „The Crook Of The Arm“ aus Roland Barthes‘ Essay „Der Tod des Autors“ zitierte. „Manchmal würde ich mir mehr melodische Freiheiten wünschen. Ob ich meinen Stil allerdings als besonders traditionell bezeichnen würde, weiß ich gar nicht. Für jemanden, der sich intensiv mit traditioneller Musik beschäftigt, klingt mein neues Album vermutlich wie eine Pop-Platte.“
Tatsächlich ist „The Amber Gatherers“ nicht ganz so düster geraten wie das von Will Oldham produzierte traditionelle Balladenalbum „No Earthly Man“ – „It doesn’t do anyone any good to be typecasted a miserabelist“, meint Roberts -, aber die neuen, ausschließlich selbstverfassten Stücke haben ihre Wurzeln immer noch tief in die britische Folktradition gegraben. Wahrscheinlich fühlt Roberts sich deswegen immer etwas unwohl, wenn man ihn als „Singer/Songwriter“ bezeichnet. „Balladensänger“ gefällt ihm besser.
Ihm gehe es darum, Geschichten zu erzählen, die den gleichen Ursprungsort haben wie er selbst, auch auf die Gefahr hin, dass sie nicht jeder sofort versteht. „Ich glaube, gerade in den USA liegt für viele potenzielle Hörer in meiner Musik vor allem der Reiz des Neuen und Anderen, aber es besitzt für sie keine wirkliche Relevanz“, gibt sich Roberts realistisch. „Ihnen fehlen die Voraussetzungen, wirklich zu verstehen, worum es da geht, weil ihnen der musikalische und geografische Hintergrund fehlt.“
Dabei liefert Alasdair Roberts doch die Karte zu „The Amber Gatherers“ gleich mit.