Heilige Hundejahre
Generationen rätselten: Gab es die sagenumwobene Band Pavlov's Dog wirklich? Sänger David Surkamp antwortet: Ja!
Letzten Sommer war das, in Wuppertal, wo sich die Leute schon die Augen gerieben hatten, als ein Auftritt der vor 30 Jahren unauffindbar verschollenen amerikanischen Band Pavlov’s Dog plakatiert worden war. „Aus Berlin kam ein Fernsehteam“, erzählt Sänger David Surkamp, „sie interviewten meine Tochter Saylor: „Wie fühlt sich das an, die Lieder deines Vaters zu singen? Das muss ja schwer sein, seit er von uns gegangen ist.“ Und Saylor sagte: „Hmm, besonders weit weggegangen ist er ja nicht. Er steht da drüben.“
Gerüchte über seinen Tod kann Surkamp, 54, auffällig viele nachweisen, obwohl er doch nie ein echter Star werden durfte und den eigentlichen Ruhm seiner Band nur vom Standstreifen aus sah. 2006 sind Pavlov’s Dog aus St. Louis ein Wanderzirkus mit acht Personen, unter anderem Surkamps Frau und Tochter und der schwer abgerockte Original-Schlagzeuger Mike Safron, der Ende der Neunziger in einer Band namens Pavlov’s Dog 2000 sang, die Surkamp „ziemlich armselig“ fand. Der Merchandising-Stand dokumentiert die wirre Geschichte, die apokryphen Alben – was Plattenfirmen verschlampten, haben die Surkamps keck gebootlegt. Safron steckt den Leuten Selbstgebrannte Pavlov’s Dog 2000-CDs zu, wenn die anderen nicht hingucken.
Das eigentliche Rätsel ist die Tatsache, dass Columbia die zwei regulären Alben nie aus dem Katalog strich, trotz des Mega-Misserfolgs 1976. „Pampered Menial“ und „At The Sound Of The Bell“ wurden später tatsächlich entdeckt, obwohl kein Rocklexikon die kurzlebige Gruppe aufnahm. Wer die völlig kontextlosen Platten hörte, war entweder schockversteinert von Surkamps greinendem, unmenschlich hohem Gesang – oder bis ins Knochenmark ergriffen vom außerirdischen Liebreiz der Lieder, von der überschwänglich arrangierten, aber wie in Kupfer gestochenen Schwermütigkeit. Die elektrische Hofkapelle von König Artus, eine von David Bowie dirigierte Prog-Pop-Band, es wusste ja keiner was. Die Musik schien schlüssig nachzuweisen, dass sie von Märchenfiguren gespielt wurde. „Wegen meines Asthmas durfte ich als Kind nie raus“, sagt David Surkamp, „deshalb las ich alle Bücher, die ich kriegen konnte. Wenn man so einen Hintergrund hat, will man später keine einfältige Musik machen. Progressive Rock hieß für mich vor allem: Die Leute denken sich was!“ Sie kamen 1973 mit zwei Keyboardern und einem Violinisten an, sie LSD-improvisierten aber nicht. „Die Zeit der Power-Trios, und wir waren zu siebt. Finanzieller Selbstmord.“ Schlagzeuger und Bassist hatten vorher für Chuck Berry gespielt, auf dessen Anwesen Surkamp oft mit seinen Schülerbands aufgetreten war – die frischen Pavlov’s Dog wurden bald als Bar-Berieselung im Chase Park Plaza Hotel in St. Louis engagiert, wo Liza Minelli die Treppe runterkam und der junge Jaco Pastorius, Mitglied der Haus-Big-Band, auf der Theke Saltos schlug. 650 000 Dollar Vorschuss gab es für die erste Platte, dann konnte es den Firmen nie schnell genug gehen, sie wieder loszuwerden.
Surkamps schrille Stimme war das Argument, warum kein Radio die Platten spielte. Ungehört vom Rest der USA, blieben Pavlov’s Dog ein Lokal-Phänomen, zu Lebzeiten zumindest, und als Columbia 1977 das dritte Album einforderte, war die Band so heruntergewirtschaftet, dass Surkamp nur noch weg wollte. „Der Keyboarder und ich klauten die Bänder, fuhren nach New York und ließen die Leute von Steely Dan und Lou Reed die restlichen Instrumente draufspielen. Sonst wären wir nie aus dem Vertrag rausgekommen.“ Als vom Bootleg gemastertes Meta-Bootleg kriegt man heute auch diese Platte von ihm. Auf einer aufregenden Fahrt durch ganz Amerika überredete Surkamp vor zwei Jahren fast alle Originalmitglieder zum Reunion-Konzert. Der Nachhall der guten Zeit war so massiv geworden, dass zum Wohltätigkeits-Gig im Juni 2004 Fans aus Japan und Australien nach St. Louis reisten – die DVD bleibt unveröffentlicht, weil zwei Musiker ihren Anteil nicht spenden wollten. Surkamp allerdings sieht sich jetzt endlich als dauerhaft öffentlichen Mann, hat schon zwei neue CDs fertig, die er bald im Eigenvertrieb herausbringt. Im Konzert aber spielt er das unsterbliche Programm – ohne Helium zu inhalieren, obwohl Plattentheken-Steher ihn im Verdacht hatten. Als er sich kürzlich den Hals spiegeln ließ, verlangte die Ehetrau vom Arzt vehement Einblick in die Krankenbildcr – sie wollte endlich sehen, ob an den Stimmbändern irgendwas komisch sei. Aber: alles normal. Noch ein Mysterium, das nur im Herzen des Hörers überlebt.