Hauptsache, die Haare liegen
Eine reifere, kurzhaarige Alanis Morrissette berichtet, wie sie sich selbst fand und dabei ein nicht ganz so gutes neues Album macht
Die entscheidende Neuigkeit über Alanis Morissette erhält man, noch bevor das Interview beginnt: Die Haare sind ab. Schon im Warteraum vor der Suite eines Hamburger Hotels zeigen Fotos die neue Morissette, da allerdings noch mit halblangem Schopf. Viele Menschen trennen sich von langen Haare ja zunächst mal nicht ganz, um dann doch bald zu erkennen, dass man auf halbem Weg nicht stehen bleiben kann – und so begrüßt mich eine freundlich lächelnde Alanis Morissette schließlich mit einem konsequenten Kurzhaarschnitt.
Der Wandel ist frappierend: Die Alanis, die ihre Haare in den frühen Jahren als Vorhang benutzte und zur lauten Band wild propellerte, weicht einer deutlich reifer wirkenden Frau. Man kann es sehen: Sie wird in diesem Jahr dreißig Jahre alt „Es war Zeit, meinen Schild herunterzulassen“, entlarvt sie sich freiwillig, während sie einen der vielen vor ihr aufgebauten exotischen Tees aufgießt, „ich habe sehr lange aus der Position des Opfers argumentiert – jetzt geht es in meinem Leben darum, Verantwortung zu übernehmen.“
Worte, die viele Menschen aufatmen lassen werden. Seit Morissette auf ihrem Debüt „Jagged Little Pill“ ihre erste Musikkarriere als kanadischer Teenie-Popstar und überhaupt alles Negative in ihrem Leben wütend ausschnaubte, wurde ihre grenzenlose Selbstreflexion für viele Beobachter zum Treppenwitz oder sogar Hassobjekt „Wenn Menschen allzu aggressiv auf meine Offenheit reagieren, scheint mir das eher etwas über sie selbst auszusagen“, kontert Morissette, „du wirst wütend, wenn ich laut über mich nachdenke – das sagt mir, dass du nicht über dich nachdenken willst Was nicht mein Problem ist“
Wenn Morissette etwas ernst meint, hat sie einen festen Blick und nickt wie zur Selbstbestätigung. Viele ihrer Antworten klingen wohl bedacht und tragen so die – beizeiten etwas unangenehme – Unangreifbarkeit eines Menschen zur Schau, der sich selbst eine Art spirituellen Durchblick attestiert. Aber so wird man vielleicht, wenn man die eigene Dämonen so rücksichtslos ans Licht zerrt „Ich beschäftige mich mit Religion und Philosophie und mit mir selbst! – nur aus einem Grund: Ich habe sehr wenig Toleranz gegenüber Schmerz.“
Nun gibt es im Leben der Alanis Morissette zwar noch offene Rechnungen und offene Wunden. Doch das neue Album, „So-Called Chaos“, soll dieselbe Alanis präsentieren wie die abgeschnittenen Haare. „Ich lerne, mich zu akzeptieren, wie ich bin“, sagt Morissette, „mein Ziel war es immer, perfekt zu sein und möglichst vielen Leuten zu gefallen, aber das bedeutete, dass ich große Teile von mir leugnen musste. Jetzt will ich meine ganze Persönlichkeit integrieren. Wenn ich etwa früher meine innere Schwäche gehasst habe, dann kann ich jetzt die große Gabe in ihr erkennen – meine Sensibilität Und ich liebe meine Sensibilität! Sie fordert mich heraus, nicht schwach zu bleiben, sondern Lieder zu schreiben, die anderen Menschen offensichtlich Mut machen.“ Für die neue Platte mietete sich Morissette in Jackson Brownes „Groove“-Studios in Santa Monica ein und stellte mit ihrer Band die Grundgerüste fürs neue, vierte Album auf, an ihrer Seite der alte Freund Tim Thorney, der Morissette 1993 die Augen für die eigenen Möglichkeiten öffnete und so den Weg zu „Jagged Little Pill“ ebnen half. „Auch wenn Songwriting für mich eine eher ungeliebte, extrem anstrengende Tätigkeit ist: Ich habe genug Vertrauen in den Prozess, um mir sicher zu sein, dass irgendwas kommen wird. Wenn’s dann soweit ist, geht alles ganz schnell.“
Ehrlich gesagt: Man kann das hören. Vieles auf „So-Called Chaos“ ist von jener seltsamen Monotonalitat geprägt, die schon seit dem zweiten Album oft halbgare Ergebnisse hervorbrachte. Wer mag, erkennt in dieser Arbeitsweise einen weiteren Ausdruck der oben genannten Prämisse, als Mensch/Künstlerin nicht unbedingt gut in jedem Fall aber vollständig zu sein. „Wenn ich einfach ich selbst bin und alles zeige, was mich ausmacht, laufe ich nicht mehr Gefahr auszuflippen, weil mich jemand kritisiert“, verteidigt sich Morissette. „Das macht mich zu einem wesentlich glücklicheren Menschen.“