Hat es Jan Böhmermann mit seinem Erdogan-Gedicht übertrieben?
Das ZDF hat den Beitrag aus „Neo Magazin Royale“ aus der Mediathek verbannt, weil man die eigenen Qualitätsstandards nicht erfüllt sah. Vielleicht lag es auch daran, dass das Gedicht von Jan Böhmermann schlicht und einfach rassistisch war. Ein Kommentar.
Jan Böhmermann las in der letzten Episode seiner Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ ein Gedicht vor, das im Anschluss an einen von türkischer Seite kritisierten Satire-Beitrag des NDR-Magazins „Extra 3“ Erdogan mit harten Bandagen anging. So forderte der Moderator den türkischen Präsidenten indirekt auf, sofort juristische Schritte gegen seine Worte einzuleiten.
Das ZDF reagierte ungewöhnlich scharf auf die so genannte ‚Schmähkritik‘ Böhmermanns und verbannte den Clip aus der eigenen Mediathek. Auf Nachfrage bestätigte der Sender: „Die Parodie im NEO MAGAZIN ROYALE vom 31. März zum Umgang des türkischen Ministerpräsidenten mit Satire entspricht nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt. Aus diesem Grund wurde die Passage aus der Sendung entfernt.“
Während viele User auf Facebook und auf Twitter mit heftiger Kritik an dem Vorgang reagierten und dies als Einknicken gegenüber den überzogenen Forderungen aus der Türkei, Satire so gut es geht zu beschneiden, empfanden, könnte es auch einfach sein, dass das ZDF hier einen völlig anderen Standpunkt hatte. So wäre es möglich, dass der Sender nach eingehender Betrachtung des vorgetragenen Gedichts zu der Ansicht gelangte, es hier schlicht und einfach mit unangemessenen rassistischen Klischees zu tun zu haben.
So heißt es in dem (lyrischen Qualitätsstandards gerade so entsprechenden) Poem:
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann der Mädchen schlägt,
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken,
und Minderheiten unterdrücken,
Kurden treten, Christen hauen,
und dabei Kinderpornos schauen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Böhmermann wies vor dem Gedicht in der Show darauf hin, dass er es eigentlich in Deutschland gar nicht vortragen dürfe, weil es eben eine Schmähkritik sei. Klar, worauf der Comedian hinauswollte: In Deutschland darf Satire im Grunde alles, in der Türkei eigentlich nichts – aber hier kommt etwas, das ist so provokant, dass es selbst in der Bundesrepublik kaum durchgehen dürfte. Das ist die Attitüde eines subversiven Schelms, eines Till Eulenspiegel, der sich auch dank eines breiten Rückhalts durch zahlreiche Fans im Netz fast alles erlauben kann. Doch schaut man sich die Versdichtung näher an, so erkennt man recht schnell, dass Erdogan auf sehr simple Art und Weise mit der Türkei gleichgesetzt wird.
Türken werden als stinkende Döner-Fresser verfemt
Noch viel problematischer ist, dass sogleich alle Türken-Klischees ausgepackt werden, die der Redaktion von „Neo Magazin Royale“ auf die Schnelle eingefallen sind. So wird natürlich vom „stinkenden Döner“ gesprochen – aber auch vom „Schweinefurz“. Dabei wird das Schwein in den Mittelpunkt gerückt, weil es im islamischen Raum als unrein gilt. Erdogan wird hier nicht als inkompetenter oder despotischer Staatsmann enttarnt, sondern wegen seiner Religion verspottet. Dass Muslime „Ziegen ficken“ ist ein weiteres, noch dazu übles Klischee, das den Türken unterstellt, auch in sexuellen Dingen Hinterwäldler und Barbaren zu sein.
Mag die Kritik an den mit europäischen Demokratie-Standards nicht zu vereinbarenden Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei sowie die von Menschenrechtlern kritisierten juristischen und militärischen Aktionen gegen Kurden und andere Minderheiten im Land nachvollziehbar sein (der äußerst platte Witz über den viel zu kleinen Schwanz des Präsidenten bleibt geschenkt), so ist es die Häufung rassistischer Vorurteile nicht.
Die Diskussion um das, was Satire darf oder nicht, findet ihr logisches Ende dort, wo sie mittels Beleidigungen keine anderen Standpunkte mehr zulässt.Überprüfen lässt sich dies durch einen ganz einfachen Schritt. Wenn man das Wort „Erdogan“ durch „Muslim“ oder gar durch „Flüchtling“ ersetzt, dann würde sich eine noch wesentlich düstere Betrachtung des Poems ergeben. Sind das nicht Parolen wie sie sonst von Pegida zu hören sind?
Böhmermanns Gedicht verfehlt als politische Kritik ihr Ziel
In der „heute-show“ hat Oliver Welke seinen Haussender für die „Zensur“ ironisch gerügt und in der Sendung vom Freitag (01. April) gesagt: „Zensur lauert überall – übrigens nicht nur in der Türkei. Zum Fall Erdogan haben wir in der vorletzten Sendung übrigens schon alles gesagt. Gibt’s die eigentlich noch in der Mediathek? Man weiß es nicht.“ Natürlich kann man sich streiten, ob es nötig war, dass das ZDF im Nachhinein reagiert und einen Beitrag aus dem Netz nimmt, der zuvor schon im Fernsehen zu sehen war. Von Zensur kann ja schon deswegen keine Rede mehr sein. Während der völlig zu Unrecht von Seiten der Türkei gescholtene „Extra 3“-Beitrag unter dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ den nicht immer eindeutigen, aber konsequenten Kriterien der Satire deutlich entspricht, arbeitet Böhmermann in seinem Erdogan-Gedicht mit stereotypen Bildern, die keine Ambivalenz mehr zulassen und als politische Kritik deutlich ihr Ziel verfehlen.
Während die politische Satire in Deutschland im Fernsehen jahrelang vom Aussterben bedroht war, gibt es seit einiger Zeit ein spürbar anziehendes Interesse an diesem hierzulande traditionell gepflegten Spezialformat der Comedy. Das dürfte zu einem Großteil an dem Publikumserfolg der „heute-show“ liegen, die Zuschauer aus allen Altersklassen und sozialen Schichten erreicht. Aber es lässt sich auch auf die erst seit einiger Zeit durchschlagenden Möglichkeiten zurückführen, über das Internet mit kurzen Clips aus einzelnen TV-Sendungen noch einmal völlig andere Konsumenten zu erreichen. So scheint aber auch eine größere Konkurrenz zu bestehen, wie man die vor allem im Netz nicht selten wankelmütige Zuschauerschar noch abholen kann, wenn das eine oder andere Format bereits einen Hit gelandet hatte.
Auf Teufel komm raus das Publikum zum Lachen bringen
Die Sehnsucht, einen Viral-Erfolg zu erzielen – so wie es Böhmermann in den letzten Monaten häufiger gelang – ist wahrscheinlich so groß, dass vor allem bei Themen, die schon von anderen Programmen mit großer Schärfe abgedeckt wurden, noch einmal eine Steigerung her muss. Die Redaktion von „Extra 3“ konnte sich nach ihrer in der Türkei gerügten Polemik stolz selbst auf die Schultern klopfen. Nach den Gesetzen des medialen Marktes kann es keine bessere Werbung für die eigene Arbeit geben. Klar, dass da die Konkurrenz nicht schlafen möchte. Womöglich ist Jan Böhmermann mit seinem Erdogan-Gedicht nur deshalb unsensibel über die Strenge geschlagen, weil er recht eifersüchtig auf den Erfolg der (ebenfalls öffentlich-rechtlichen) Kollegen schauen musste. Was ist ein Grimme-Preis für #Varoufake gegen das offizielle Einbestellen des deutschen Botschafters in der Türkei?
Nötig hat der intelligente Late-Night-Clown das allerdings nicht, erwies er sich doch in letzter Zeit mit vielen kleinen Internet-Aktionen und größeren TV-Streichen als scharfzüngiger gesellschaftlicher Beobachter. Bester Beweis war, ausgerechnet in derselben Show, seine Rammstein-Parodie. Doch deutete sich auch mehr als einmal an, dass der Zwang, im Grunde jede noch so infantile (Netz-)Debatte kommentieren und verwerten zu müssen, zu zwiespältigen und manchmal sogar geschmacklosen Ergebnissen führt.
Es stimmt (größtenteils) schon, dass Satire alles darf. Aber nicht jeder gehässige Witz kann sich hinter dem Deckmantel der Satire tarnen.