Harte Zeiten für garstige Lieder
Zur Hoch-Zeit der Liedermacher zählten sie zu den Nach Jahren des verstockten Schweigens gehen nun Stephan Sulke und Georg Danzer mit neuem Liedgut an den Start und provozieren die Frage, wer ihre wohlgesetzten Worte überhaupt noch hören will. Denn nicht nur die "garstigen Lieder" von Biermann und Degenhardt haben sich längst überlebt - auch Namen wie Hannes Wader, Reinhard Mey, Konstantin Wecker, Ludwig Hirsch oder Wolfgang Ambros scheinen heute einer prähistorischen Zeit zu entstammen...
Am Morgen des 26. Januar 1991, auf den nebelfeuchten Rheinwiesen bei Bonn, haben wir sie zum ersten Mal einen Moment lang vermisst und waren selbst ziemlich überrascht. Eine Viertelmillion Menschen fröstelte dem Tagesziel entgegen, sich für den Frieden und ergo gegen den Krieg am Golf zu bewegen. Und als sich der lange Marsch endlich durch die Gassen der einstigen Hauptstadt schob, wurde trotzdem niemand so recht warm: Den Marschieren fehlten die Lieder.
Früher war stets gesungen worden – vor Brokdorf, in Wackersdorf und noch an der Startbahn West. Nun aber fielen keinem mehr die Verse ein. Zu „Two Tribes“ oder „War“ von Frankie Goes Tb Hollywood konnte man vielleicht tanzen, aber nicht ernsten Blickes hehren Idealen huldigen. Doch die Waders und Weckers, Degenhardts und Danzers waren verstummt, seit Jahren schon, und kein Aas hatte es wirklich bemerkt Erst jetzt, da es zu spät war.
Sie sind auch seither nicht zurückgekehrt, jedenfalls nicht ins Auge jener großen Öffentlichkeit, die ihnen vor 20 Jahren noch Rosen vor die Füße schüttete, kluge Lobeshymnen dichtete und die Konten füllte. Nein, gestorben oder der schönen Profession abtrünnig geworden ist keiner der Barden, die damals die Zunft der Liedermacher im Musikgeschäft Illustration:
Brey & Erbe
erst installierten, dann etablierten. Sie nehmen noch Platten auf (und wechseln hierfür reichlich oft die Vertragspartner), sie stellen sich ins Rampenlicht und das – obwohl vor den immergleichen Claqueuren – keineswegs vor leeren Reihen, und viele von ihnen haben gar dem Engagement für eine „bessere Welt“ noch nicht abgeschworen und erfüllen brav ihre Pflicht: ein politischer Song pro Album, mindestens. Für die Hörer, die schon immer gleicher Meinung waren und dies auch bleiben werden. Applaus für „einen von uns“. Alle anderen beziehen ihre weltund tagespolitische Position aus der Harald-Schmidt-Show oder der flotten Talkrunde mit Joschka. Bei dem immerhin verstauben Waders Arbeiterlieder und Weckers „Genug ist nicht genug“ vermutlich wenigstens noch im Schrank. Neben den Turnschuhen.
„So ganz allein in meiner Welt, ich halt’s nicht aus, was mir so fehlt..“, singt Georg Danzer auf seinem jüngsten und mittlerweile 32. Album ^item^üge“, und lässt dann keine Klage über die leise bröckelnde Fangemeinde, sondern ein zart gehauchtes „…bist Du“ folgen. Schlichte Liebeslieder, wo früher Lyrik und Literatentum, Wut im Bauch und allwissende Arroganz standen? Doch halt! Ein promptes Veto aus Wien! Besser noch: eine vielleicht überfällige Lehrstunde.
„Zunächst einmal“ – der Dozent heißt Danzer „müssten wir uns doch klar darüber werden, wie und warum dieser seltsame Begriff des Liedermachers überhaupt entstanden ist“ Für ihn etwa seien damit einst vor allem Leute wie Franz Josef Degenhardt und Wolf Biermann beschreibbar gewesen, „die so ganz allein mit der Gitarre politische und soziale Themen vertonten. Musikalisch durchaus gekonnt, aber halt auch ein bisschen Friede, Freude, Plingplangplong.“ Sehr charmant. Während er „und Kollegen wie Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch oder der Konstantin“ damals ja mit richtigen Bands gearbeitet und manchmal sogar Jazzrock gespielt hätten! „Doch weil die Zeiten so friedensbewegt waren und die Leute gierig und euphorisch jede Zeile beklatschten, die auch nur im Entferntesten nach politischen Einwürfen der richtigen Provenienz roch, waren wir plötzlich alle Liedermacher.“ Und ganz unversehens stand der Danzer Georg in Zürich vor 12 000 Überzeugungstätern, obwohl er nie zu den damaligen Unruhen am Limmat-Ufer Stellung bezogen hatte. Genau darauf aber hofften die Leute jetzt.
Was allein noch nicht mal so tragisch gewesen wäre. Viel schlimmer war das Prädikat, unter dem Danzer und all seine Kollegen leider nicht nur für kurze Zeit gute Umsätze machen durften – und mit dem sie fortan leben mussten und bis dato müssen.
„Dabei trifft dieses grauenhafte Label überhaupt nicht unser Tun“, sagt auch Stephan Sulke, „denn zum einen schreiben wir ja eigentlich eher Schlager als Lieder.“ (Eine Aussage, mit der sicherlich der eine oder andere konkurrierende Dichter aus der Reserve zu locken wäre.) „Zum anderen“, und nun darf er auf breite Unterstützung hoffen, „ist ein Macher für mich ein Typ, der ’ne Firma gründet und zum Unternehmen macht. Oder so einer wie Schröder: mehr ein Handwerker eben, aber doch kein Mensch, der über einsame Sensibilität und Kreativität verfügt.“
Solange aber das Liedernwcnen dem dazugehörigen Macher, der gar keiner war, Prestige und Renommee verlieh und die Sangeshelden, sofern sie in Jeanshemd und Lederhosen derart flott und unwiderstehlich daherkamen wie Danzer und Wecker, gleich noch zu Gebietern über ein williges Heer nicht zwingend unattraktiver Groupies machten, brauchte ja noch keiner unnötige Gedanken an aufgeklebte Label verschwenden. Als aber die Mode – und das nicht einmal behutsam – aus derselben kam, schwante den Barden nichts Gutes.
„Es war 1982“, markiert Danzer die Wasserscheide so mancher – und auch der eigenen – Karriere, „da hörte ich in Spanien im Radio ,Da Da Da‘ von Trio. Ein toller Song, wie ich fand, aber irgendwie kroch in mir das mulmige Gefühl empor, dass bald jemand die Frage stellen könnte, wozu man noch den Liedermachern zuhören sollte, wenn man diese cleveren deutschen Popsongs mag.“
Da hatte Danzer wohl die eigene Fangemeinde eher noch überschätzt. Die fragte gar nicht erst, die kaufte Trio, dann noch Nena, Ideal, Joachim Witt und Hubert Kah zu Gold-Ehren – und hatte derweil ihre alten Heroen schon vergessen. Aufräumarbeiten im Lager der Intellektuellen.
„Ich kam damals schnell zu dem Schluss“, so Danzer, „dass die Leute das Über-Engagement vieler von uns nicht mehr sonderlich tolL sondern zunehmend dröge und kopflastig fanden. Wir haben ja auch wirklich oft mit erhobenem Zeigefinger und moralinsauer auf der Bühne gestanden und jedes Lachen aus dem Saal verdammt.“ Die Zuschauer gingen peu ä peu gleich hinterher.
In den Achtzigern, dem meistbeklagten und am häufigsten zum fahlen Mysterium erklärten Jahrzehnt der Popgeschichte, hatten die Liedermacher nun alle Zeit der Welt zum Nachdenken – und mancher von ihnen hat die Chance sogar genutzt. Wenngleich das Ergebnis oft genug gerade noch den Denker selbst, zu selten indes seine ambitionierten Beobachter mit Freude erfüllt. So tourt ein Reinhard Mey, seit er „die letzte Zigarette im Steh’n geraucht“ und die „Freiheit dort oben über den Wolken“ für sich entdeckt hat, zwar mit beträchtlichem Erfolg Jahr für Jahr durch die Lande (erfolgreich, weil ihm ein VW-Bus und die Gitarre Equipment genug sind) – mit neuen Visionen oder gar neuen Sounds aber mag der Methusalem des pfiffigen Spottliedes seine Kritiker nicht mehr aus der Reserve locken. Wolf Biermann lässt sich mit – nicht immer schöner – Regelmäßigkeit zu alten Mauern in Berlin und neuen in unseren Köpfen Statements abringen, die Traktate sein wollen und doch am Ende selbst die ideologisch Begüterten nerven, hat aber musikalisch längst das Altenheim bezogen, auch wenn er sich dabei mitunter in der Jugendherberge wähnt Und Hannes Wader dichtet in seinem – durch die „Internationale“ und die „Moorsoldaten“ finanzierten – Landhaus in Nordfriesland heute poetische Kleinodien, die wenigstens noch ein paar alte Revoluzzer goutieren und ihrem Komponisten einen ziemlich sorgenfreien Lebensabend verschaffen. Bella Ciao.
Auch Klaus Hoffmann, der sich einst von der „blinden Kadierina“ zu Tränen rührend ans Licht führen ließ (und nebenbei kongeniale Brei-Interpretationen in Goethes Muttersprache aus dem Hemdsärmel zog), hat sich auf seine vornehmsten Qualitäten besonnen – und präsentiert seine Liederabende heute gleich unter dem Namen Breis – mit schönen Erfolgen angesichts eines Auditoriums, das noch die Bereitschaft erkennen lässt, mit seinen Helden in Würde zu altern. Beethovens Neunte ist schließlich auch nie wirklich aus der Mode gekommen.
Ganz anders konsequent hat Stephan Sulke gehandelt „Weil ich mir zum Glück nie viele Gedanken über Erfolg und Misserfolg gemacht habe und folglich Musik nicht nach dem Kommerzialitätsprinzip schrieb“, verklärt er heute seinen jähen Abschied ein wenig, „habe ich ganz schlicht alles hingeworfen und die ersten Jahre danach ein Klavier nicht einmal mehr angesehen.“ Weshalb er den Niedergang seiner Zunft auch kaum kommentieren könne, wie Sulke diplomatisch hinzufügt, „schließlich war ich ja nicht da.“ Ein bisschen wie das Kind, das sich hinter den eigenen Händen versteckt: Wen ich nicht sehe, der sieht mich auch nicht.
Was jedoch blieb unseren Liedermachern mit musikalischen Ambitionen übrig? „Wenn ich es grundsätzlich sagen soll“, so Danzer, „bleibt uns doch überhaupt keine andere Chance als die Veränderung. Ein Tümpel mit dem immer gleichen Wasser wird brackig und fangt an zu stinken.“ Was natürlich auch ein Mick Jagger sagen könnte, wenn er sich nach „Satisfaction“ und „Jumpin‘ Jack Flash“ den Schweiß von der Stirn wischt und vor 100000 zahlenden Gästen verbeugt».
Doch wenn Danzer sagt, er wage „lieber ein Experiment, das im Sande verläuft, als gar keines mehr zu wagen“, dann assistiert ihm dabei sein Album Atemzüge“ höchst vortrefflich. Einflüsse, die in der Branche lieber ab „Inspirationen“ gehandelt werden, haben den Österreicher hier Funk, HipHop und juvenilen Pop zur Melange der wahrlich besonderen Art mischen lassen – fragt sich jetzt nur noch, wer das auch hören wilL Dass es sich durchaus lohnt, ist dieser Tage nurmehr ein schwaches Argument. Und dass Danzer eingesteht, „die Veränderung nicht krampfhaft zu suchen, aber stets offen für sie“ zu sein – bloß ein gängiges Statement mehr. „Ich gehe doch auch nicht mit offener Hose in eine Bar, um eine Frau kennenzulernen. Da setzt man sich lieber still an den Tresen und schaut, was sich vielleicht so anbietet.“ Ein nettes Rezept – aber am Ende womöglich auch eines, mit dem sich Musik heutzutage verkaufen lässt?
Dem steht dann vermutlich doch immer und immer wieder das verhasste Prädikat im Weg. „Ich habe mich ja schon vor 25 Jahren gefragt“, gibt Danzer zu Protokoll, „weshalb einem Udo Lindenberg, den ich übrigens sehr schätze, niemals diese Bleiweste angelegt wurde. Der ist doch im Grunde ebenso Liedermacher wie ich oder der Konstantin, aber er durfte von der ersten Zeile an Rockmusiker sein.“ Und nicht bloß er – wie Danzer, einmal in Fahrt gekommen, zu berichten weiß. „Auch ein Grönemeyer schreibt Verse, die ihn eigentlich in unser Lager treiben müssten, genau wie Westernhagen, Kunze, Maffay auch.“ Aber sie kommen nicht, lassen die Liedermacher einfach mutterseelenallein in ihrem Unglück.
Was natürlich – und eigentlich hatten wir’s schon geahnt – ein krasses Defizit unserer maroden Medienlandschaft ist „Ich will ja gar nicht den unbestreitbaren Charme einer Verona Feldbusch in Abrede stellen, wenn sie den Spinat nach seinem Blubb fragt“, sagt Danzer, „aber wenn deshalb alle zum Spielverderber erklärt werden, die dem puren Spaß noch ein wenig Sinn hinzufugen möchten – und wenn diese Spielverderber dann automatisch Die Liedermacher sind, krieg ich selbstverständlich ein kleines Problem.“
„Ein großes“ zu sagen wäre wohl ehrlicher. Mit der Medienszene nämlich mögen sich Danzer wie Wecker absolut nicht anfreunden. „Ich habe das ungute Gefühl“, so Danzer, „dass die Leute sich gnadenlos amüsieren, auch wenn sie im Hinterkopf wissen, dass es stetig bergab geht. Und das immer schneller, aber wenigstens unheimlich lustig.“
Konstantin Wecker fasst seine aktuelle Gesellschafts-Kritik noch ein wenig garstiger: „Man muss eindeutig sehen, dass die Regierung Kohl das Land schlicht verdummt hat Ich weiß nicht, wie sie’s geschafft hat, aber sie hat und wollte es offenbar wohl auch. Und die Medien präsentieren nichts anderes als ein bisschen Fun und Vergnügen, solange das die Hausfrau nicht beim Bügeln stört Am Erstaunlichsten aber finde ich, dass in dieser ängstlichen Gesellschaft von den Intellektuellen nichts mehr kommt, vor allem nichts Angreifbares. Unsere früheren Meinungsverkünder benehmen sich nurmehr wie Politiker im Wahlkampf; bevor da einer was sagt, achtet er darauf, auch garantiert die Mehrheit hinter sich zu haben. Es muss sich endlich wieder das Urbedürfhis der Menschheit breitmachen, nach dem Sinn des Lebens zu fragen! Statt dessen werden
wir von den Medien zugeschüttet, man könnte auch sagen: zugeschissen mit schlechtem Rundfunk und Fernsehen in den immer gleichen Formaten.“
Das zeugt zumindest von ungetrübter Hoflhung auf eine Veränderung zum Positiven. Was die Zunft der Liedermacher betrifft, gibt es dafür allerdings wenig Hoffnung. „Auf uns lastet doch der Anspruch“, sagt Danzer, „überall zu sagen: Ich bin politisch, ich bin links.“ Eine Chiffre allerdings, die heute gar nichts mehr zähle, „denn links ist mittlerweile ein lauwarmes Fußbad, was für Leute mit Ikea-Regalen, die in Wecker-Konzerten noch immer nach dem ,Willi‘ rufen und von mir ,Gebt uns endlich Frieden‘ einfordern, weil sie sich seit 20 Jahren jeder Bewegung im Geiste verweigern.“
Davon müsse man sich lösen können – was selbstredend nicht unbedingt zu den einfachen Dingen des Lebens zähle. „Ich zum Beispiel interessiere mich für Freundeskreis oder Fettes Brot ebenso wie für die Experimente eines Herbert Grönemeyers oder die Songs der Alanis Morissette“, sagt Danzer, „während mich alte Helden wie die Eagles nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken können.“ Es sei schlicht „ein absoluter Schmarrn“, dass man im Kopf trotz fortgeschrittenen Alters nicht mehr jung bleiben kann.“ Schön zu erfahren – aber nur in seltenen Momenten auch adäquat nachzuvollziehen.
Anstatt sich beim neidischen Blick auf die „neuen“ deutschen Liedermacher aus der HipHop-Szene dort auch gleich etwas abzugucken, schmoren die Troubadoure lieber weiter im eigenen Saft. Kein kollegiales Netzwerk bündelt und verschickt frische Ideen oder lässt solche überhaupt entstehen; das Internet dient, wo es überhaupt genutzt wird, zur Ankündigung der nächsten Konzerttermine. In den Medien wird nur noch über „die Anderen“ berichtet, weil es über Deutschlands Liedermacher kaum noch etwas zu berichten gibt. Wecker wird zweimal Vater, vertont im Brecht-Jahr völlig überraschend Brecht und schreibt Musik zu Jutta Richters Kindergedichten oder Lukas, dem Lokomotivführer. Knapp an der Sensation vorbei. Und findet er dann und wann die alten Notenblätter und trägt sie auf eine Bühne, steht anderntags im Regionalblatt: „Mit Liebesliedern singt sich Wecker in die Herzen der steirischen Frauen“. Reinhard Mey posiert nackt mit der Klampfe gegen die Tierfell-Verwertung und lehnt seine „Echo“-Nominierung brüsk ab, weil es dort die Sparte „Liedermacher“ gar nicht erst gibt und man ihn gegen die Schlagerhansel ins Rennen schicken will. Und Hannes Wader bekennt sich in aller Öffentlichkeit, die ihm geblieben ist, zum Immobilienbesitz in Nordfriesland und gesteht die Notwendigkeit des Geldverdienens ein. Die Magazine lichten trotzdem lieber Wolfgang Schäuble ab, der sich zu Maßanzügen bekennt und für dasselbe Bekenntnis den neuen Kanzler rügt.
Das sind Schlagzeilen, da überschlagen sich die Ereignisse! Und wenn jetzt Sondersendungen über den Kleinkrieg zwischen einer sächsischen Maschendrahtzaun-Eignerin und dem benachbarten Knallerbsenstrauch-Besitzer das Abendprogramm der Privaten gestalten, dann würden auch wir uns zuweilen gern gemeinsam mit den Liedermachern vergraben. Früher hätte ein Georg Danzer dann vielleicht sein „Aufstehn!“ gesungen – und alles wäre gut gewesen.
„Gerade das war ja der Irrtum“, sagt nun der postkathartische Künstler. „Die Leute haben sich natürlich auch deshalb von uns abgewandt, weil die ganze schöne Agitation zu nichts geführt hat Die Pershings wurden trotzdem stationiert, Kriege hat man trotzdem geführt. Und irgendwann hatten die Leute das sorgenvolle und freudlose Warten aufs Ende satt und haben lieber damit angefangen, sich zu amüsieren.“ Und deshalb war man damals gegen 99 bunte Luftballons machtlos und ist dies heute gegen die Unterhaltungs-Armada aus all den Raabs und Horns und Schröders und Fischers noch viel mehr.
Doch weil der Mensch noch aus der Niederlage Kraft zu schöpfen vermag, ist die Götterdämmerung am Liedermacherhimmel bislang der Nacht noch nicht gewichen. Zu Esoterikern, leisen Poeten und auch begeisterten Familienvätern sind sie geworden, zu Heimwerkern im musikalischen Experimentierlabor, zu bitteren oder weisen oder resignierten oder gutgläubigen Männern, aber ans Aufgeben denkt keiner von ihnen. Konstantin Wfecker wird zwar den „Willi“ nie wieder singen, hat sich aber nach überwundener Kokainsucht von seinen Söhnen Valentin-Balthasar und Tamino-Gabriel zum hochproduktiven Kinderlied-Autoren wandeln lassen; Danzer hat nach heftig beklatschten Auftritten mit den Kollegen Ambras und Fendrich als „Austria 3“ lieber wieder zum Rückzug aus dem Erfolgsdruck geblasen – und aus dem Off meldet sich doch tatsächlich dieser Tage nach zwölf stimmschonenden Jahren Stephan Sulke mit neuem Album zurück, um nach seiner Klientel aus Rotweintrinkern und Bankangestellten zu suchen. „Das war ungefähr so“, erklärt der 56-Jährige den ewig jungen Drang ins Rampenlicht, „wie das unstillbare Verlangen, aufs Klo zu gehen. Irgendwann hält man’s einfach nicht mehr aus, und so habe ich nun also den Kampf um die deutsche Sprache wieder aufgenommen.“ Mehr noch: Sulkes neues Werk „moll 6′-/wr“enthält zwar vorsichtshalber mit „HeDuDa“ und „Uschi“ zwei – freilich aufgefrischte – Klassiker, mit dem Rest der Songs aber und zumal mit deren musikalischen Ambitionen können auch treue Fans kaum auditives Memory spielen: Loops, Samples, Rap, „vielleicht habe ich manchmal ein Stück übers Ziel hinausgeschossen“, ahnt Sulke, „aber wer heute noch Cembalo spielt und den Synthesizer ignoriert, der ist wirklich antik.“
Und weil sich solch schöne Bilder immer auch mit den alten Helden rahmen lassen, erzählt Sulke noch rasch die Anekdote von Mr. Dylan, „der ja damals seine Gitarre an einen Verstärker anschloß und den Buhrufern ein ,fuck up, you get the same lyrics!‘ entgegenhielt.“ Na, wenn das kein Kronzeuge ist.
Wenigstens wird Sulke bei seinen Konzerten nicht in die Gesichter alter Fans blicken müssen, die fieberhaft nach dem lyrisch verpackten Politikum und nach Gebrauchsanweisungen für den staatsbürgerlichen Alltag suchen. „Politik hat mich immer so sehr interessiert“, fabuliert Sulke, „dass sie mich als Sänger einen Scheißdreck interessiert hat.“ Und wenn nun Wecker & Co. ein Problem mit dem Anspruch ihres Publikums hätten, „dann ist das nicht meines. Ich fand es schon damals seltsam, wenn sich Leute, die kaum ihre Miete zahlen können, von Typen, die im 600er Mercedes vorfahren und sich dann ihren Brioni-Anzug glattstreichen, diese ganze soziale Kacke predigen lassen. Soviel kann ich doch gar nicht kotzen!“ Da trägt er den eigenen Brioni lieber ganz nonchalant und singt eben etwas andere Lieder – pardon, Schlager. Wenn bloß diese verfluchte, eherne Hürde nicht wäre, wenn man doch nur den „Liedermacher“ aus den Pressetexten, Medien und Köpfen löschen könnte! Italien hat seine Cantautori, Amerika liebt seine Singer/Songwriter. Aber in Deutschland – klar dochmusste man sensible Künstler betiteln, als führten sie ein grobes Handwerk aus. Der goldene Boden ist Schnee von gestern, und so wie ein Schuhmacher auch nicht plötzlich dreieckige Fußbekleidung fertigen kann, „gestattet man uns keine Veränderung, die wir doch bitter nötig hätten“, klagt Danzer. „Machen wir was Neues, wirft man uns Anbiederung vor, machen wir Altes, heißt es: ,Der kann auch nichts anderes‘.“ Das Rezept indes, mit dem es sich Danzer – und mit ihm wohl etliche Kollegen – in der Sackgasse leidlich bequem gemacht haben, täte nicht wenigen Musikanten gut: „Ich nehme einfach jedes Album so auf, als wäre es mein letztes.“ Nur der Traum aus Kinderzeiten, der wird wohl nie mehr in Erfüllung gehen. „Eigentlich wollte ich ja der neue Elvis werden, aber da muss ich wohl irgendwas falsch gemacht haben.“ «0