Harder than the rest
Hardcore-Königin Jenna Jameson hat ihre Autobiographie geschrieben: "Pornostar"
Egal, ob in der U-Bahn oder in der Disco, im letzten Jahr sah man immer wieder dieses schwarze T-Shirt mit dem verheißungsvoll glitzernden Aufdruck „Pornostar“. Die Tragerinnen waren keinesfalls schamlose Luder, sondern ganz normale Mädchen, die einen Tag vorher vermutlich noch das Portrait von Che Guevara auf der Brust trugen – oder den Namen „Franz Ferdinand“.
„Pornostar“, so heißt auch die 640 Seiten dicke Autobiographie von Jenna Jameson, die im Alter von 20 Jahren, nach einer schiefgelaufenen Beziehung und zu vielen schlechten Drogen und Pin-Up-Fotos, den Vorsatz faßte, „der größte Pornostar zu werden, den die Branche je gesehen hat“. Ein Jahrzehnt später hat die zierliche Blondine mit den großen Plastik-Möpsen ihr Ziel erreicht: Sie hat in 85 Hardcore-Sex-Filme mitgespielt, den Porno-Oscar gewonnen, unzählige „Hustler“- und .Penthouse“- Ausgaben bereichert, und ihr lustvolles Stöhnen gibt es natürlich auch als Klingelton. Jenna Jameson ist die am häufigsten heruntergeladene Person der Welt“, jubelte die „New York Times“ bereits letztes Jahr anläßlich des Erscheinens der amerikanischen Ausgabe namens „How To Make Love Like A Pornstar“.
Natürlich ist Jenna Jameson genauso wenig in der Lage, einen unterhaltsamen Bestseller zu schreiben, wie Dieter Bohlen. Doch immerhin hat sie den besseren Ghostwriter, den ROLLING STONE-Autor und Musikkritiker der „New York Times“ Neil Strauss. Wer dessen wüste Mötley Crüe-Biographie „The Dirt“ kennt oder das Marilyn Manson-Epos „The Long Hard Road Out Of Hell“, hat bereits eine ungefähre Vorstellung davon, was einen in „Pornostar“ erwartet. Die Mythen des amerikanischen Traums werden mit der Realität von LA., kurzgeschlossen: Von der 17jährigen vergewaltigten, gedemütigten und Speed schniefenden Stripperin boxt sich Jenna durch zur millionenschweren, selbstbewußten Geschäftsführerin des Porno-Imperiums „Clubjenna“.
In verschiedenen Formaten -Comics, Interviews, Tagebuch-Einträgen, Bekenntnissen, Erzählungen und (relativ jugendfreien) Fotos – tauchen wir ein in den desillusionierenden Alltag einer Porno-Schauspielerin: „Nur eine Hand voll Frauen sehen beim Vögeln gut aus: Im Grunde hat jede Darstellerin kleine Speckröllchen hier und da. Die meisten Mädchen leiden irgendwann unter Eßstörungen, weil sie es nicht aushalten, sich ständig nackt und schwabbelnd vor der Kamera zu sehen. Und da wir schon von ungeschütztem Kontakt gesprochen haben: Am Set werden ständig Körperflüssigkeiten ausgetauscht, so daß sich das Immunsystem ständig gegen Schnupfen und Grippeattacken wehren muß. Man wird krank. Permanent fühlt man sich abgespannt. Und langweilig ist es oftmals auch, denn die Stunden können sich hinziehen, bis man seine Szene hat“. 3000 Dollar im Monat hat Jenna anfangs für diese humorvoll – aber nicht beschönigend – nacherzählte Plackerei bekommen. Auf zusätzliche Einnahmen pro Szene – zum Beispiel 250 Dollar für heterosexuellen Analverkehr, 650 Dollar für dreifache Penetration – hat sie stets verzichtet. Aus gutem Grund, auch wenn das Thema AIDS hier kaum angesprochen wird.
Erschienen ist „Pornostar“ im Heyne Verlag, der mit dieser in jeder Beziehung außergewöhnlichen Autobiografie seine Reihe „Heyne Hardcore“ offiziell eröffnet. Unter den sieben Titeln des ersten Programms finden sich vier belletristische Bücher und drei Sachbücher – extreme Ware zwischen Sex, Gewalt und Rock’n’Roll. „The Dirt“ ist hier erstmals als Taschenbuch erschienen, ebenso „Die Wahrheit über Deep Throat“ mit der beklemmenden Anklage von Linda Lovelace, sie sei vor laufender Kamera vergewaltigt worden. „Evil“ von Jack Ketchum und „Blutdurst“ von Jonathan Nasaw stehen dagegen für einen anderen Psycho-Horror. Für Heyne-Lektor Markus Naegele ist es wichtig, mit dieser ansprechend und edel gestalteten Reihe das Trash-Umfeld zu verlassen, in dem solche Veröffentlichungen hierzulande in der Regel immer noch stehen – elf Jahre nach „Pulp Fiction“. Ob man „Ich ergebe mich“, das literarische Loblied der Autorin Toni Bentley auf die Freuden des Analsex, jetzt haben muß oder nicht, mag jeder selbst entscheiden. Die Mädchen in den „Pornostar“-T-Shirts täten allerdings gut daran, erst mal bei Jenna Jameson nachzuschlagen.