Hannes Rossacher und Rudi Dolezal blättern in der Arte-Reihe „Get Up Stand Up“ mal wieder im Bilderbuch von Pop und Politik – eine schwer nostalgieselige Fleißarbeit
Gegen die Reformpläne der rot-grünen Koalition haben sich Hunderttausende erhoben. Kein Tag vergeht ohne gewaltige Aufmärsche Entrüsteter, die antreten gegen eine rigide Asylpolitik, gegen Ausländerhass, die angekündigte Rentenkürzung und bürokratische Gängelung des Individuums. Stets eint die Demonstranten ein Lied, das ihrem Protest Worte und Melodie gibt. „We Have A Dream“ singen sie, eine Komposition des bekannt aufmüpfigen Musikrevolutionärs Dieter Bohlen. Gewaltig klingt es durch die Straßen und schüchtert gar die in Kompaniestärke angetretenen Polizeitruppen ein. Behutsam ziehen sie sich zurück, beeindruckt von der Kraft der Musik, und es scheint, als erhörte langsam auch die Regierung, was da von der Straße herauftönt.
Heimlich übt der selten einer populistischen Maßnahme abgeneigte Kanzler schon die Melodie, mit der er sich an die Spitze der Bewegung stellen will: „We Have A Dream“.
Was heute lediglich wie eine absurde Episode aus einem schlechten Roman klingt, war schon einmal Wirklichkeit. Man muss das betonen, weil viele Pop nur noch als verlängerten Handlungsarm einer Industrie kennen, als wirkungslose Begleitmelodie im Fahrstuhl des Lebens. All denen scheint eine sechsteilige Dokumentation gewidmet, die Hannes Rossacher und Rudi Dolezal für den Kulturkanal Arte in Szene gesetzt haben. Ob die als Zielgruppe ausgemachten Ahnungslosen zuschauen werden, ist indes unklar, denn die „Get Up Stand Up“ betitelte Reihe gibt sich keinen besonders aktuellen Anstrich, vermeidet weitgehend den Ausblick und hält sich, was die Beurteilung der Gegenwart angeht, vornehm zurück. „Die Geschichte von Pop und Politik“ heißt es in der Unterzeile und macht gleich klar, dass hier in erster Linie in der Historie geblättert werden soll. Wer nur starr zurückblickt, landet leicht in der Nostalgie-Falle. In die tapsen auch die DoRos, und so ist „Get Up Stand Up“ vor allem eine vielseitige Zeitreise für all jene, die früher mal dabei waren oder wenigstens das Geschehen aus der Ferne intetessiert verfolgt haben. Sie werden quer durch den Garten ihrer musikalischen Entwicklung geführt und sollten sich vorsichtshalber mal einen großen Spiegel und ein paar Jugendfotos neben den Fernseher stellen. Damit sie nicht allzu sehr erschrecken, wenn sie arg gealterte Akteure erblicken, die im Vergleich zu ihrem früheren Abbild ein bisschen wirken wie Inge Meysel neben Heidi Klum. Ein Blick in den Spiegel und auf die Fotos hilft dann bei der Einordnung und bewahrt die Mattscheiben-Akteure davor, allein der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden.
Lächerlichkeit ist schließlich das letzte, was diese Dokumentation gebrauchen kann. Sie sucht einen ernsthaften Zugang zum Verhältnis von Pop und Politik und hat sich daher für die Aufteilung in sechs Kategorien entschieden.
Mit „Next Stop Vietnam“ geht es los (29. November, 2235 Uhr), der wohl üppigsten Folge der Reihe. In einer Stunde geht es da durch ein Pop-Panoptikum, und jede Menge Zeitzeugen kommen zu Wort. Musiker, Schauspieler, Journalisten sind aufgeboten, ihre Meinungsfetzen ins Große und Ganze einzufügen. Man sieht Pete Seeger, Arlo Guthrie, Donovan, Joan Baez, Roger McGuinn, wie sie früher agierten und wie sie heute über das sprechen, was damals war. „Diese Lieder haben uns eine Stimme gegeben“, sagt Martin Sheen einmal und schafft damit noch die schlüssigste Erklärung für die Wirksamkeit von Pop.
Weil die Reihe für Arte produziert wurde, muss natürlich immer auch die deutsche und die gallische Perspektive beleuchtet werden, was ziemlich aufgesetzt wirkt, weil man sich stets fragt, warum man beispielsweise nichts aus Italien oder Schweden hört.
Direkt im Anschluss an die erste läuft die zweite Folge. Sie tragt den Titel „We Shall Overcome“ und belegt, wie ein Lied half beim Kampf um die Menschenrechte. In „Fight The Power“ (2. Dezember, 23 Uhr) geht es um das Thema Pop gegen Establishment, in „Say It Loud“ (9. Dezember, 23 Uhr) um den Kampf der Schwarzen. In Folge fünf, „We Are The World“ (16. Dezember, 23 Uhr), dreht sich alles um musikalische Wohltätigkeit, und die Schlussfolge „What’s Going On“ zeigt, wie Politik Pop instrumentalisiert.