Haltet mal die Zeit an
Seit 28 Jahren sind Yo La tengo eine Indie-Institution. Nun hat das Trio aus Hoboken eine der besten Platten in seinem ohnehin eindrucksvollen Werk vorgelegt
Zu hause ist das licht aus. Hurrikan Sandy hat das Apartment von Ira Kaplan und Georgia Hubley in Hoboken, New Jersey nicht zerstört (es liegt im zweiten Stock), aber der Strom ist weg, das Erdgeschoss überflutet. Kaplan, der sich auf Interviewreise in Europa befindet, telefoniert mehrmals täglich mit seiner Ehefrau und Trommlerin, um das Neueste von zu Hause zu erfahren. Sie hat zumeist gute Nachrichten: Die meisten Freunde sind glimpflich davongekommen und mittlerweile an Orte gereist, an denen der Strom noch fließt. Denn in Hoboken fließt nur noch das Wasser.
Hoboken ist ein identitätsstiftender Ort für Yo La Tengo. Zwar lebt Bassist James McNew in Brooklyn, doch in Hoboken konzentrieren sich viele der Aktivitäten der Band. Hier ist der Live-Club Maxwell’s, in dem Yo La Tengo ihre alljährlichen Hanukkah-Festivals veranstalten, hier ist die mit ihnen befreundete Radiostation WFMU, für die die Band regelmäßig mit Wunschkonzerten Spenden sammelt – wie überhaupt diverse Wohltätigkeitsorganisationen von den Aktivitäten insbesondere des Ehepaars Kaplan/Hubley profitieren. „Einige der Musiker, mit denen wir uns unseren Proberaum teilen, sind politisch im Stadtteil aktiver als wir – vieles geht mittlerweile an uns vorbei“, sagt Kaplan, „aber wir hissen nach wie vor gern unsere Hoboken-Flagge und engagieren uns für die Nachbarschaft.“
Für ihr neues Werk verließen die Indie-Altvorderen ihren Heimatort in Richtung Chicago. Gemeinsam mit Tortoise-Macher John McEntire entstand ein Album, über das Ira Kaplan vor allem eines zu sagen hat: dass es kurz ist. Auf früheren Platten waren einige Songs zehn Minuten und länger, dengelten repetitiv vor sich hin. Der Popsong, die Kürze lagen den Musikern nicht. Velvet Underground bildeten stets den Hintergrund ihrer sonischen Exkursionen. Nein, das Knappe war schwierig: „Daran sind wir oft gescheitert. Entweder haben wir zu viele Lieder aufgenommen oder sie waren zu lang. Zehn recht kurze Lieder: Das ist eine ziemliche Leistung.“
Wir haben zu „Fade“ noch mehr zu sagen: dass es ein wunderschön summendes, warmherziges und manchmal fast meditatives Album ist. Dass Yo La Tengo vielleicht noch nie so kompakt und ausgewogen geklungen haben. Dass es tolle Streicherarrangements gibt, aber natürlich auch diese eigenwillige Art, die Instrumente zu vermischen – bei Yo La Tengo macht der Mix aus einem Lied ja nicht selten ein ganz anderes, wenn die akustische Gitarre ganz weit vorne steht und das Lied dahinter plötzlich wie ein Traum wirkt, oder wenn die laut spielende Band nur scheinbar im Widerspruch zum zarten Gesang steht. „Die Regel ist, dass wir nicht fertig sind, bis wir fertig sind“, sagt Kaplan. „Ein Lied kann sich jederzeit verwandeln – wir wollen nicht vorher wissen, wie es geht, sondern es erkennen, wenn wir es hören.“
Mit dieser Haltung wurden Yo La Tengo zur Lieblingsband vieler Kritiker und zur vorbildhaften Indie-Band – ein Status, an dem sich auch 28 Jahre nach Gründung nicht viel geändert hat. „Es macht mich stolz, dass die Leute so über uns denken – aber das heißt nicht, dass ich selbst auch so über uns denke“, relativiert Kaplan. „Wenn ich das Lob sehr ernst nehmen würde, müsste ich ja auch diejenigen ernst nehmen, die sagen, dass wir vielleicht vor 20 Jahren mal ganz gut waren, jetzt aber total überflüssig sind.“
Womöglich ist dies das Thema von „Fade“: die vergehenden Jahre, die flüchtige Zeit. Kaplan dichtet intime Sätze, in denen es zugeich um tiefe Verbundenheit und Distanz geht. Doch nur als Assoziation – was Yo La Tengo bedeuten, muss man selbst entscheiden. „Gut möglich, dass das hier ein sehr persönliches Album ist, aber ich werde es dir nicht sagen“, wehrt Kaplan ab. „Wir sind keine Band für große Worte – eher für kleine Details und kurze Momente. Wer uns zuhört, kann etwas Eigenes mit diesen Momenten machen. Es spielt keine Rolle, was ich mit den Liedern meine.“