Hallo – hier ist Folker!
Rock'n'Roll-Schwerstarbeiter Paul Westerberg hat möglicherweise einen neuen Musikstil erfunden
Auf lange Sicht gesehen – wer wird wohl das Rennen machen, die Goo Goo Dolls oder ich?“ hatte Paul Westerberg vor fast zehn Jahren selbstbewusst gefragt, und die Zeit scheint ihm Recht zu geben. Während viele der Grunge-Helden, die sich vor einem Jahrzehnt maßgeblich von Westerbergs alter Band Replacements beeinflussen ließen, inzwischen zu einer Fußnote der Musikhistorie degradiert worden sind, ist Westerberg immer noch da.
Fünf Alben veröffentlichte er solo und mit dem rumpelnden Blues-Ableger Grandpaboy allein in den vergangenen zwei Jahren. Die neue Platte „Folker“ mag kein Klassiker vom Schlage „Tim“sein – charmant sind die oft leicht windschiefen, aber stets ergreifenden und dieses Mal teils persönlich gefärbten Songs allemal. Nach seinem schrittweisen Rückzug aus dem kommerziell geprägten Rock’n’Roll-Business überrascht Paul Westerberg nun mit der Ankündigung, den Soundtrack zu dem 88-Millionen-Dollar-Animationsfilm „Open Season“ beizusteuern. „Ganz ehrlich: Wenn von meiner neuen Platte eine halbe Million Exemplare verkauft würden, müsste ich das nicht machen. Einen derartigen Job nehme ich definitiv vor allem wegen des Geldes an“, sagt er ehrlich. „Das gibt mir die Chance, danach dem Business wieder den Rücken zu kehren und genau die Art von Songs aufzunehmen, die ich machen möchte.“
Songs, die Westerberg an die Idole seiner Jugend erinnern, an die Rolling Stones, Rod Stewart oder Bob Dylan. Gerade dessen Frühwerk hinterließ auf „Folker“ hörbare Spuren. „Wenn ich auf meiner Akustikgitarre spiele, würde mich sicher niemand als Folksänger bezeichnen, denn ich bin ein Rocker, der Folksongs spielt Trotzdem war es mir auf der neuen Platte wichtig, den Songs nur ein Minimum an Bass- und Schlagzeugbegleitung mitzugeben und so die Texte für die Abwechslung sorgen zu lassen wie in der Folkmusik.“
Sich noch weiter in Richtung Folk zu bewegen, kommt für den 44-Jährigen allerdings nicht in Frage. „Ich glaube, dass ich inzwischen meine eigene Richtung gefunden habe. Wer weiß, vielleicht wird ‚Folker‘ ja zu einem Schlagwort für all die Musiker, die Musik spielen, die sich wie Rock’n’Roll anfühlt, aber ohne den Bombast und den überschüssigen Ballast des scheinheiligen Rock’n’Roll, dem wir seit Jahren ausgesetzt sind!“
Im Klartext bedeutet das: Während sich Westerberg auf dem frühen Replacements-Meilenstein „Let It Be“ von 1984 ungeschminkt zeigte, weil er es nicht besser wusste, ist die Echtheit und Direktheit seiner Songs heute weise Absicht.