„Hallelujah“: Der Song, der Leonard Cohen überlebte
Egal wo sich Leute versammeln, um zu feiern oder zu trauern – „Hallelujah“ ist immer schon da.
So kam es, dass der 24-jährige Scotty Moorhead, der ein Jahr zuvor nach New York gezogen war, als Gitarrentechniker für die Commitments jobbte, gelegentlich in Bands und bei Studiosessions Gitarre spielte und Harmonien sang, unter dem Namen Jeff Buckley in der St. Ann’s Church begleitet unter anderem von Gary Lucas und Greg Cohen vier Lieder seines Vaters sang. Seine engelhafte Stimme klang wie die Chorknabenversion der oft durchaus diabolischen von Buckley dem Älteren. Beim letzten Stück, „Once I Was“, das er allein zur akustischen Gitarre sang, riss eine Saite und er brachte das Stück a cappella zu Ende. Das Lied wurde zu einer intimen Zwiesprache zwischen Vater und Sohn: „Do you ever remember meeeee?“
Die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums gefiel Buckley, und er verschaffte sich auf Vermittlung von Commitments-Gitarrist Glen Hansard einen Gig in dem irischen Café Sin-é im East Village, wo er einmal pro Woche solo auftrat und Coverversionen seiner liebsten Songs von Led Zeppelin, Van Morrison, Bob Dylan und Billie Holiday sang. Die St.-Ann’s-Kuratorinnen Nichols und Feldman gehörten oft zu den Gästen und gingen danach noch was trinken. Als sie eines Abends spät in Feldmans Wohnung saßen, zog diese „I’m Your Fan“ aus dem Regal und spielte den letzten Song: Cales „Hallelujah“. Buckley borgte sich die Platte und lernte den Song, der wenig später der absolute Höhepunkt jedes seiner Konzerte werden sollte und ihm schließlich einen Plattenvertrag bei ebenjenem Label einbrachte, das den Song ursprünglich abgelehnt hatte: Columbia Records.
„Freut mich, dass der Song so oft gecovert wird. Aber man sollte ihn eine Weile nicht mehr singen.“
Zwangsläufig fand „Hallelujah“ sich dann auch auf seinem heute legendären Debüt, „Grace“. Der Song hatte wieder seine Form geändert. Buckley sang den gleichen Text wie Cale, aber statt der harten Klavier-Arpeggios hörte man nun eine fließende, melodische Gitarre. Der Sänger war nicht länger verzweifelt oder desillusioniert, sondern verträumt und jung und von großer erotischer Anziehung. Auch wenn Stephanie Zacharek das in ihrer Drei-Sterne-Besprechung für den US‐ROLLING‐STONE anders sah. „Der Gesang des jungen Buckley ist nicht immer überzeugend“, schrieb sie. „Er klingt nicht angeschlagen oder verzweifelt genug, um Cohens ‚Hallelujah‘ zu singen.“
„Grace“ war nach der Veröffentlichung im August 1994 nicht sonderlich erfolgreich, aber Buckley stellte auf der anschließenden, mehrere Jahre dauernden Tour einer neuen Generation von Musikfans „Hallelujah“ vor. Und wenige Tage nach Buckleys tragischem Tod durch Ertrinken in einem Nebenkanal des Mississippi im Mai 1997 stimmte auch Bono bei einem Benefizkonzert im New Yorker Downing Stadium vor 50.000 Fans am Ende des U2‐Sets zu seinen Ehren „Hallelujah“ an.
Nachdem am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers gerast waren, zeigte der Musiksender VH1 einen Clip in Dauerrotation, der die Bilder der rauchenden Ruinen zeigte. Dazu lief Jeff Buckleys „Hallelujah“. Man konnte darin einen Akt der Trauer sehen, auch wenn die Zeilen „Maybe there’s a god above/ As for me, all I’ve ever seemed to learn from love/ Is how to shoot at someone who outdrew ya“ in diesem Kontext eher nach Vergeltung klangen. Aber vermutlich hörte niemand so genau hin. Der Clip war wohl der Versuch, die Aura des Songs zu retten. Denn die Welt konnte „Hallelujah“ zu diesem Zeitpunkt aus einem ganz anderen Kontext: aus „Shrek“, einem irre erfolgreichen Animationsfilm der DreamWorks-Studios. Nachdem der titelgebende grünfarbige, knuffige, sich selbst hässlich fühlende und etwas tumbe Held eine schöne Prinzessin aus einem von einem Drachen bewachten Turm befreit und ihrem zukünftigen Ehemann übergeben hatte, um sich liebeskrank in seinen Heimatsumpf zurückzuziehen, quengelte Cale eine gekürzte Version von „Hallelujah“. König David war noch da, der Sänger der „used to live alone before I knew you“ auch, der Sex war gestrichen. Für alle, die nicht wussten, wer John Cale war, klang das wie eine ungefährliche und zahme Version, die in einem Kinderfilm gut aufgehoben war. Wer „Hallelujah“ in seine Hochzeitsfeier einbaut, denkt dabei an „Shrek“. Wer es auf einer Beerdigung spielt (wie etwa Linkin-Park-Sänger Chester Bennington im Mai 2017, als sein Freund Chris Cornell zu Grabe getragen wurde) oder am Rande einer nationalen Tragödie (nachdem im November 2016 feststand, dass Donald Trump neuer US‐Präsident werden würde, sah man in der Comedy-Show „Saturday Night Live“ die Komikerin Kate McKinnon in der Rolle der Wahlverliererin Hillary Clinton „Hallelujah“ singen), denkt vermutlich eher an den früh verstorbenen Jeff Buckley.