„Hallelujah“: Der Song, der Leonard Cohen überlebte
Egal wo sich Leute versammeln, um zu feiern oder zu trauern – „Hallelujah“ ist immer schon da.
Lissauer war, wie er nun in der Dokumentation erzählt, ziemlich irritiert. „Ich dachte: Jeez, das ist wie ‚Kurt Weill trifft …‘ Irgendwie Berlin in den Dreißigern. Ich dachte, er nimmt mich auf den Arm. Ich meine, es ging hier um ein Leonard-Cohen-Album, das musste delikat und ernsthaft und tiefgründig und historisch sein. Aber das klang wie Post-Disco-Electro-Zeug.“ Die etwas billig klingenden Eighties-Synthesizer hört man auch auf dem Albumtrack, den die beiden im Sommer 1983 im Quadrasonic Sound an der Seventh Avenue in Manhattan aufnahmen. Es wirkt geradezu komisch, wenn nach der Erwähnung von König Davids heiligem Akkord wie zur Illustration ein sehr profaner Keyboardakkord ertönt. Aber Cohens seit dem letzten Album um einige Zigarettenstangen tiefer gewordene Stimme, die gar nicht mehr den Versuch unternimmt zu singen, und der helle Chor, in dem die Cohen-Vertraute Jennifer Warnes mitsingt, geben dem Song so viel Gravitas, dass man diese Cheesiness und Albernheit als selbstironische Brechung goutieren kann. John Lissauer erzählte später oft, wie zufrieden er mit dem Ergebnis der Studioarbeit gewesen sei.
Er war sich sicher, dass das Album, das den Titel „Various Positions“ tragen sollte, der Plattenfirma gefallen würde. Doch der neue Chef von Columbia Records, Walter Yetnikoff, war kein großer Cohen-Fan. „Ich besuchte den CEO von Columbia Records“, erzählte Cohen später. „Zunächst prüfte er kritisch meinen Anzug. Dann sagte er: ‚Leonard, we know you’re great, but we don’t know if you’re any good.‘“ Man kann heute darüber lachen, dass Yetnikoff die Größe dieses Albums nicht erkannte, auf dem sich mit „Dance Me To The End Of Love“, „Heart With No Companion“, „Coming Back To You“, „If It Be Your Will“ und „Hallelujah“ eine Handvoll späterer Cohen-Klassiker befanden. Aber fairerweise muss man sagen, dass Cohen seinerzeit keineswegs Klassikerstatus hatte. Seine auch schon eine Weile zurückliegenden letzten Alben hatten sich von Mal zu Mal schlechter verkauft. „Recent Songs“ hatte es nicht mal mehr in die Charts geschafft – außer ausgerechnet in Österreich und Deutschland. The world didn’t really care for Cohen, did it?
Cohen war fünfzig Jahre alt, und selbst die Synthesizer auf seinen neuen Aufnahmen klangen ziemlich altertümlich. Es half auch nicht, dass der eingängigste Song von König David handelte. „Various Positions“ war nicht das nächste „Thriller“, das auch weit über ein Jahr nach der Veröffentlichung wie ein Untoter immer wieder auf Platz 1 der Charts kletterte. Yetnikoff lehnte das Album ab. Seine europäischen Kollegen waren gnädiger, sodass „Various Positions“ Ende Dezember 1984 schließlich auf CBS in Europa erschien. In den USA erbarmte sich ein paar Monate später das kleine Label Passport aus South Plainfield/New Jersey, wo im selben Jahr ein Solowerk des Ex-New-York-Dolls-Sängers David Johansen und das letzte Album von Todd Rundgrens Band Utopia zu den populärsten Veröffentlichungen zählten. Don Shewey schrieb für den ROLLING STONE eine lauwarme Besprechung, in der er ein paar Songs positiv hervorhob. „Hallelujah“ war nicht darunter. Der Song war schon vergessen, als er veröffentlicht wurde.
Nur einer hatte genau zugehört: Bob Dylan. Als der sich im Sommer 1988 auf eine Tour begab, die die Odyssee wie eine gut organisierte Kaffeefahrt erscheinen lassen würde, spielte er den Song in Montreal und Los Angeles. Schon ein Jahr zuvor hatte er Cohen bei einem Treffen in einem Pariser Café erzählt, wie sehr er „Hallelujah“ schätzte – vor allem die hoffnungsvolle letzte Strophe. Cohen erklärte, der Song habe ihn Jahre seines Lebens gekostet, und er fragte Dylan, wie lange er für „I And I“, einen Song von „Infidels“, den er verehrte, gebraucht habe. Dylan habe, so Cohen später, nur mit den Schultern gezuckt und gemurmelt: „I dunno. Fifteen minutes?“
„Leonard, wir wissen, dass du großartig bist, aber wir wissen nicht, ob du auch gut bist.“
Cohen dürfte seinerzeit verschwiegen haben, dass er eigentlich immer noch an „Hallelujah“ schrieb. Schon als er 1985 auf Tour ging, hatte er immer wieder Strophen gestrichen und neue ergänzt. Als er den Song 1988 für ein Fernsehspecial aufnahm, war das Lied kaum wiederzuerkennen. Er hatte es stark verlangsamt, und vom Text der Albumversion war nur noch die letzte Strophe übrig geblieben. Die Bibelreferenzen waren alle gestrichen. Es ging nun um weltliche Dinge. Am Anfang stand das Ende einer Beziehung. „Baby, I’ve been here before/ I know this room, I’ve walked this floor/ I used to live alone before I knew you“, sang Cohen fast trotzig. Aber die Erinnerung an den Sex mit der Ex war ihm noch heilig. „I remember when I moved in you/ And the holy dove was moving too/ And every breath we drew was Hallelujah.“ Er wolle sich nicht beschweren, sang er nun, aber er sei kein Pilger, der das Licht gesehen habe – „no, it’s a cold and it’s a very lonely Hallelujah!“