Haldern Pop Festival – Rees-Haldern, Alter Reitplatz
Auch in diesem Jahr war das Haldern Pop Festival wieder ein zuverlässiger Wegweiser durch den Indie-Morast - und sogar Hollywood war vertreten
Das Haldern Pop Festival war immer das Festival für Menschen, die Festivals eigentlich nicht mögen. Weil es so schön klein und übersichtlich war, weil die Bands nicht zum Mitgrölen taugten, weil die Fans dieser Bands gut erzogen waren, weil die Helfer und selbst die Security so nett waren, weil man von allen Klischees, die man normalerweise auffahren würde, um seine extreme Abneigung gegen diese Art der Camping-Festspiele kund zu tun, verschont blieb. Und dann das: Regen, Schlamm, Kälte – Glastonbury-Wetter. Und plötzlich schien jedes Festival-Stereotyp auch in dem kleinen Dörfchen am Niederhein seinen Platz zu haben. Mädchen, die „No rain, no rain“ riefen und „Let The Sunshine In“ sangen, mülltütenbehangene Kreaturen, Jungmänner, die sich vorsätzlich im Schlamm suhlten, – nur wenige zählten auf den besten Freund des Menschen: den Ostfriesennerz.
Eine eher an dunkle Clubs gewöhnte Band wie Art Brut hatte es da gleich zu Anfang äußerst schwer, die klatschnasse Meute unter den Schirmen hervorzuholen. „Formed A Band“ war natürlich der erste Song – auch wenn man ein bißchen brauchte, diese fünf Menschen auf der Bühne als Band wahrzunehmen. Zwei von ihnen trugen casual Indie-Look, die anderen drei im Anzug mit zugeknöpftem Hemd. Sänger Eddie Argos wirkte mit seinem Schnauzbart und seinen ironisierten Ansagen, die jedes Mal in ein ,Are you ready, Art Brut?‘ endeten, an John Cleese. Die Popavantgarde hatte ihren Spaß, der Rest blieb etwas ratlos zurück. Die Kaiser Chiefs wirkten dagegen bereits wie alte Festivalhasen. Sie schienen sich auf der großen Bühne wohler zu fühlen als in mittelgroßen Hallen. Tatsächlich haben ihre Songs ein beträchtliches Mitsing- und Mithüpf-Potential, das vom begossenen Publikum dankbar angenommen wurde. Unter solch widrigen Bedingungen hilft nur der Rausch. Die Sonne zeigte sich kurz.
Weniger dionysische Bands wie Nada Surf und Kaizers Orchestra wurden da im Anschluß (bei wiedereinsetzendem Regen) von vielen ausgelassen. Zu Franz Ferdinand zog es alle wieder aus ihren Notunterkünften auf den Festplatz. „Michael“ machte den Anfang. Mit Spannung erwartete neue Songs wurden eingestreut, zackiger, härter als die bekannten Stücke. Ein teilweise Jetlag-bedingt recht fahriger Auftritt. Keiner weiß, welcher Melodie Sänger Alex Kapranos da folgte, als seine Band „Take Me Out“ spielte. Die ausgelassenen British Sea Power performten in der Nacht im trockenen ROLLING STONE-Spiegelzelt weitaus rauschhafter.
Am Nachmittag des nächsten Tages der Regen machte das, was er am besten kann: fallen – tönten gerade die ersten Töne von The Corals „Pass It On“ über den Platz, als ich mich wieder in den Schlamm begab. Nun kam zum Woodstock-Schlamm auch noch Musik a la 1969. Stilecht. Der Weg zu den zeitgleich im Spiegelzelt spielenden Magic Numbers ward mir durch die ohne Gummistiefel nicht überbrückbare Schlicklandschaft versperrt.
Als die Sonne über der Bühne erstrahlte, hatte sich das Programm von den Endöoern in die 70er bewegt. Moneybrother gaben Springsteeneskes für all die, die „Born Tb Run“ mehr lieben als den Soulfolk von „Devils And Dust“. Phoenix führten anschließend mit einem ungewöhnlich rumpelnden Auftritt – und Regen, Regen, Regen – in die 80er. Hinter der Bühne versteckte sich derweil Sofia Coppola-Freundin von Phoenix-Sänger Thomas Mars – unter einem blauen Kapuzensweater und genoß die Wonnen niederrheinischer Küche.
Trocken spielten Tocotronic ihre „kleine Performance“ (Dirk von Lowtzow) herunter. Lowtows Gesang war ein dunkles, metapherngetränktes Raunen, und wie die Fans vor jedem Schritt auf der Suche nach einem halbwegs sicheren Auftritt zu Boden schauten, übten sich Tocotronic musikalisch ebenfalls im Shoegazing, bevor das Set mit Sonic Youth-Feedback zum Abschluß kam. „Gott segne euch“, verabschiedete sich Mystiker Lowtzow noch. Der ließ sich nicht lumpen und schickte eimerweise Weihwasser auf die Gemeinde, die zu der Zeit schon hauptsächlich aus pitschnassen, ungeduldigen Mädchen bestand, die auf die Jüngelchen von Mando Diao warteten (den Kalauer mit den „feuchten Höschen“ überlasse ich Ihnen).
Während Mando Diao die Fräuleins zappeln ließen, bebte der Boden des Spiegelzeltes unter der tanzenden Menge – Indie-Disco zum Aufwärmen, um sich dann für Polyphonic Spree noch einmal in die Pampe zu trauen. Tim De-Laughter hatte sein gesamtes, etwa 30köpfiges Ensemble mitgebracht, das in türkisfarbenen Kutten dem Regengott huldigte. Amüsant, gegen das grandiose Haldern-Finale im letzten Jahr mit The Divine Comedy und großem Orchester jedoch ein Schlag ins Wasser. Doch der krönende Abschluß wartete ja noch im Spiegelzelt. Nach der schüchtern plaudernden Emiliana Torrini zeigte die betörende Francoiz Breut noch einmal, warum wir uns jedes Jahr wieder auf dieses Festival freuen – weil es so hinreißende Musik sonst im Sommer nirgendwo zu hören gibt.