Hände hoch und Ohren auf!
Wie Pam Grier aka „Jackie Brown“ einen ahnungslosen Twen in die Geheimnisse der schwarzen Musik einweihte…
Es kam nicht oft vor, aber es kam vor, dass sich in eine unserer bevorzugten Land-Rock-Discos, die dann JollyJoker, Panopticum, Moorkater oder gleich Schlucklum in Lucklum hießen und ihren Standortnachteil also nicht mal im Namen verbergen konnten, ein schwarzer Mann, noch seltener: eine schwarze Frau verirrte. Und es gab immer einen Maurer am Nebentisch, den das Klinkern im Akkord unter der tiefstehenden norddeutschen Sonne oder das Dutzend Herrengedecke danach stumpf im Schädel hatte werden lassen. „Hier Näscha, Bänänsche!“
Mit Maurern legte man sich besser nicht an, zumal als lebensuntüchtiger Gymnasiast, das wussten wir, hätten es aber nur zu gern getan. Denn wenn es einen Vorteil hat, den wichtigsten Teil seiner Sozialisation in den späten Siebzigern und Achtzigern hinter sich gebracht zu haben, dann den, von Ex-Revoluzzern, Apo-Sympathisanten und Institutionenmarschierern im Schuldienst einen entschiedenen Anti-Chauvinismus und Anti-Rassismus eingebläut bekommen zu haben: Übrigens noch etwas, das in dem wohlfeilen, redundanten 68er-Bashing von Götz Aly (dt. Journalist, Anm. d. Red.) und anderen naturgemäß keine Rolle spielt. An diesen menschenfreundlichen Axiomen musste man sich nicht erst selbst abarbeiten, die bekam man gewissermaßen gratis. Das waren die Basics, hinter die man nicht mehr zurückkonnte.
Kurzum, ich hatte ein positives Vorurteil. So wie man beim Fußballgucken über sich selbst peinlich berührt war, weil man im Stillen den Endsieg der deutschen Nationalmannschaft herbeisehnte – das ist nur die andere Seite der Medaille -, so gab man sich betont kosmopolitisch, wenn der Schwarze an der Bar neben einem stand, verkrampfte nachgerade dabei, ihm nicht den Eindruck zu vermitteln, man sei einer von denen, die Ressentiments gegen seine Hautfarbe hegten.
Ein positives Vorurteil ist besser als ein negatives, aber es bleibt eben immer noch ein Vorurteil – und ist also auch immer noch im Kern rassistisch -, weil es den individuellen Anderen immer nur als Teil des Kollektivs wahrnimmt. Man räumt ihm nicht die volle Gleichberechtigung ein, denn dazu gehört nun einmal, dass man ihn seiner individuellen Eigenschaften wegen mögen oder auch nicht mögen darf.
Mein Verhältnis zu schwarzer Musik – und wie ich vermute, nicht nur meins – war ähnlich unlocker. Einerseits zwar fraglos positiv konnotiert, aber andererseits auch kontaminiert von einer gewissen Befangenheit.
Alles kein Problem, solange das, was einem an die Ohren drang, dem eigenen Gusto halbwegs gemäß war. An Soul-Altvorderen wie den Stax-Ikonen Otis Redding, Isaac Hayes, Wilson Pickett, den Motown-Helden Marvin Gaye, den Temptations und Edwin Starr, an Ike & Tina Turner, James Brown, Ray Charles, den Disco-Chanteusen Donna Summer, Amii Stewart und Sister Sledge, an den Funk-Maniacs George Clinton, Kool Et The Gang, Prince usw. usw. kam man nicht vorbei, und noch viel weniger an Michael Jackson, weil das nun mal die zeitgenössische Tonspur war, auf der man unweigerlich mitlief. Weil man einen größeren Bruder hatte, oder auch weil John Landis in „Blues Brothers“ (1980) noch einmal sehr schön und nachvollziehbar auf den Punkt brachte, was schwarze Musik der Prä-Disco-Ära zu bieten hatte. Das nahm ich wahr und hin, das schlug sich jedoch bemerkenswerterweise kaum in meiner Plattensammlung nieder. Nun gut, „Thriller“ besaß jeder, und sei es auch nur als Kassettenkopie, für „Purple Rain“ und „ign 0′ The Times“ von Prince, für Hayes‘ Soundtrack von „Three Tough Guys“, den „Coffy“-Score von Roy Ayers, Living Colours „Vivid“, ein paar „That’s Soul“-Sampler muss man sich nicht unbedingt schämen, für die Barry-White-Anthologie schon eher und noch vieles andere, was hier besser unerwähnt bleibt. Aber das ganz Unsortierte und Zufällige in dieser Abteilung demonstriert ja auch, dass man sich hier nicht ganz zuständig fühlte. Immerhin, mindestens drei erleuchtende Erlebnisse mit schwarzer Musik haben sich mir eingeprägt und sich dann tatsächlich auch in diversen Tonträgern manifestiert – und man möge jetzt bitte keine exquisiten Avantgarde-Artefakte erwarten, nicht bei meinem Allerweltsgeschmack.
Das erste war ein „Konzert“ von Jimi Hendrix Mitte der achtziger Jahre – nämlich auf einer Garagen-Party, die wegen eines Jahrhundert-Julis nach draußen verlegt wurde, die dann irgendwann dem Ende zuging, als der Morgen anbrach und die Vögel zu zwitschern begannen. Die Musik war schon eine Weile aus gewesen, wir hingen in den Seilen, zögerten einfach den Aufbruch immer noch etwas hinaus, um dem Gastgeber dann noch beim Aufräumen zu helfen – und plötzlich, in diese freundlich-pantheistische Weltumarmungs-Stimmung brach
ein kontemplatives, in sich selbst versunkenes, nur mit einem Flanging-Effekt aufgeschminktes Fingerpicking, das sich nicht entscheiden zu können schien, ob es ein Riff oder lieber ein Solo werden wollte, das alles in einem war und tatsächlich so klang, als säße der Gitarrist direkt vor einem. „Little Wing“, wurde mir beschieden, als man mich da stehen sah, zum Stillleben mutiert, auf eine geheimnisvolle Weise nostalgisch angerührt, durchglüht von einem anachronistischen Zeitgeist, für den man eigentlich zu spät geboren war. Daran erinnerte ich mich, als ich in einer der vielen Reminiszenzen zum 68er-Geburtstag las, dass man zwar rekonstruieren könne, wie damals argumentiert und gedacht wurde, aber der Spirit, also das, was emotional gelaufen sei, nur in der Musik und zwar vor allem – laut Klaus Theweleit und Günter Amendt – in der von Hendrix erfahrbar sei. Die zweite Ausgießung des heiligen schwarzen Geistes erfolgte auf einem richtigen Open-Air-Konzert im Göttinger Fußballstadion, ebenfalls tief in den achtziger Jahren. Fury In The Slaughterhouse, Status Quo und diverse andere, nicht mehr erinnerliche, jedenfalls schon damals irgendwie b-prominente Acts lieferten ihre Sets ab, über die sich so seliges Vergessen gelegt hat, dass man sich fragen müsste, warum man überhaupt dort war – wenn nicht Mother’s Finest den Abend illuminiert, die klobige, ungelenke weiße Masse vor der Bühne in ein rastloses, agiles, gefährlich fauchendes Tier verwandelt hätte. Das, was hier vor sich ging, war schwarze Hexenkunst. Joyce Kennedy, zwischen lasziver Anmache und Black-Proud-Unnahbarkeit oszillierend, und Glenn Murdoch, der ruchlose Straßenprediger, ließen ihre düstere Seele zu diesem amorphen Wesen überwandern, während Wizards Bass den puren Stoff durch seine Adern pumpte, ein Groove so monströs, als sei das der Herzschlag einer uralten Tiergottheit. Revoluzzern, Apo-Sympathisanten und Institutionenmarschierern im Schuldienst einen entschiedenen Anti-Chauvinismus und Anti-Zum dritten Quasi-Transzendenzerlebnis verhalf mir Quentin Tarantino, der wie immer und so auch bei seiner omnireferenziellen Blaxploitation-Hommage „Jackie Brown“ ein untrügliches Gespür beim Casting offenbarte – indem er die beiden fast vergessenen, aber sehr würdigen Ex-B-Movie-Stars Pam Grier und Robert Forster reanimierte – und zugleich auch das absolute Gehör für den Soundtrack. Der ganze Film steckt voller kleiner Entdeckungen und Preziosen im Soul- und Funk-Fach. Und Tarantino winkt hübsch ironisch mit dem Zaunpfahl, wenn er Jackie Brown bei der ersten Begegnung mit ihrem straßenweisen und trotzdem menschenfreundlichen Kautionsvermittler Max Cherry eine Platte auflegen lässt, Cherry bald drauf nachfragt, was er da zu hören bekomme (The Delfonicsl), um dann später im Kaufhaus nach dem betreffenden Album zu suchen.
Wirklich überirdisch ist dann jedoch die lange, meditative Schlusssequenz. Jackie Brown hat sie alle überlistet, die Cops, den heimtückischen, über Leichen gehenden Waffenschmuggler Ordell, sie hat ihren Seelenverwandten Max gefragt, ob er sich ihr nicht anschließen und mit den 500.000 Dollar irgendwo neu anfangen wolle, aber der hat einen Job zu tun! Also setzt sie sich in Ordells Mercedes und fährt los. Die Kamera zoomt sich ganz nah heran, saugt sich fest an diesem leicht verträumten, wunderschönen Gesicht – Tarantino hatte sich offensichtlich verliebt darin, wie könnte er nicht? -, und dann legt sich Bobby Womacks mit apart gezügelter Passion gecroonter Soulfunk „Across 110th Street“ darum wie eine Aura aus akustischem Blattgold, um diese Ikone endgültig zu sakralisieren. Und irgendwann, die Zeit hat längst aufgehört zu existieren, bewegen sich ihre Lippen zum Chorus und sprechen das pragmatische Glaubensbekenntnis mit: „Across 11Oth Street / Pimps trying to catch a woman that’s weak / Across 110th Street / Pushers won’t let the junkie go free / Across 11Oth Street / Woman trying to catch a trick on the street, ooh baby …“
Aber wie gesagt, mein Verhältnis zur schwarzen Musik wurde problematisch, irgendwie unentspannt, wenn sie kaum mehr als ein Achselzucken zeitigte. Beim Delta-Blues etwa. Man ließ sich ja gern von Greil Marcus in „Mystery Train“ belehren, dass Robert Johnson „noch immer der emotional hingebungsvollste Bluessänger“ sei, der „wie eine ganze Rock’n’Roll-Band“ klingen könne, „so satt wie Elvis‘ erste Combo oder wie die Gruppe, die Bob Dylan für die John Wesley Harding‘-Sessions zusammengeholt hatte, und kraftvoller als beide“ – man las das gern, allein, es fehlte der Glaube. Es ließ sich nämlich nicht in Einklang bringen mit den eigenen Hörerfahrungen. Ich habe mehrere Anläufe genommen, einfach weil ich es nicht wahrhaben wollte, wie mir diese Musik am Arsch vorbeiging, nicht nur mit Robert Johnson, auch mit Son House, Skip James, Bukka White, Mississppi John Hurt, Bessie Smith: Stets war das ein arg langweiliges Unterfangen. Nur ein paar energetische Muddy-Waters-Passagen aus den „Fathers-And-Sons“-Sessions und einige Aufnahmen von John Lee Hooker hatten Bestand vor meinen Banausenohren, und also log man sich meistens in die eigenen Tasche, wenn man mal gefragt wurde.
Fast noch schmerzlicher wurde es dann in den Neunzigern, als sich Rap und HipHop nicht mehr richtig ignorieren ließen. Man zog ja durchaus den Hut vor den Ghettokids, die in einer nicht genug zu würdigenden Zivilisationsleistung die gewalttätig ausgetragenen Bandenrivalitäten umwidmeten in kreative Wettkämpfe und so in relativ kurzer Zeit eine deviante, differenzierte, also mit Breakdance, Graffiti und Rap verschiedene Kunstformen bedienende Subkultur schufen, die dann auch bald ihren Underground-Status verlor und die Jugendkultur im globalen Maßstab infizierte. Und auch wenn
man die elegante Handhabung des Binnenreims und so manche metrische Ausgefuchstheit bei Ice-T, Chuck D. oder KRS-One theoretisch zu taxieren wusste, es gab einem nichts. Höchstens zu denken. Denn zur Angst, ein konservativer alter Sack zu sein, den die Musikgeschichte im Begriff war hinter sich zu lassen – was als Popjournalist gleichbedeutend mit dem Antrag auf Frührente war -, gesellte sich die Befürchtung, es existiere eben tatsächlich eine ganz andere afro-amerikanische Kultur, zu der ich als Mitte der sechziger Jahre geborenes, mitteleuropäisches Weißbrot mit den dazu gehörigen Sozialisationserfahrungen so recht keinen Zugang hatte. Das durfte nun erst recht nicht sein, denn damit hätte man ja doch wieder einem latenten kulturellen Rassismus das Wort geredet, mit dem man partout nichts zu tun haben wollte. Und so versuchte man also sein intuitives Missfallen nachträglich zu rationalisieren – monierte durchaus zu Recht die emanzipatorischen Defizite im HipHop, das obsolete Virilitätsideal, den penetranten Machismo, die abgeschmackte Goldkettchenprotzerei. Das alles ist zwar auch gut verkäufliche Imagepflege – so lukrativ deshalb, weil alle, die es nötig haben, hier ihre geschrumpfte Männlichkeit bequem-symbolisch, ohne all diese Geräte verlängert bekommen -, aber eben nicht nur. So gibt es zwar mit Queen Latifah, MCLyte, Missy Elliott und Lauryn Hill oder deren deutsche Wiedergängerinnen Aziza-A und Pyranja durchaus ein paar Rapperinnen, aber der HipHop-Alltag kennt Frauen immer noch vor allem als leichtgeschürzte Chicks, die sich scharenweise vor der Riesenbanane in den Staub werfen.
Obschon das alles stimmt, mein fehlendes Rap-Verständnis geht viel tiefer. Mir fehlt offenbar der neurologische Resonanzboden, den diese Musik zum Schwingen bringt, das alles entscheidende Eiweißmolekül an der richtigen Stelle des DNA-Strangs mithin, das die Anklangsnerven entsprechend sensibilisiert hätte. So Schlusssequenz. Jackie Brown hat sie alle ziehe ich mich hier gern als akustisch Benachteiligter aus der Affäre. Und allein die Tatsache, dass es genügend Weiße sogar meines Jahrgangs gibt, deren Ohren besser funktionieren, von den Jüngeren gar nicht zu reden, beruhigt mich etwas.