H.R. Kunze
Angesichts des eher schütteren Erfolgs des singenden Denkers Heinz Rudolf Kunze ließ der Geschäftsführer seiner Plattenfirma vor der Präsentation der neuen Platte „Korrekt“ vorsichtshalber eine Grußbotschaft übermitteln: Mit dem „Oberlehrer“ müsse Schluß sein, man habe es mit dem „deutschen Randy Newman„, mehr noch aber „mit dem deutschen Heinz Rudolf Kunze“, „mit einem der wenigen verbleibenden“ Talente in einer „Trash-Kultur“ zu tun. So geht es seit Jahren: Während Kunze verzweifelt laviert und seine Anhängerschaft zuletzt in immer kleinere Clubs paßte, wird die Wortdrechselei stetig steiler, die Musik – die Kunze gemeinsam mit dem Gitarristen Heiner Lürig komponiert – beliebiger, aber auch irrwitziger. Korrekt, kaputt – wer weiß das schon? Äußerlich ähnelt Kunze heute dem sehr späten Rainer Werner Fassbinder.
Du bist ja nicht an Äußerlichkeiten interessiert – aber wie kommt’s zu diesem Bart?
Lürig: Das kann sich schon morgen wieder ändern. Ich kenne den Heinz schon so lange, das geht mal so, mal so bei ihm.
Kunze: Es gab eine gewisse Langeweile beim Blick in den Spiegel. Ich mach mir nicht sooo viele Gedanken über Fragen des Image. Das ist für mich kein Hauptgesichtspunkt. Aber ein Freund hat mir empfohlen, einen Hut aufzusetzen, den ich jetzt auch auf der Bühne trage. Keine Melone im eigentlichen Sinn, sondern eher so ein Leichenbestatterhut. Da hab ich gedacht, ein paar Fusseln könnten nicht schaden.
Lürig: Erinnert mich ein bißchen an Fassbinder.
Kunze: Und das ist ja sicher nichts Schlechtes.
Hoffentlich nimmst Du nicht dieselben Drogen wie er.
Nee, außer Alkohol nichts. Außerdem ist er nicht so alt geworden wie ich.
Lürig: Haste eigentlich auch die Platte gehört?
Danach müßt Ihr immer fragen? Lürig: Die Kampagne ist noch ganz frisch, da muß man ja mal fragen.
Ist die letzte Platte immer die beste?
Kunze: Nein, bestimmt nicht. Aber ich habe ja noch nie eine Platte mit schlechtem Gewissen veröffentlicht. Mir ist jede Platte, wenn sie erscheint wichtig. Im Rückblick sieht man die Dinge etwas anders. Es gibt da keine gradlinig ansteigende Formkurve. Ja, wir haben sicher auch einige Fehler gemacht, etwa bei „Alter ego“, das will ich gar nicht abstreiten.
„Der schwere Mut“ von 1983 ist mir die liebste.
Lürig & Kunze: Ha! Das sagen seltsamerweise fast alle!
Kunze: „Der schwere Mut“ ist nämlich meine schlechteste Platte!
Du kokettierst.
Nein, wirklich, mit der habe ich die meisten Schwierigkeiten. Ich find sie nicht so gut. Aus dieser Zeit liebe ich die zweite – eine gute Momentaufnahme, wie wir damals waren. „Ausnahmezustand“, „Brille“, auf jeden Fall „Draufgänger“ und „Richter Skala“.
„Draufgänger“ war wohl Deine Neil Young-Phase. Die scheint abgeschlossen zu sein.
Ja. Es wäre unglaubwürdig, wenn ich so lange dran kleben würde. Ich habe in meinem Leben so viele verschiedene Musik gehört, daß es absoluter Unsinn wäre, mich nur an einer Adresse zu orientieren.
Neuerdings ist von Roxy Music als Einfluß zu lesen, gar von Genesis.
Damit bin ich ja aufgewachsen, die Siebziger waren meine Prägungs-Phase. Ich bin 42 Jahre alt. Ich gehöre zu denjenigen Leuten, die zugeben, daß Art-Rock nicht völlig verkehrt war. Es gab zwar Exzesse bei Emerson, Lake & Palmer, aber auch die hatten Momente, die fand ich Klasse. Das erste Album etwa. Das war die Zeit, von 15 bis 18, in der die entscheidenden Dingen passierten. Die wird man nicht mehr los. Ich bin aufgewachsen mit einer totalen Anglo-Prägung in der Musik. Das Amerikanische habe ich ganz spät entdeckt.
Nicht, daß es noch sehr interessiert, aber darf ich nochmals nach der von Dir vorgeschlagenen Deutsch-Quote im Radio fragen? Ist das Projekt abgeschlossen?
Definitiv. Das ist vorbei.
War denn alles ein Mißverständnis?
Da haben wohl einige offenkundig viel mißverstanden. Ich fand es auch ein bißchen unfair, daß im ROLLING STONE der Bluthund Wiglaf Droste auf mich losgelassen wurde. In der Sache bleibe ich dabei.
Kränkt es Dich, wenn man Dich einen Schlagersänger nennt?
Dessen bin ich ja defintiv unverdächtig. Das sagen manche, weil ich bei Dieter Thomas Heck auftrete, der übrigens ein sehr netter Zeitgenosse ist. Der kümmert sich und spricht vor der Sendung mit jedem. Ich verstehe mich sehr gut mit Dieter, ich gehe da gern hin. Ein absolut integrer Mann, der zu Unrecht diffamiert wird.
Lürig: Das Umfeld finden manche verdächtig, daß da etwa Nicki auftritt.
Kunze: Übrigens zählt Nicole zu unseren Fans. Die hat uns mal hinter der Bühne besucht und kommt oft zu unseren Konzerten, hat sie mir erzählt. Die ist sehr nett.
Vielleicht kannst Du ihr ja mal ein Lied schreiben. „Der Wald vor lauter Bäumen“, ein Song vom neuen Album, gilt als Dein Kommentar zur Walser-Debatte. Was ist Deine Position?
Ich sage Dir nichts Neues, wenn ich sage, daß ich voll hinter ihm stehe. Die Vorwürfe sind lächerlich. Ihn in den Faschismus-Verdacht zu bringen, ist Unsinn, unter der Gürtellinie. Es stimmt einfach nicht. Ich glaube, ich habe fast alles gelesen, was der Mann geschrieben hat. Er ist unverdächtig.
Walsers „Springenden Brunnen“ hast Du wohl schon beendet?
Habe ich, ja. Gerade ausgelesen.
Befürwortest Du das geplante Holocaust-Mahnmal? Wollen wir das, daß jeden zweiten Tag in den „heute“-Nachrichten Bilder von angesprayten Stelen und Neo-Nazis zu sehen sind? Ich glaube, das wollen wir nicht.
Das sagt Helmut Schmidt auch: „Da wird gesprüht, da verstecken sich Dealer.“