Gute Reime, neu gelesen
Für das Hörbuch Faust vs. Mephisto legten sich Thomas D. und Bela B. ordentlich ins Zeug. Ein "Wortduell" wurde es trotzdem nicht
Schon mal mit zwei am ganzen Körper tätowierten Rock- und HipHop-Stars in einem Hotelzimmer gesessen und über Goethes „Faust“ diskutiert? Über die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft? Mir ist das neulich passiert. Der Grund des Treffens war das Hörbuch „Faust vs. Mephisto“, eine abgespeckte Version von Goethes Klassiker, die sich auf die Dialoge der beiden Haupt-Charaktere beschränkt. Das fantastische Viertel Thomas D spricht dabei den Faust, der diabolische Arzt Bela B hat sich in Mephisto verwandelt. Und da sitzen sie also: strubbelig und dezent gefärbt der eine, kahl rasiert und bebrillt der andere. Am Morgen haben sie eine Pressekonferenz zum Thema absolviert und den ganzen Nachmittag Einzelinterviews gegeben. Die Fragen der Journalisten sind ähnlich und laufen im Prinzip alle auf eine einzige hinaus: Warum wird „Faust“, das schätzungsweise zwei Tonnen schwere Referenzwerk der deutschen Literatur, ausgerechnet von zwei Popmusikern gelesen?
Doch wir wollen den Dingen nicht vorgreifen, denn die beiden Pop-Titanen haben offenbar keine Eile, sich zu erklären. Lieber reden sie erst mal über Horrorfilme wie Jason vs. Freddy“: „Ich war immer schon ein Splatter- und Horrorfilmfan, aber die ‚Freitag der 13.‘-Reihe fand ich damals blöde. Inzwischen habe ich alle nachgeholt. Man kann da schön die Anfänge bekannter Schauspieler sehen. Im ersten Teil von ‚Freitag der 13.‘ hat zum Beispiel Kevin Bacon gespielt“, doziert Bela kennerhaft. „Und Kelly Rowland von Destiny’s Child ist bei ‚Jason vs. Freddy‘ dabei“, weiß Thomas. „Der Film ist ja eigentlich gar nicht dazu da, um zu erschrecken…“, kommt es von Bela. „Sondern um Spaß zu haben“, ergänzt Thomas.
Wenn man hört, wie da schnell und amüsant ein Wort das andere gibt, ahnt man, warum „Faust vs. Mephisto“ von der Deutschen Grammophon als „Wortduell“ beworben wird. Doch nun meldet sich Peter Geyer zu Wort, neben Florian Fickel einer der beiden Regisseure des Projekts. Er fürchtet, die kleine Fachsimpelei über Horrorfilme könne die Berichterstattung des ROLLING STONE auf einen Nebenschauplatz lenken. Doch Bela kann ihn beruhigen: „Peter, was Du nicht merkst – wir nähern uns dem Mephisto! Wir reden von Mythen mein Freund.“ Und aus der Hip-Hop-Ecke kommt es meckernd lachend: „Und auch vom großen Kampf: Gut gegen Böse. Naja, bei ‚Jason vs, Freddy‘ ist das eher Böse gegen Böse.“
Nachdem Thomas klargestellt hat, dass Mephisto in ihm einen besseren Counterpart hat, als die Teenager, die Freddy Krueger jagen muss, geht es zur Sache: „Ich konnte mich natürlich sehr leicht mit dem Faust identifizieren“, sagt der Rapper vermutlich nicht zum ersten Mal, „weil der ja auch ein Suchender ist. Ich finde allerdings, dass er seine Seele ein bisschen schnell verkauft hat und hoffe, dass mir das auf meiner Suche erspart bleibt.“ Der Ex-Realschüler macht keinen Hehl daraus, dass er den Faust erst durch dieses Projekt kennen gelernt hat: „Hätte Goethe das heute gemacht, hätte er es als Rap geschrieben, denn der ist auch in den Reimen richtig gut“
Belas Zugang zum „Faust“ führt erwartungsgemäß über die dunkle Seite: „Für mich war Mephisto, ähnlich wie auch Dracula, eine Figur des Bösen, die ich von Anfang an interessant fand und (senkt teuflisch die Stimme) die ich auch gerne lesen wollte.“ „Es ist ja auch keine Lesung in dem Sinn, es hört sich schon eher an wie ein Hörspiel. Jeder war schnell in dieser Rolle drin, weil das auch nahe an unseren Charakteren liegt“, glaubt Thomas. Damit kein falscher Eindruck entsteht, ist es nun doch Zeit, ein Wort über die CD zu verlieren. Denn die ist mitnichten ein „Hörspiel“ oder gar krasses „Wortduell“, sondern der rechtschaffene, aber leider wenig mitreißende Versuch von zwei Popmusikern, einen Bühnen-Klassiker in den Griff zu bekommen. Höhepunkt des Unternehmens ist „Mephistos Schlaflied“ von Bela B gesungen und in die Saiten einer uralten akustischen Gitarre gedroschen.
Aber warum das alles? Faust ist ja kein „Fänger im Roggen“ und das Geschäft mit Hörbüchern kein Deutsch-Leistungskurs. Es besteht auch kein dringender Bedarf, die Jugend mit Fanta 4- und Ärzte-Musikern ans Thema heranzuführen. Liegt es vielleicht an dem 50. Jubiläum des Hörspiel-Klassikers von Gustav Gründgens, der 1954 ebenfalls bei der Deutschen Grammophon erschien? (Zu hören u.a. auf dem just veröffentlichten Schatzkästchen „Das gesprochene Wort – 50 Aufnahmen aus 50 Jahren“, das auf 25 CDs in 27 Stunden durch die Deutsche Grammophon-Literatur-Geschichte fuhrt.) Das letzte Wort soll deshalb Regisseur Geyer haben: ,“‚Faust‘ ist so sehr mit Gründgens verfangen, dass praktisch niemand sonst von der Presse zugelassen wird. Würden namhafte Schauspieler das machen, sie bekämen nur Prügel. Nach Gründgens den Mephisto zu spielen ist äußerst schwierig. Das ist jetzt 50 Jahre her. Seitdem gibt es keine nennenswerte auditive Auseinandersetzung damit. Da wird es endlich Zeit, dass junge Leute das machen. Ich finde, es gibt nichts Näherliegendes.“
von Wolfgang Doebeling „Gene Vincent – There’s One In Every Town“ (Do-Not-Press, ca. 16 Euro) von Mick Farren liest sich schnell wie ein Pulp-Fiction-Heft und ist ebenso spannend. Farren, ehemals Agitprop-Pionier und als „NME“-Schreiber in den späten 70er Jahren mitverantwortlich für die beste und wichtigste Rock’n’Roll-Prosa schlechthin, schafft sich in sein Sujet wie Vincent in seinen Rockabilly: impulsiv, rigoros, ohne Rücksicht auf Verluste. Mehr Tirade als Biografie, mehr Fanal als Faktenhuberei, immer ein wenig am Rande der Nachvollziehbarkeit, entlässt das kleine Büchlein mit großer Schrift und großem Herzen den Leser erschöpft, aber wild entschlossen, den „Bluejean Bop“ aufzulegen, jetzt gleich, immer wieder. 4,5 „Gene Vincent & Eddie Cochran – Rock’n‘ Roll Revolutionaries“ (V/rgm, ca. 30Euro)von John Collis liefert den Stoff zu Farrens fulminantem Pamphlet, sauber recherchiert, linear erzählt und um jene schicksalsträchtige UK-Tour des Jahres 1960 zentrierend, die einer ganzen Generation von Brit-Rockern Respekt einflößte und die Eddie Cochran nicht überlebte. Collis zeichnet einen detailgetreuen Hintergrund jener aufregenden Ära, vor dem die Protagonisten antagonistisch auftreten: hier Eddie, der smarte, blendend aussehende, Gitarreschwingende Mädchenschwarm, dort Gene, der schwarzgekleidete, süchtige, verkrüppelte und unberechenbare Recke der Teddy Boys. Eine explosive Mischung, die den Beat-Boom drei Jahre später recht zahm aussehen lässt. Faszinierend auch die personelle Fluktuation bei den Blue Caps nach Cliff Gallups Ausstieg, das kulturelle Gefälle bei den UK-Medien und der Umstand, dass es noch um sehr wenig Geld ging. 4,0 „Paul Simon -Seine Musik, sein Leben“
(MontAurum, 25Euro)von Roswitha Ebel mag die erste deutschsprachige Simon-Biografie sein, auch nähert sich die Autorin dem Künstler „auf behutsame Weise“, wie der holprige Pressetext nicht lügt, jedoch scheitert die Fleißarbeit am Ende gerade an der Betulichkeit der Kommentare, an der deutschen Sprache, die erheblich mehr hergibt als dieses Rundum-Salbadern mit redundanten („rationaler Verstand“) und schiefen („bösartiger Kreislauf“) Wortkombinationen. Von den zahlreichen Fehlern („Greatful Dead“, „Johnny River“, „Andrew Oldman“ – alles auf derselben Seite!) ganz abgesehen. Man hätte ja gerne erfahren, warum Paul Simon so feine Songs schreiben konnte, wiewohl er doch ein Stinker ist. Eine Information, die uns Frau Ebel schuldig bleibt. (Zu beziehen über www.biografie-paul-simon.de). 1,5 Musikbücher „Moanin‘ At Midnight – The Life And Times Of Howlin‘ Wolf‚ (Pantheon, ca. 30 Euro) von James Segrest und Mark Hoffman ist, kaum zu glauben, die erste umfassende Biografie des genialischen Blues-Primitivisten und Eigenbrötlers, der 1910 als Chester Arthur Burnett zur Welt kam, die Kindheit in grimmiger Armut auf den Baumwollfeldern von Mississippi erlitt, bevor er gen Norden zog und Meriten erwarb. In Memphis glaubte Sam Phillips bereits, mit Wolf das große Los gezogen zu haben, doch erst in den Clubs von Chicago und in den dortigen Chess Studios wurde aus dem unbehauenen Blues des stolzen Malochers ein stilbildendes Monument.
Triumph und Tragödie lagen auf diesem beschwerlichen Weg stets eng beieinander, und es ist eine der Stärken dieses Buches, die zahllosen Fußangeln auf dem Pfad zur Unsterblichkeit nicht nur zu benennen, sondern auch zu erklären. Kein leichtes Unterfangen, stand sich Wolf doch oft selbst im Wege, wenn es um die Ernte seiner Arbeit ging. Ein durch Erfahrung misstrauischer Mann, ließ er selbst Bewunderer und Förderer nicht in seine Nähe. „My boys“ nannte er die Rolling Stones gen Ende (er starb 1976), doch was sich bis dahin an Mühe und schierer Halsstarrigkeit aufstauen musste, gibt zu denken. Erhellend auch die Session-Reports mit seinem ingeniösen Gitarristen Hubert Sumlin, der halbherzige Flirt mit Soul („Pop It To Me“) oder mit Rock (,The Howlin Wolf Album“), Wolfs Schock-Taktiken auf der Bühne, sein zeitlebens schwelender innerer Konflikt mit Religion und sein Hass auf die Ausbeuter, nicht zuletzt im Musikgeschäft. Kein Wunder. 5,0 „Keith Richards -Betöre They Make Me Run“ (Plexus, ca. 22 Euro)von Kris Needs mag bereits die x-te Keef-Bio sein, doch unterscheidet sie sich von den Vorläufern in wesentlichen Dingen. Da wäre zum einen der vertrauliche, etwas schnoddrige Tonfall. Den sich Needs, der einst „Zigzag“ in Richtung Punk bugsierte, leisten kann, hat er doch „the world’s blackest white man“ über die Jahre verschiedentlich interviewen dürfen und so einen fast freundschaftlichen Rapport etabliert. Zum anderen: Needs betreibt literarische Heldenverehrung. Nicht hinterrücks oder verschlüsselt, sondern geradeheraus. „Nobody comes dose“, salbt er sein Idol, „in terms of wisdom, passion, or simply being a bloody good blöke.“ Keine Widerrede hat er da von Patti Smith und Chrissie Hynde zu gewärtigen, nicht von Captain Beefheart und Tom Waits, nicht von Iggy Pop und Johnny Depp. Eine einzige Apotheose. Prächtig unterfüttert indes (und damit kämen wir zum dritten) mit Anekdoten und Analysen. Die Musik kommt nicht zu kurz. 4,0