Gute Leberwerte
Vor fast 20 Jahren endete die Karriere von Green On Red in Alkohol und Drogen. Jetzt ist die Band zurück
Nur zehn Minuten bis zur ersten Deutschland-Show von Green On Red seit zwei Dekaden. Doch so viel Zeit muss noch sein. „Did you talk to Jack?“ Dan Stuart persönlich tritt vor den Eingang des Knust in Hamburg, um mir nahezulegen, doch auch noch den Bassisten anzuhören. Er, Stuart, wüsste das sehr zu schätzen. Keine drei Minuten später referiert Jack Waterson seine Sicht auf eine Reunion, die lange so wahrscheinlich war wie ein Schneesturm über Tucson/ Arizona, wo alles begann 1979. „Jetzt“, resümiert er vergnügt, „kann ich erzählen, ich hab 27 Jahre in derselben Band gespielt. Wunderbar!“
Wer Stuarts Fürsorge um die Teilhabe aller Mitstreiter verstehen will, muss weit zurückschauen. 1987. Während R.E.M. mit ihrem Top-40-Debüt „The One 1 Love“ zum Aufstieg in den Pop-Olymp ansetzen, taumeln Green On Red nach dem letzten Band-Album „The Killer Inside Me“ auf einer Europa-Tour dem Abgrund entgegen. Endstation Athen. Chris Cacavas erinnert sich an „Chaos“, Stuart an „schlechte Chemikalien“ und die Überlegung, sich die Finger zu brechen, Chuck Prophet an „zu viel Alkohol und Prügeleien. Es wurde hässlich, weil wir nicht wie Erwachsene über unsere Gefühle reden konnten.“ In einem symbolischen Akt meuchelt Stuart auf der Bühne Prophets Gitarre. Sein folgender Gang zum Psychiater erspart Green On Red und den Fans das Tour-Finale in London (das sie dann im Januar 2006 nachholen konnten).
Nach einer Auszeit in der Wüste schleicht Stuart mit Prophet nach Memphis zu Jim Dickinson, um „Here Come The Snakes“ anzugehen. Er glaubt an ein Solo-Album, der Vertrag sagt: „Green On Red“. Stuart unterschreibt, Cacavas und Waterson bekommen nicht mal einen Anruf. „Egal, wie Chris und Jack sich gefühlt haben mir ging’s noch schlechter“, rekapituliert Stuart. „Sie haben mir längst vergeben, aber ich kam nur schwer darüber weg. Für einen Ex-Punk wie mich war das einfach eine verwerfliche Handlung.“ Nach „Too Much Fun“ fällt 1992 auch der Vorhang für das Duo Green On Red.
Unterdessen wollte Jack Waterson „der Erste aus der Band sein, der sein eigenes Album draußen hat“, was ihm 1988 mit „Who’s Dog“ glatt gelang. Heute spielt er mit Kid Congo Powers (Ex-Gun Club) bei White und führt auf dem Sunset Boulevard einen Laden für Gebrauchtinstrumente. Prophet emanzipierte sich in einer produktiven Solo-Karriere, Cacavas führt „ein überraschend normales Leben“, seit einigen Jahren mit deutscher Frau und Kind nahe Karlsruhe, wo er ein Trio unterhält und seinen Lebensunterhalt als Koch verdient. Dan Stuart hatte nach einem passablen Solo-Album („Can O’Worms“, 1995) „nichts mehr zu sagen“. Er schreibt heute Drehbücher und wundert sich, „dass New York einen Optimisten aus mir gemacht hat“. Seine Frau trat dort vor drei Jahren eine Spanisch-Professur an.
So bedurfte es, so Prophet, „eines Außenstehenden, um uns wieder zusammenzuführen“. David Slutes wollte die Feierlichkeiten zum 20-Jährigen des „Hotel Congress“ in Tucson im September 2005 mit einer Green On Red-Reunion krönen und „war dreist genug, uns alle anzurufen – als alle kamen, war ich genauso überrascht wie alle anderen“ (Prophet). Wenngleich der frühe Tod von Ex-Drummer Alex MacNicol im Jahr zuvor, über dessen Umstände niemand Genaueres weiß (oder sagen will), bereits ein Signal gesetzt hatte. Stuart: „Das spielte schon eine Rolle. Wir sagten uns: Es soll nicht noch jemand sterben, bevor wir uns zumindest alle in einem Raum wiedersehen, ob wir dann Musik machen oder nicht.“
Sie mach(t)en Musik, aber wohl auch weiterhin keine neue. Stuart verweist darauf, dass „wir viele Songs vorher noch nie live gespielt“ haben und diagnostiziert vergnügt, das sei „fast wie bei einer Autopsie: Hier, die Leber, noch ganz gesund, wer hätte das gedacht!“